Zar Peter III. rettet die zentraleuropäische Großmacht Preußen – einige Bemerkungen zum Kriegsjahr 1762

Von Helmut Roewer

In diesem kurzen Beitrag behandele ich ein Ereignis, das vor 260 Jahren stattfand und als das Mirakel des Hauses Brandenburg in die preußisch-deutsche Geschichtsmythen eingegangen ist. Im Klartext: Es war ein russischer Herrscher, Zar Peter III., der sich entschloss, den Koalitions-Krieg gegen Preußen zu beenden, das in eben jenen Tagen, Anfang 1762, vor dem militärischen und politischen Aus stand. Was war geschehen?

   Kurzer Rückblick: Gut zwei Jahrzehnte zuvor war 1740 der damals 28jährige Friedrich von Hohenzollern beim Tod seines Vaters auf den preußischen Thron gelangt. Die Königswürde war noch ziemlich frisch, stammte vom Großvater her (1701). Dessen Sohn, Friedrichs Vater, war der Soldatenkönig gewesen. Der kriegerisch klingende Beiname rührte von seiner Aufrüstung Preußens mit einem stehenden Heer von eindrucksvoller Größe – nicht jedoch von dessen Gebrauch. 

   Der Einsatz der preußischen Armee erfolgte dann unter dem ganz und gar unsoldatischen Sohn und Erben – den Offiziersrock bezeichnete er als einen Sterbekittel. Für den Gebrauch der Armee nannte Friedrich den geradezu kindisch klingenden Grund: Ich wollte mir einen Namen machen. Er tat es, denn kaum an die Macht gelangt, trat Friedrich II. einen Krieg gegen die Habsburger Monarchie los, um sich deren Provinz Schlesien einzuverleiben.

   Der erste Schlesische Krieg (1740-42) nahm seinen Lauf. Ein zweiter folgte (1744/45). Und dann der Siebenjährige Krieg (1756-63). Wieder schlug Friedrich los, diesmal, um einem anti-preußischen Verteidigungsbündnis von Frankreich und Österreich im Präventivwege Paroli zu bieten. Er hatte sich verschätzt, denn die Auseinandersetzung weitete sich in einen Koalitionskrieg der europäischen Großmächte aus, nachdem Russland dem Bündnis von Österreich-Ungarn mit Frankreich beigetreten war. Die Zielsetzung der Koalitionäre war klar: das aus eigener Machtvollkommenheit in den Kreis der Großmächte eindringende Preußen auf die Position eines Kleinstaats zurückzustutzen.

   Preußen unter seinem zum Feldherrn gewandelten König wehrte sich nach bestem Vermögen, doch über den Ausgang der Sache konnte es unter Kennern keinen Zweifel geben. Zu ungleich waren die Kräfte auf beide Seiten verteilt. Wäre das geschehen, was unabweisbar schien, so würde heute niemand von einem Preußenkönig namens Friedrich der Große reden. Doch es kam anders.

   Zur Klärung dieses Mirakels werfen wir einen Blick auf Friedrichs Gegner. Man muss es genauer formulieren: auf Friedrichs Gegnerinnen. Denn genau hierum handelte es sich. Es klingt fast wie ein Augenzwinkern der Geschichte, denn Friedrich hatte alles in seiner Macht stehende getan, um sich die Frauen (als solche) zum Feind zu machen. Heute sieht man großzügig über sexuelle Präferenzen hinweg, damals war man in puncto Homosexualität weniger generös. Und selbst nach dem heute üblichen Maßstab des laissez faire lässt sich Friedrichs Behandlung seiner Ehefrau nur als schäbig bezeichnen. Diese miese Haltung war auch damals nur zu bekannt und mag zur Feindseligkeit beigetragen haben, die ihm aus den Kabinetten gekrönter Frauen entgegenschlug.

   Seine Gegnerin in Österreich hieß Maria Theresia. Die Habsburgerin war die Deutsche Kaiserin in Wien. Sie hatte allen Grund auf den von ihr als preußischen Emporkömmling empfundenen Friedrich sauer zu sein. Durch die Wegnahme von Schlesien hatte er sich selbst zum Rivalen um die Macht in Europa im wahrsten Sinne des Wortes hochgeschossen. Der Herrscherin auf dem Zarenthron ging es aus geopolitischem Kalkül ähnlich. Zarin Elisabeth hatte ein Jahr nach Friedrich den Thron bestiegen. Für sie war das auftrumpfende Preußen ein gefährlicher Hemmschuh bei der Konsolidierung der russischen Macht an der Ostsee. Hier hatte Preußen das den Russen feindliche Schweden als Rivalen ersetzt.

   Notwendiger kurzer Umweg durch die russische Geschichte: 1761 starb die Zarin Elisabeth kinderlos. Ihr Nachfolger wurde einer, der nur noch mit einiger Mühe ein Romanow genannt werden konnte.  Es war ein Prinz Karl Peter Ulrich aus dem damals zum Dänischen Königreich in denkbar verwinkelter Weise gehörigen Hause Holstein-Gottorf, der dann als Peter III. den Zarenthron bestieg. Er beendete als eine seiner ersten (und wenigen) Maßnahmen den Krieg mit Preußen und zog seine weit ins Land vorgedrungenen Truppen ohne Wenn und Aber von dort ab. Damit und nur so war Preußen der drohenden Vernichtung entgangen. Zar Peter III. wird nachgesagt, dass er ein glühender Bewunderer des als aufgeklärt geltenden preußischen Friedrich gewesen sei.

   Lassen wir das einmal im Raume stehen, nicht ohne hinzuzufügen, dass Peter bereits im Folgejahr durch seine Ehefrau Katharina und deren Hofpartei gestürzt wurde. Sein gleichzeitiger Tod weckte den hartnäckigen Verdacht, dass es sich hier um einen Ehegattenmord gehandelt habe. Der nunmehrigen Zarin konnte das wenig anhaben. Mit einer 34jährigen Herrschaftszeit von 1762-96 ist sie in die russischen Geschichtstabellen als Katharina die Große eingegangen.

   Wir wollen nicht nutzlos spekulieren, doch es scheint mir nicht abwegig, dass ohne den frühen Friedensschluss des sodann Ermordeten die Sache mit Preußen unter seiner Ex-Frau und Nachfolgerin anders gelaufen wäre. Doch wie gesagt, die Angelegenheit ist dann wie geschildert und für Preußen denkbar glücklich ausgegangen. Wenn man überhaupt eine Lehre aus den Ereignissen ziehen will, dann wohl diese: Man sollte nie auf den Nachfolger eines Herrschers spekulieren, denn die reale Geschichte liebt es, unerwartete Scherze zu machen. Und vielleicht noch dieses hier: Frauen und Männer, die in heutiger Diktion als queer zu bezeichnen wären, sind als Herrscher keine Garantie für friedliche Politik – eher im Gegenteil.

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