Der Tanz liberaler Nostalgiker ums goldene Kalb

"Club der Kaufleute"

Von Oberst d.G. Gerd Brenner

Gerne veranstaltet die liberale Opposition Russlands in Westeuropa Seminare, Kongresse und ähnliche Veranstaltungen, um gegen die politischen Zustände in Russland zu wettern und sich westlichen Politikern und Geldgebern als zukünftige Führungsriege zu empfehlen. An diesen Veranstaltungen treten auch Journalisten und Vertreter westlicher Think-tanks auf, deren Beitrag zur Zukunft Russlands eher fraglich ist. Eine führende Rolle hierbei spielt ein alter Weggefährte Michail ChodorkowskisAlfred Koch, ehemaliger stellvertretender Ministerpräsident in der Ära Jelzin und einer der Chef-Architekten der Privatisierung in Russland.

Aus einer deutschstämmigen Familie aus dem Kaukasus stammend, die während des Zweiten Weltkriegs nach Kasachstan deportiert worden war, machte der promovierte Wirtschaftswissenschaftler Alfred Reingoldewitsch Koch unter der Führung Gorbatschows und Jelzins eine steile Karriere in der Verwaltung und war ab dem Jahr 1990 in Leningrad bzw. Sankt Petersburg verantwortlich für die Privatisierung der ehemaligen sowjetischen Staatsbetriebe. Im Jahr 1993 wechselte er nach Moskau und trieb zusammen mit den liberalen Reformern Jegor Gaidar und Anatoli Tschubais die Privatisierung der gesamten ehemaligen sowjetischen Wirtschaft voran. Dabei wechselten zahllose Unternehmen für einen Bruchteil des effektiven Wertes den Besitzer. Dieser Vorgang ist den Russen heute noch unter dem Begriff Prichvatisaziya bekannt, einem Wortspiel aus Privatisierung und dem russischen Verb chwatat (хватать), das so viel wie "zugreifen" bedeutet.

"Nach heutigem Aktienrecht sind die fragwürdigen Privatisierungsaktionen dieser Zeit Raub und Betrug. Damals aber waren sie gängige Praxis", so urteilte der Tagesspiegel 2015 (1). Viele Russen bringen die Namen Gaidar und Tschubais mit der Rubelkrise von 1998 in Verbindung, als die rasante Entwertung des Rubels viele Menschen innerhalb weniger Monate um die Ersparnisse eines Arbeitslebens brachte. Die Namen der damaligen Reformer haben deshalb auch heute noch keinen guten Klang in Russland. Mit der Rubelkrise und der Prichvatisaziya schufen sich die Reformer viele Feinde. Tschubais überlebte fünf Attentate, und auch Gaidar klagte 2006, es sei ein Giftattentat auf ihn verübt worden. Er starb drei Jahre später an einem Herzinfarkt. Keiner der damaligen Reformer wurde für seine Rolle bei der Prichvatisaziya jemals juristisch verfolgt (2). Alfred Koch beaufsichtigte ab 1993 als stellvertretender Vorsitzender des Staatlichen Privatisierungskomitees der Russischen Föderation und ab 1996 als deren Chef die Privatisierung der russischen Wirtschaft. Bereits im folgenden Jahr wurde er stellvertretender Ministerpräsident, musste diesen Posten aber nach wenigen Monaten aufgrund eines Schmiergeldskandals wieder räumen.  Er droht heute jedem, der behauptet, er habe sich damals bereichert, umgehend mit juristischen Schritten. Unabhängig davon, ob die Vorwürfe zutreffen oder nicht, ist festzuhalten, dass er den planlosen Verkauf russischen Staatseigentums zu massiv untersetzten Preisen an Insider hätte verhindern müssen und dass er diesen ein gutes Stück weit zu verantworten hat. Er ist auch mitverantwortlich für das Entstehen der Oligarchen-Kaste und der organisierten Wirtschaftskriminalität in Russland, im Westen bekannt unter dem Begriff "Russen-Mafia". Dass ausgerechnet er nun Putin vorwirft, sich mit solchen Oligarchen zu umgeben, wirkt seltsam. Putin hat einen Teil dieser Leute – zuweilen mit rüden Methoden – wieder unter staatliche Kontrolle gebracht und erst in den letzten paar Jahren brachte es der neue Ministerpräsident Mischustin zustande, dass auch Grossunternehmen in Russland Steuern zahlen. 

Alfred Koch siedelte im Jahr 2015 in die Heimat seiner Vorfahren über und lebt seither im bayrischen Rosenheim. Kaum in Deutschland angekommen, hatte er es offenbar eilig, das Grab des ukrainischen Nationalisten und Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera in München zu besuchen und bewies damit wenig politisches Urteilsvermögen (3). Im Jahr 2014 erhoben die russischen Behörden gegen Koch den Vorwurf des versuchten Schmuggels von Kulturgut. Koch bestreitet diese Vorwürfe und bezeichnet sie als politisch motiviert. Zankapfel ist ein Gemälde des russischen Meisters Isaak Brodski (1884 – 1939), das Koch nach Deutschland exportieren wollte und dessen Wert er mit umgerechnet 300.- Euro deklarierte, weil es sich dabei um eine Kopie handle. Die russischen Behörden hingegen sind der Auffassung, es handle sich um das Original mit einem mehrfach höheren Wert und leiteten Ermittlungen ein. Dass die russischen Behörden scharf durchgreifen, wenn unerlaubt Kulturgut aus Russland weggebracht werden soll, ist bekannt. Für den versuchten Schmuggel von Kunst und Kunsthandwerk aus Russland wurden schon saftige Bussen verhängt und in Extremfällen kann eine Gefängnisstrafe ausgesprochen werden (4). Im Fall Kochs wird es wohl auf einen Streit zwischen Gutachtern herauskommen. Zusammen mit Gaidar, Tschubais und anderen hätte Koch in den Neunzigerjahren die Chance gehabt, die wirtschaftliche Zukunft Russlands mitzugestalten. Anstatt dessen hinterliessen sie einen Sumpf. Aber Koch ist frei von Selbstkritik, er bevorzugt es vielmehr, andere für den Scherbenhaufen verantwortlich zu machen, den er hinterliess. Es gibt keinen Grund, ihm und seinesgleichen eine zweite Chance zu geben. 

Seminar in Oberbayern

Wahrscheinlich war Alfred Koch der Organisator eines "Seminars" in Oberbayern, an welchem neben Michail Chodorkowski auch noch Boris Nemzow und Kacha Bendukidse teilnahmen (5). Letzterer ist besonders interessant. Der gelernte Biochemiker Kachaber "Kacha" Bendukidse ging im Jahr 1991 in die Wirtschaft, wurde erst Chef eines grossen Ölindustrie-Investors und wenig später Verwaltungsratsvorsitzender einer russischen Bank und eines Schiffsbauunternehmens. Im Jahr 1995 erwarb er mit Uralmasch in Jekaterinburg Russlands größte Maschinenbaufabrik. In der Folge kaufte er weitere Unternehmen, sodass er im Jahr 1998 rund 50 Firmen in Russland, der Ukraine, Rumänien und den USA sein Eigen nannte. Im Jahr 2004 ging Bendukidse in seine georgische Heimat zurück, nachdem ihn Georgiens Premierminister Surab Schwania überraschend zum neuen Wirtschaftsminister ernannt hatte. Seine wirtschaftspolitische Ausrichtung nannte Bendukidse ultra-liberal. Und auch in Georgien wiederholten sich die selben Vorgänge, wie in den Neunzigerjahren in Russland. Im Rahmen der Deregulierung der Wirtschaft wurden umfassende Privatisierungen vorgenommen. Bendukidse brauchte gerade einmal 14 Tage im Amt, um eine Liste von 372 Staatsbetrieben zusammenzustellen, die zwischen 2004 und 2006 verkauft werden sollen. Die Privatisierungspolitik Bendukidses provozierte in Georgien so heftige Kontroversen, dass er einen Monat nach Amtsantritt von Demonstranten am Verlassen seines Amtsgebäudes gehindert wurde, die ihm den Ausverkauf des Landes vorwarfen. Die Opposition prägte für Bendukidses Wirtschaftspolitik den Begriff "Bendunomics". Bendukidses Reformen in den Bereichen Korruptionsbekämpfung und Liberalisierung der Wirtschaft waren erfolgreich, aber wenig nachhaltig. Die georgische Wirtschaft ist auch heute noch wenig konkurrenzfähig und hängt in hohem Mass von Landwirtschaft und Tourismus ab. Das politische System wird von Kritikern als "defekte Demokratie" bezeichnet und der Reformbedarf ist immer noch hoch. "Dass das Wirtschaftswachstum seit 2017 wieder gestiegen ist, lag vor allem an der lokalen Konsumnachfrage, gesteigerten Exporten sowie den verbesserten Beziehungen zu Russland" resümierte die österreichische Wirtschaftskammer im vergangenen Jahr (6).

Club der Kaufleute

Alljährlich findet im noblen "Club der Kaufleute" in der litauischen Hauptstadt Vilnius das Treffen des "Forums des demokratischen Russlands" statt, zu dem jeweils zahlreiche Persönlichkeiten aus allen Herren Ländern einfliegen (7). Darunter befinden sich ehemalige Spitzenpolitiker, Wirtschaftsvertreter, Journalisten, Vertreter von Think-tanks und andere. Sie polemisieren bei dieser Gelegenheit gerne gegen die Person Wladimir Putins und debattieren über eine Zukunft Russlands nach der Ära Putin bzw. nach einem politischen Umsturz in Russland. Im Dezember 2017 erstellten die Teilnehmer des Forums die sogenannte "Putinsche Liste". Diese umfasst mehrere hundert Personen, gegen welche nach Auffassung des Forums persönliche Sanktionen durch westliche Länder ergriffen werden sollten. Unter den Personen auf der Liste befinden sich russische Beamte, Geschäftsleute und Journalisten der staatlichen und kremlnahen Massenmedien, die nach Ansicht der Autoren für Machtmissbrauch, Menschenrechtsverletzungen, Korruption, militärische Aggression und Hasspropaganda verantwortlich sind. 

Sensationsjournalisten, Berufs-Transatlantiker und Geheimdienstbosse

Ein deutscher Teilnehmer am Forum ist der Journalist Jan-Philipp Hein aus Berlin. Dieser behauptete im Januar 2016, dass die Horden junger Männer, die in der Silvesternacht 2015/16 in Köln, Frankfurt, Stuttgart, Hamburg und anderen deutschen Städten massenweise junge Frauen belästigten, mit dem Segen Assads und der Hilfe Putins eigens hierfür nach Deutschland eingeschleust worden seien. Hinweis hierfür sei, dass viele davon via Murmansk und Norwegen nach Deutschland gekommen seien. "Es laufe eine geheime Operation“, habe ein Informant dem ARD-Reporter gesagt – drei Monate vor Silvester. …"und weiter: "Vielleicht keine irre Geschichte, sondern der Baustein einer gezielten Zersetzung. Putin unterstützt mit dem syrischen Präsidenten Assad den übelsten Schlächter des Nahen Ostens, der als Hauptquelle der Flüchtlingsströme gilt, und bekommt von ihm als Gegenleistung vielleicht junge Männer, die Russland für seine hybriden Kriege einsetzen kann – etwa als Sex-Attentäter in Köln, Hamburg und Stuttgart" (8)

In der Tat eine irre Geschichte, angesichts der Tatsache, dass 2015 insgesamt weit über eine Million Flüchtlinge grossmehrheitlich via die Balkanroute nach Europa kamen, im Vergleich zu circa 5'500 via Russland und Norwegen. Und die Rolle Erdogans bei diesem Flüchtlingsstrom bleibt unerwähnt. Ferner behauptet Hein, die westlichen Massenmedien seien vom Kreml gesteuert. Da fragt sich dann nur, wie das dauernde "Russia-Bashing" vieler westlicher Medien zu erklären ist. Mit von der Partie ist jeweils auch der deutsche Journalist Boris Reitschuster aus Augsburg, auf dessen Homepage Koch regelmässig Beiträge veröffentlicht. Darunter findet sich einer, welcher den schwedischen Weg des Krisenmanagements in der aktuellen Covid-19-Krise lobt und der deutschen Regierung implizit Manipulation der Zahlen der, an Covid-19 erkrankten und verstorbenen Personen vorwirft: "Wenn es ihnen nur gelingen würde, den Schweden!! Möge ihnen Gott helfen, dass sie diese Schlacht gewinnen! Schweden ist das Licht der Freiheit und die Hoffnung der gesamten fortschrittlichen Menschheit. Eine Insel des gesunden Menschenverstandes in einem Ozean von Populismus, Feigheit und Sklaverei. Wie viel Intelligenz und Mut braucht man, um der Mehrheit, die sich vor Angst in die Hose gemacht hat, zu folgen und alle in ihren Häusern einzusperren" (9) Angesichts der Tatsache, dass alleine die Stadt Stockholm mittlerweile mehr als doppelt so viele Tote zu beklagen hat, wie ganz Österreich, sollten doch Zweifel am schwedischen Weg in der Covid-19-Krise aufkommen – und am Urteilsvermögen Kochs. Reitschuster war von 1999 bis 2015 Korrespondent für Focus in Russland, bevor sich Focus von ihm trennte, und betätigt sich seither als Autor zahlreicher Bücher über das zeitgenössische Russland. Er war einer von knapp 20 Journalisten, die das Russlandbild im deutschsprachigen Raum prägten. Sein Wirken ist typisch für eine Reihe deutschsprachiger Journalisten, die einen Hang, haben, "stereotype" Bilder zu vermitteln, basierend auf vorhandenen Klischees und Vorurteilen. Vorerst wurde in den Neunzigerjahren das Bild von Armut und Chaos jenem der superreichen Oligarchen-Kaste gegenübergestellt. Später, nach dem wirtschaftlichen Wiedererstarken Russlands, verlagerte sich der Schwerpunkt der Berichterstattung auf Russlands Defizite bei der Meinungsfreiheit, für welche der Kreml verantwortlich gemacht wurde und wird. Positiv dargestellt wird nur der kleine, liberale, westlich orientierte Teil der Opposition – die dann auch dankbar zum Kongress nach Vilnius einlädt (10). Auch heute, nach dem Georgienkrieg und dem Krieg im Donbass nutzen westliche Diplomaten und Journalisten gerne die Stereotype und Feindbilder aus dem Kalten Krieg.  

Ein weiterer Sprecher am Forum war in der Vergangenheit der britische Journalist Luck Harding vom Guardian, Autor von verschiedenen Büchern über Russland.  In einem seiner Bücher behauptete Harding, Donald Trump sei seit 1987 von sowjetischen KGB und später vom russischen FSB systematisch als US-Präsidentschaftskandidat aufgebaut worden. Am 27. November 2018 verfasste Harding für den Guardian einen Artikel, in dem er behauptete, dass sich Julian Assange mehrmals in der ecuadorianischen Botschaft in London mit dem US-amerikanischen Lobbyisten und Wahlkampfmanager Donald Trumps, Paul Manafort getroffen hätte, ohne allerdings Quellen zu nennen. Manafort und Assange bestritten beide, sich jemals getroffen zu haben, und letzterer drohte dem Guardiansogar mit rechtlichen Schritten (11). Die Clique westlicher Journalisten, die am "Forum des demokratischen Russlands" teilnimmt, hat offenbar wenig mehr zu bieten, als Stereotype und windige Storys. Es wird sich kaum lohnen, ihnen weiterhin Aufmerksamkeit zu schenken. 

Ein weiterer Keynote-Speaker an der Veranstaltung in Vilnius war in der Vergangenheit David Satter vom Hudson Institute. Das Hudson Institute ist eine Organisation, dessen Zweck darin besteht … "Promoting American leadership and global engagement for a secure, free, and prosperous future." (12) Es wird durch steuerlich absetzbare Beiträge von Privatpersonen, Unternehmen, Stiftungen und durch staatliche Zuschüsse finanziert. David Satter war von 1976 bis 1982 Korrespondent der London Financial Times in Moskau. Während dieser Zeit suchte er nach Sowjetbürgern mit der Absicht, ihre Berichte über das totalitäre Sowjetsystem für die Nachwelt zu bewahren (13). Die chaotischen Neunzigerjahre erlebte er weit entfernt.

Das sprichwörtliche Tüpfchen aufs i im Reigen der Vortragenden ist der ehemalige ukrainische Geheimdienstchef Valentin Nalivaychenko. Sein Dienst, der SBU, wurde in der jüngsten Vergangenheit in zahlreichen Berichten des UN Menschenrechtsbeauftragten systematischer Verbrechen gegen die Menschenrechte beschuldigt (14). Der SBU durfte (und darf wohl immer noch) in der Ukraine straflos einschüchtern, verhaften und foltern. Im Hauptquartier des SBU, an der Wolodimirskaja wuliza 33 in Kiew, unweit der Sofien-Kathedrale, soll Einheimischen zufolge eine ganze Etage für die CIA reserviert worden sein. Gleich und gleich gesellt sich gern. An der Spitze des mächtigen SBU hätte es Nalivaychenko in der Hand gehabt, Machtmissbrauch und Korruption zu bekämpfen, sowie Demokratie und Menschenrechte zu fördern. Aber die Ukraine ist so korrupt wie eh und je und die Macht liegt nach wie vor in den Händen einiger Schwerreicher, zu denen auch Präsident Zelensky gehört, die sich gegenseitig befehden. Es ist kaum vorstellbar, dass Nalivaychenko etwas Konstruktives zur Zukunft Russlands beizutragen hat. 

Finanzierung

Der russische Investigativ-Journalist Oleg Lurie äusserte die Auffassung, dieser Kongress werde von verschiedenenUS-Regierungsstellen und von Institutionen finanziert, deren Aktivitäten in Russland seit 2012 verboten sind (15). Nun ist schwer zu sagen, ob die Gäste die Kosten für Anreise und Aufenthalt selbst bestreiten. Allerdings ist kaum anzunehmen, dass die Keynote-Speakers die Kosten für ihre Reise selbst bezahlen, im Gegenteil, man darf vermuten, dass sie für ihre Auftritte noch Gage erhalten. Insgesamt liegt Lurie sicher richtig, wenn er annimmt, dass hinter dem Forum potente Geldgeber –  auch ausländische staatliche Stellen – stehen. Und damit müsste sich so ein Forum nach russischer Gesetzgebung in Russland als "foreign agent" deklarieren. In diesem Licht gesehen ist der Durchführungsort Vilnius sicher gut gewählt. 

Verunglimpfung ungeliebter Journalisten

Ein anderer Investigativ-Journalist, der Ukrainer Anatolii Sharii verklagte das Forum, weil es auf seiner Homepage unzutreffende Verunglimpfungen über ihn veröffentlicht hatte und erhielt von der litauischen Justiz 3'000 Euro Entschädigung zugesprochen. Sharii ist derjenige Journalist, der im Oktober 2006 einen Skandal in einem Kinderheim in Odessa aufdeckte, das Waisen gut situierten Persönlichkeiten zur sexuellen Ausbeutung überließ, was vom ukrainischen Inlandsgeheimdienst SBU und der örtlichen Polizei gedeckt wurde. Es wäre dies nicht der erste Fall, in welchem die ukrainische Justiz gegenüber Pädophilen mehr als nur ein Auge zudrückt (16). Der lokale Politiker Michail Sirota, der dies bestätigt hatte, kam 2008 bei einem Autounfall ums Leben und Sharii erhielt zwei Jahre später Morddrohungen. Ferner wirft die ukrainische Armee Sharii im Zusammenhang mit dem Krieg im Donbass die Verbreitung von Fake Informationen vor. Nachdem er in Europa politisches Asyl erhalten hat, lebt Sharii heute an einem unbekannten Ort in Westeuropa (17). 

Gestalter der Zukunft Russlands?

Unwillkürlich fragt man sich, was diese Leute berechtigt, die Zukunft Russlands mitzugestalten. Ferner stellt sich auch die Frage, was für ein Programm diese Leute für die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft Russlands haben, ausser dass Putin abgesetzt werden soll. Speziell im Falle Alfred Kochs wäre es einmal interessant zu erfahren, ob er mehr zu bieten hat als eine Wiederholung der desaströsen Reformen der Neunzigerjahre, als Russlands Volksvermögen unkontrolliert verscherbelt wurde. Wenngleich unbestritten ist, dass der Staatsanteil an der russischen Wirtschaft gesenkt werden muss und dass die russische Wirtschaft generell Reformen braucht, so bleibt doch zu wünschen, dass dies kontrolliert und transparent erfolgt. Die Tatsache, dass es dem Westen in sechs Jahren mit kontinuierlich verschärften Wirtschaftssanktionen nicht gelang, die russische Wirtschaft in die Knie zu zwingen, mag ein Hinweis darauf sein, dass diese nicht so schwach ist, wie Koch und seine Spiessgesellen glauben. Aus russischer Sicht ist und bleibt es wichtig, dass Schlüsselbetriebe der russischen Wirtschaft und sicherheitsrelevante Unternehmen in staatlichen oder staatsnahen Händen bleiben. Journalisten, die gerne über den Klüngel von Macht und Wirtschaft in Russland berichten, sollten bedenken, dass gerade Leute wie Koch, Tschubais und Gaidar die Voraussetzungen dafür schufen, dass es so kommen konnte. Es ist unbestritten, dass Russland parallel zu wirtschaftlichen auch politische Reformen braucht. Der Club aus windigen Wirtschaftsleuten, Sensations-Journalisten und transatlantischen Geopolitikern, die sich alle Jahre wieder in Vilnius treffen, ist möglicherweise nicht der richtige Partner hierfür. Im Westen sollte man zwischendurch bedenken, dass Putins Stärke die Schwäche der liberalen Opposition ist. Ein Russland nach dem Gusto Washingtons, Brüssels oder Berlins wird es hoffentlich nie geben. An der Spitze von Staat und Wirtschaft in Russlands wird in den nächsten Jahren ein Generationenwechsel notwendig werden. Es werden Leute an die Spitze kommen, welche die Sowjetunion nur noch aus ihrer Kindheit kennen und in den chaotischen Neunzigerjahren keine Verantwortung trugen. Dann wird es weniger Raum für Geheimdienst-Klamotten und Mafia- Geschichten geben. Das kann eine Chance sein, die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen zu normalisieren. Die 300 aus dem "Club der Kaufleute" in Vilnius werden dann immer mehr den russischen Adligen der Zwanzigerjahre im Exil gleichen, die lange noch auf die Rückkehr der Zarentochter Anastasia hofften.

Anmerkungen

  1. Der Tagesspiegel, 16.05.2005, online verfügbar unter https://www.tagesspiegel.de/zeitung/wer-ist-michail-chodorkowski/608572.html
  2. Dazu ausführlich Johanna Granville: The Russian Kleptocracy and Rise of Organized Crime, Dermokratizatsiya and Prikhvatizatsiya: the Russian Kleptocracy and Rise of Organized Crime, namentlich S.  449-457, online unter https://www.academia.edu/5597850/The_Russian_Kleptocracy_and_Rise_of_Organized_Crime
  3. https://www.facebook.com/photo.php?fbid=1487054644925073&set=a.1384903868473485.1073741828.100008616547000&type=3&theaterhttps://fakty.com.ua/ru/index/read-news/id/1559594/https://ren.tv/news/v-mire/44261-alfred-kokh-poklonilsia-pamiatniku-bandere
  4. Zur Strafuntersuchung gegen Koch: https://www.kommersant.ru/doc/2773048 ; https://www.ovb-online.de/weltspiegel/politik/ich-habe-angst-dass-naechste-bin-4784746.htmlhttps://www.mskagency.ru/materials/2529567http://staseve.eu/?p=9943. Koch beteuert seine Unschuld: https://www.dw.com/ru/%D0%B0%D0%BB%D1%8C%D1%84%D1%80%D0%B5%D0%B4-%D0%BA%D0%BE%D1%85-%D0%BC%D0%B5%D0%BD%D1%8F-%D0%BD%D0%B5-%D0%BE%D0%B1%D1%8A%D1%8F%D0%B2%D0%BB%D1%8F%D0%BB%D0%B8-%D0%B2-%D0%BC%D0%B5%D0%B6%D0%B4%D1%83%D0%BD%D0%B0%D1%80%D0%BE%D0%B4%D0%BD%D1%8B%D0%B9-%D1%80%D0%BE%D0%B7%D1%8B%D1%81%D0%BA/a-19052196 und https://www.kommersant.ru/doc/3267830. Ausfuhr von Kulturgut aus Russland, vgl. https://schmidt-export.de/ausfuhr-von-kulturg%C3%BCtern-aus-russlandhttps://www.uralairlines.ru/en/rules/kulturnye-tsennosti/pravila-vyvoza-kulturnykh-tsennostey-s-territorii-rossiyskoy-federatsii-zakon-o-vyvoze-kulturnykh-ts/.
  5. https://www.focus.de/politik/ausland/russischer-ex-vize-premier-warnt-der-kreml-betrachtet-die-ukraine-als-kolonie_id_4766709.html
  6. Siehe: https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/georgien-wirtschaftsbericht.pdf; Zur Person Bendukidses und seinen Reformen:  https://www.opendemocracy.net/en/odr/kakha-bendukidze-and-georgias-failed-experiment/https://www.newyorker.com/news/news-desk/man-remade-georgia. Seine eigene Homepage: https://bendukidze.org/en/kakha-bendukidze-en/
  7. https://www.fit4russland.com/analyse/1765-in-litauen-wird-unaufschiebbar-dringliches-diskutiert-wie-man-die-revolution-in-russland-organisiert-und-finanziert von Oleg Lurie. Zum Club selbst: https://www.govilnius.lt/meet-in-vilnius/venue-finder/merchants-club 
  8. Jan-Philipp Hein: Russland, Putin und Assad; Attacken an Silvester: Grüne Männchen auf Kölns Domplatte? In SHZ, 31.01.2016  https://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/attacken-an-silvester-gruene-maennchen-auf-koelns-domplatte-id12607041.htmlhttps://www.zeit.de/politik/ausland/2016-02/russland-skandinavien-fluechtlinge-instrumentalisierung
  9. https://www.reitschuster.de/post/gauss-corona und https://www.reitschuster.de/post/freiheitsverrat
  10. https://www.dwdl.de/nachrichten/49880/ueberraschung_focus_schliesst_sein_moskaubuero/; vgl. https://www.reitschuster.de/. Vgl auch Wenke Crudopf: Russland-Stereotypen in der deutschen Medienberichterstattung, Berlin, 2000, online unter http://www.opengrey.eu/item/display/10068/85528https://web.archive.org/web/20131109105623/http://www.russland.ru/analysen/morenews.php?iditem=257https://web.archive.org/web/20080818093957/http://www.russland.ru/analysen/morenews.php?iditem=164. Dazu auch Gabriele Krone-Schmalz, Dozentin für Journalistik: Bei der Berichterstattung über den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland gebe es "entlarvende Automatismen", https://web.archive.org/web/20140418061905/http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/media/zapp7411.html
  11. https://www.vanityfair.com/news/2018/11/the-guardian-paul-manafort-julian-assangehttps://www.washingtonpost.com/gdpr-consent/?next_url=https%3a%2f%2fwww.washingtonpost.com%2flifestyle%2fstyle%2fthe-guardian-offered-a-bombshell-story-about-paul-manafort-it-still-hasnt-detonated%2f2018%2f12%2f03%2f60e38182-f71c-11e8-863c-9e2f864d47e7_story.html.
  12. Siehe https://www.hudson.org/about
  13. Siehe https://www.hudson.org/experts/362-david-satter
  14. https://www.theguardian.com/news/2017/nov/15/how-trump-walked-into-putins-web-luke.; 
  15. https://www.forumfreerussia.org/en/group/speakers-en/page/6/https://www.ohchr.org/Documents/Countries/UA/UAReport19th_EN.pdfhttps://www.ohchr.org/Documents/Countries/UA/ReportCRSV_EN.pdfhttps://www.amnesty.org/en/documents/eur50/4455/2016/en/
  16. Zur Person von Oleg Lurie (Олег Анатольевич Лурье): https://oleglurye.com/2020/01/16/navalnyiy-zakaz-na-mishustina-tyi-ne-otrabotal-verni-dengi-klientu/. Lurie kritisierte die Moskauer Protestführer Lyubov Sobol und Alexei Navalny, weil sie ihren Urlaub im Ausland verbrachten, während einige ihrer Anhänger wegen Teilnahme an von ihnen organisierten nicht autorisierten Kundgebungen in Haft saßen: https://twitter.com/27khv/status/1173562373371813888
  17. Siehe https://twitter.com/anatoliisharii/status/1201432317765603328Anatolii Sharii, Анатолий ШАРИЙ: Публичный детскийдом, deutsch "das Bordell der Kinder", online unter https://from-ua.com/voice/e5ee10a2bb819.html. Zu Sirota: https://fakty.ua/136498-syn-mihaila-siroty-dmitrij-bukvalno-za-desyat-minut-do-avarii-otec-pochemu-to-otstegnul-remen-bezopasnostihttps://politiko.ua/blogpost41438. Verschiedene ukrainische Politiker stehen im Ruf, pädophil zu sein: https://lenta.ru/articles/2014/06/02/lyashko/. Zu den Vorwürfen der UAF: ФЕЙКИ ШАРИЯ. Как Шарий покрывает убийцукраинцев. Часть 1: https://mil.in.ua/uk/blogs/fejky-sharyya-kak-sharyj-pokr-d1-8bvaet-ubyjcz-ukraynczev-chast-1/http://khpg.org/en/index.php?id=1332452004https://fakty.ua/150705-anatolij-sharij-stal-pervym-ukrainskim-zhurnalistom-kotoromu-predostavili-politicheskoe-ubezhicshe-v-evrosoyuz
  18. https://www.kyivpost.com/ukraine-politics/ukraine-turned-blind-eye-to-american-pedophile-working-with-orphanages.html

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