Windige Begründungen im Luftkampf

In der Schweiz nähert sich der Zeitpunkt der Volksabstimmung über Kauf neuer Kampfflugzeuge und dementsprechend geht der Abstimmungskampf dem Höhepunkt entgegen. Selbstverständlich prallen in der Schweiz die Fronten der Armeebefürworter und –gegner aufeinander und manche der Argumente wirken etwas oberflächlich. Aber die von den verschiedenen Seiten vorgebrachten Argumente sind auch im Hinblick auf Diskussionen in anderen europäischen Ländern interessant.
Ob ein Land ohne absehbare militärische Bedrohung neue Kampfflugzeuge beschafft und gegebenenfalls wie viele welchen Typs, ist im europäischen Kontext von untergeordneter Bedeutung. Im europäischen Umfeld ist aber zu erwarten, dass Fragen der Wahrung der Lufthoheit bzw. Luftpolizeidienst in der Diskussion eine ähnlich beherrschende Rolle spielen werden, wie derzeit in der Schweiz, namentlich in Österreich und in Irland (1). Wie die schweizerische Öffentlichkeit auf die Argumente der Befürworter einer Kampfflugzeug-Beschaffung reagiert, könnte richtungsweisend für andere Länder werden.
Flugzeugflotten der kleineren europäischen Länder
Nachdem die russische Luftwaffe seit längerem wieder Patrouillenflüge weit nach Westen auf den Atlantik hinaus durchführt, erwägt nun auch die Republik Irland die Beschaffung von strahlgetriebenen Kampfflugzeugen – und schaut womöglich auf die Schweiz (2). Im Rahmen dieser Übungsflüge kamen russische Tupolev-Flugzeuge oftmals nahe an irischen Luftraum und sollen diesen fallweise sogar verletzt haben. Dabei handelt es sich um Flugzeuge des Typs Tu-142, und nicht wie oftmals behauptet Tu-95. Die Langstrecken-Aufklärer und U-Boot-Jagdflugzeuge des Typs Tu-142, eine umgebaute Version des Bombers Tu-95, suchen wohl die amerikanischen Flugzeugträger, wenn diese aus ihrem Heimathafen Norfolk/Virginia auf die Meerenge von Gibraltar zu laufen. Insofern können Befürchtungen, Russland könne Irland bombardieren wollen, ausgeräumt werden. Trotzdem sind die irischen Ambitionen verständlich, denn Irland hat alles Interesse, keine Kleinkriege in seinem Luftraum zuzulassen und die zivile Luftfahrt zu schützen. Und im Luftpolizeidienst möchte sich Irland wahrscheinlich nicht ausgerechnet in die Abhängigkeit Londons begeben.
In Österreich stellt sich als Konsequenz der Bemühungen von Verteidigungsministerin Tanner um Rückgabe der Eurofighter Typhoon an den Airbus-Konzern die Frage, womit Österreich denn seinen Luftpolizeidienst durchführen würde, wenn Ende dieses Jahres auch die veralteten Saab-105 OE ausser Dienst gestellt werden müssen (3). Zu Zeiten des Kalten Kriegs verliess sich Österreich immer auf die NATO allgemein und hierbei speziell auf Deutschland. Ob Österreich dies im Lichte der Kriege der NATO in den vergangenen 25 Jahren wieder so möchte, darf lebhaft bezweifelt werden. Es ist ein pikantes Detail, dass gerade die sogenannten Kompensationsgeschäfte, welche der Schweizer Bundesrat als Argument für eine Kampfflugzeugbeschaffung aufzählt, in Österreich Anlass zum Verdacht auf getarnte Bestechung gaben (4).
Andere Staaten in Osteuropa setzen auf die Saab Gripen, die teilweise in Leasing angeschafft wurden (5), oder auf den Kauf gebrauchter F-16 (6). Sollten die Spannungen an der Grenze zu Russland, namentlich über dem Schwarzen Meer, anhalten, dann werden namentlich Bulgarien und Rumänien längere Kampagnen verstärkten Luftpolizeidienstes leisten müssen. Diese fördern möglicherweise interessante Informationen über logistischen Aufwand und daraus resultierende Kosten zutage.
Im europäischen Vergleich muss die Schweizer Luftwaffen selten eingreifen, um nicht zu identifizierende Luftfahrzeuge visuell zu identifizieren, um Verletzungen der Luftverkehrsregeln zu ahnden oder Flugzeugen in Not zu helfen. Im vergangenen August flog sie genau zwei Echteinsätze, sogenannte "Hot Missions".
Windige Begründungen
Die Schweizer Landesregierung, der sogenannte Bundesrat, begründet das Beschaffungsvorhaben mit einer verschärften sicherheitspolitischen Lage, deren äusseres Anzeichen die gesteigerten Rüstungsausgaben weltweit seien (7). Er vergisst hier aber zu erwähnen, dass der Löwenanteil der Rüstungsausgaben weltweit von westlichen Staaten bestritten wird, die auch für die aktuelle Steigerung verantwortlich sind.
Ein weiteres Glied in der Argumentationskette der schweizerischen Landesregierung ist der Terrorismus: Linien- oder Kleinflugzeuge könnten entführt und als Terrorwaffe missbraucht werden, befürchtet die Schweizer Regierung. Über sogenannte "Renegade-Szenarios" haben wir uns an dieser Stelle schon ausgiebig ausgelassen. Es ist verständlich, dass die Schweizer Regierung im Fall der Entführung eines Flugzeugs im schweizerischen Luftraum gerne einen Beobachter in Form eines Kampfpiloten nahe an der betroffenen Maschine hätte. Allerdings sind die Möglichkeiten der Intervention gegen ein voll besetztes Passagierflugzeug rechtlich und politisch stark eingeschränkt. Eine anhaltende Terrorbedrohung und damit eine lang andauernde Phase eines verstärkten Luftpolizeidienstes würde bei permanenten Einsatz von Hochleistungskampfflugzeigen, welche die Schweizer Regierung offenbar im Auge hat, grosse logistische Herausforderungen verursachen und einen hohen Finanzaufwand nach sich ziehen. Letzteres würde die schweizerische Luftwaffe über kurz oder lang zwingen, kostengünstigere Alternativen zu deren Einsatz zu prüfen. Es ist nämlich zu erwarten, dass Kampfflugzeuge neuster Art Betriebskosten verursachen, welche diejenigen der, in der Schweiz in Dienst stehenden F-5 Tiger und F/A-18 Hornet bei weitem übersteigen. Hier ist die Aussage in der Abstimmungsbotschaft wohl etwas zu optimistisch (8).
Ein dritter Baustein in der etwas konfusen Argumentation des Schweizer Bundesrats sind die erhöhten Spannungen zwischen Staaten. Schon ziehen Transatlantiker, zum Beispiel der "Neuen Zürcher Zeitung", Szenarien für den Einsatz von schweizerischen Kampfflugzeugen als Folge einer türkischeren Aggression oder eines Bürgerkriegs in den USA herbei (9). Bei der Argumentation des Bundesrats fragt man sich andererseits unwillkürlich, ob die Schweiz ihren Nachbarn misstraut, deren Luftstreitkräfte allesamt mit modernen Kampfflugzeugen ausgerüstet sind. In der Tat haben die Europäer durch verschiedene missglückte Interventionen in den vergangenen Jahren einen "Ring of Fire" an den Rändern Europas geschaffen. In einer Distanz von 1'500 bis 2'000 Kilometern von der Schweizer Staatgrenze entfernt, und damit ausserhalb der Reichweite voll betankter und aufmunitionierter Kampfflugzeuge der operativ-taktischen Stufe, sind Luftstreitkräfte von nicht-NATO Staaten kaum als Begründung für den Kauf einer grösseren Anzahl modernster Kampfflugzeuge heranzuziehen (10).
Typenwahl und Flottengrösse
Solange keiner der zur Diskussion stehenden Kampfflugzeuge sich im Echteinsatz gegenüber anderen Typen als klar überlegen gezeigt hat, bleibt der Typenentscheid für ein zukünftiges Kampfflugzeug bei Militärs wohl umstritten. In jedem Fall ist der Typenentscheid auch ein politischer, denn er schafft Abhängigkeiten von einem Hersteller und einem Herstellerland. Gerade im Fall des F/A-18 schaffte die schleppende Ersatzteilversorgung durch US-amerikanische Hersteller in der Vergangenheit schon für Ärger, als die Verfügbarkeit der F/A-18 Flotte der Schweizer Luftwaffe markant abfiel. Dass aus politischen Gründen fast nur US-amerikanische (F/A-18 Super Hornet oder F-35) oder westeuropäische Baumuster (Eurofighter Typhoon und Rafale) in Betracht kommen, ist klar.
Aber auch die Argumentation der Gegner des Beschaffungsbeschlusses ist zuweilen konfus (11). Natürlich sind Pandemien oder der Klimawandel mit Kampfflugzeugen nicht zu bekämpfen. Aber es ist die Pflicht einer Regierung, ihre Bürger vor allen denkbaren Gefahren zu schützen, und dazu können eben auch militärische kommen. Gerade die breite Gefahrenpalette und die diffuse Entwicklung der Sicherheitslage in den kommenden Jahren zwingen dazu, Schutzmassnahmen in den verschiedensten Bereichen zu entwickeln und diese mit einem minimalen Ressourcenaufwand zu realisieren. Wenn in einem Gesundheitswesen, das jährlich um die 85 Milliarden Schweizer Franken verschlingt, beim Auftraten einer Pandemie plötzlich grundlegendes Material für Schutz vor Erkrankung und Behandlung erkrankter Menschen fehlt, dann ist das Ausdruck schwachen Managements im Gesundheitsbereich und nicht eine Folge fehlerhafter Zuteilung von Finanzen (12). Ausgaben in der Höhe von 6 Milliarden Franken für die Beschaffung von Kampfflugzeugen und selbst von 24 Milliarden für den Betrieb der Flugzeuge über einen Zeitraum von 40 Jahren hinweg, welche die Gegnerschaft prognostiziert, sind für die Schweiz durchaus finanzierbar (13). Allerdings muss nicht alles, was finanzierbar ist, auch beschafft werden.
Die Abstimmungsbotschaft der Schweizer Regierung legt nahe, dass auch die Schweizer Luftwaffe nach der vorgesehenen Einführung eines neuen Mehrzweck-Kampfflugzeugs aus finanziellen Gründen auf eine Kampfflugzeug-Flotte mit einem einzigen Flugzeugtyp umsteigen soll. Die damit verbundenen politischen und operationellen Risiken liegen auf der Hand: Neben der Abhängigkeit von einem Herstellerland begibt sich die Schweiz damit in die Gefahr, kein einsatzfähiges Flugzeug für den Luftpolizeidienst mehr zu verfügen, sollte eines der Flugzeuge einmal aus ungeklärter Ursache verunfallen und damit das Grounding der ganze Flotte verursachen.
Vielsagend ist auch, dass im laufenden Abstimmungskampf in der Schweiz kaum je die Rede von Bewaffnung und Avionik eines neuen Kampfflugzeugs ist. Dabei verursachen Kommunikations-, Steuerungs-, Feuerleitungs- Navigations- und anderes Systeme mittlerweile einen bedeutenden Anteil an den Beschaffungskosten eines Kampfflugzeugs und tragen entscheidend zu dessen Leistungsfähigkeit bei. Und vor allem: Zusammen mit der Bewaffnung bestimmen sie das Einsatzprofil eines Flugzeugs. Dass der Schweizer Bundesrat nun auch wieder Luftaufklärung und den Kampf gegen Ziele am Boden ins Aufgabenportfolio der zu beschaffenden Kampfflugzeuge aufnehmen will, zeugt von seiner Absicht, sich alle Optionen offenzuhalten. Das macht zwar Sinn, ist aber gleichzeitig ein Garant für hohe zu erwartende Folgekosten.
Und zum Schluss stellt sich die Frage nach dem Mengengerüst: Eine Flotte von 10 F/A-18 wurde als genügend beurteilt, um den Verpflichtungen der Schweizer Luftwaffe in Luftpolizeidienst und Anlassschutz nachkommen zu können (14). Für das Training der Luftverteidigung muss sich die Anzahl zu beschaffender Kampfflugzeuge an den Erfordernissen der Ausbildung orientieren. Ausbildung und gemeinsame Übungen im Verbund mit befreundeten Luftstreitkräften und bodengestützter Luftverteidigung führt zu intensiver Nutzung vorhandenen Geräts während kurzer Zeit. Aber dies kann die Beschaffung einer grösseren Anzahl an Flugzeugen ebenso wenig rechtfertigen, wie Luftpolizeidienst und Anlassschutz.
Fazit
In der öffentlichen Debatte um die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge durch die Schweiz überzeugen derzeit weder die Argumente der Befürworter noch der Gegner des Vorhabens. Ebenso wenig überzeugt die Konzeption der Schweizer Luftwaffe, dargelegt im Expertenbericht "Luftverteidigung der Zukunft" (15). Hier könnte durchaus noch etwas Gedankenarbeit geleistet werden, denn die dort präsentierten Überlegungen zum Charakter möglicher zukünftiger Konflikte in Mitteleuropa vermögen ein milliardenschweres Beschaffungsvorhaben nicht zu rechtfertigen. Es fehlt auch an Überlegungen zur Abgrenzung zwischen Wahrung der Lufthoheit in Friedenszeiten und Luftverteidigung in Krisen- und Konfliktlagen. Ob es berechtigt ist, ein Beschaffungsvorhaben im Umfang von 6 Milliarden Schweizer Franken zur Abstimmung vorzulegen, ohne sich bezüglich Anzahl und Typ eines neuen Kampfflugzeugs festzulegen, muss in der Schweiz intern beurteilt werden. Immerhin ist es tröstlich, dass die Schweizer Regierung darauf verzichtete, als Argument eine angebliche russische Bedrohung an den Haaren herbeizuziehen. Dies würde man sich auch in einer allfälligen Debatte in Österreich und Irland wünschen. Ob die Schweiz sich zu einer pragmatischen Lösung durchringen kann, steht – je nach Ausgang der Volksabstimmung -  nach dem kommenden Wochenende zur Debatte. Das wäre eine, die sich weder an ideologischen Glaubensbekenntnissen noch an den Wünschen einer kleinen Gruppe von Luftfahrt-Enthusiasten orientiert.
Anmerkungen:

 

  1. https://www.nzz.ch/meinung/ja-zum-kampfjet-ist-ein-sicherheitspolitisches-zeichen-ld.1574783?reduced=true

  2. https://www.irishtimes.com/news/ireland/irish-news/government-considering-purchase-of-military-jet-aircraft-1.4289801

  3. https://www.doppeladler.com/da/oebh/kein-saab-105-nachfolger-keine-entscheidung-beim-eurofighter/

  4. https://www.cash.ch/news/politik/korruption-airbus-gesteht-schmiergelder-bei-oesterreichs-eurofighter-deal-1476505; https://www.derstandard.at/story/2000112206459/eurofighter-gegengeschaefte-angeblich-uebererfuellt-doch-pilz-und-spoe-zweifeln-zahlen

  5. https://saabgroup.com/de/media/news-press/news/2012-01/ungarn-verlangert-gripen-vertrag/, Über Sinn und Unsinn des Leasing von Saab Gripen durch Tschechien: http://www.doppeladler.com/da/oebh/leasing-neuer-abfangjager/

  6. Zum Beispiel Bulgarien: https://bnr.bg/de/post/101152624/bulgarien-wird-modernstes-kampfjet-modell-f-16-block-70-besitzen; Kauf gebrauchter F-16 Kampfflugzeuge durch Rumänien: https://aerobuzz.de/militar-news/rumaenien-will-zusaetzliche-f-16-kaufen/; Slowakei: https://www.nau.ch/news/europa/slowakei-kauft-amerikanische-f16-kampfflugzeuge-65460745

  7. Erläuterungen des Bundesrates zur Volksabstimmung vom 27. September 2020, hrsg. Von der Bundeskanzlei, 12.06.2020, S. 74 – 85. 

  8. Erläuterungen des Bundesrates zur Volksabstimmung vom 27. September 2020, hrsg. Von der Bundeskanzlei, 12.06.2020, S. 77. 

  9. https://www.nzz.ch/schweiz/hier-ist-ein-szenario-wofuer-schweizer-kampfjets-eingesetzt-werden-koennten-ld.1574845?reduced=true; https://www.nzz.ch/meinung/wehrlosigkeit-ist-kein-wahlschlager-ld.1571163?reduced=true

  10. Ebd. S. 76 und 82. 

  11. Ebd. S. 80f.

  12. https://www.laenderdaten.info/Europa/Schweiz/gesundheit.php

  13. Erläuterungen des Bundesrates zur Volksabstimmung vom 27. September 2020, hrsg. Von der Bundeskanzlei, 12.06.2020, S. 80. 

  14. https://www.cockpit.aero/rubriken/detailseite/news/verfuegbarkeit-der-f-a-18-flotte-reduziert/?no_cache=1

  15. Online verfügbar unter https://www.vbs.admin.ch/de/verteidigung/schutz-des-luftraumes.detail.document.html/vbs-internet/de/documents/verteidigung/sicherheitluftraum/Bericht-Luftverteidigung-der-Zukunft-d.pdf.html

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