Was sieht der Papst, was Berlin nicht sehen will? Zeichen für Verhandlungen? - Ein Zwischenruf

Von Hans-Georg Münster

Seit Tagen beschäftigt mich die Äußerung von Papst Franziskus, der den Ukrainern den Mut zur weißen Fahne und zu Verhandlungen über ein Kriegsende empfohlen hat. Der Papst sagte im Interview mit einem Schweizer Journalisten: „Wenn du deine Niederlage siehst, wenn du siehst, dass es nicht weitergeht, muss man den Mut haben, zu verhandeln.“ Und weiter sagte das Kirchenoberhaupt: „Ich denke, dass derjenige stärker ist, der die Situation erkennt, der an das Volk denkt und den Mut der weißen Fahne hat, zu verhandeln.“ Diese Äußerung wurde auch durch einen Sprecher des Vatikan nicht relativiert. Stattdessen sagte der Sprecher, der Vatikan sei besorgt, dass der Ukraine-Krieg sich ausweiten und noch mehr Tod und Zerstörung bringen könne. Das Risiko einer atomaren Eskalation sei vorhanden. Auch deshalb dringe der Vatikan auf eine Verhandlungslösung.

Das Wort eines Papstes hat in Europa und in der Welt großes Gewicht. Unvergessen ist, wie der polnische Papst Johannes Paul II. mit der Macht des Wortes dazu beitrug, die Herrschaft der Kommunisten in Polen zu beenden. Damit konnte auch Deutschland den Weg zur seiner staatlichen Einheit beschreiten. Der deutsche Papst Benedikt XVI., von dem ehemaligen Journalisten Paul Badde treffend als der letzte Abendländer auf dem Stuhl Petri charakterisiert, warnte bei seinem Besuch in Deutschland 2006 vor den Folgen der schleichenden Unterwanderung Europas durch Muslime, indem er auf ein Zitat des vorletzten byzantinischen Kaisers Manuel II. (1350-1425) zurückgriff: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten.“ Leider folgte keine Debatte über die Folgen der Islamisierung Deutschlands und Europas, sondern es gab eine Empörungswelle gegen Benedikt. 

Heute stellt sich die Situation so dar, dass das katholische Land Polen der engste Verbündete der Ukraine ist, und es in Mitteleuropa abgesehen von den baltischen Ländern wohl kaum ein Land gibt, dass sich so stark gegen Russland positioniert hat wie Polen. Aber was bewegt nun den Papst, sich mit einer Äußerung ausgerechnet gegen die treuesten Gläubigen der Kirche, die Polen, zu stellen? Was weiß der alte Mann in Rom, was die anderen nicht wissen?

Die Äußerung von Franziskus war gewiss mit Bedacht gewählt. Der Vatikan kennt die realen Verhältnisse in Europa besser als manche Regierungszentrale. In Rom denkt man in Dekaden, vielleicht in Jahrhunderten. Man vergisst nie die Geschichte, die der beste Lehrmeister ist, um die Gegenwart besser verstehen zu können. Unvergessen ist mir eine Begegnung mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen der DDR, Klaus Gysi (1912-1999), der sich über die katholische Kirche empörte, weil sie bei der Grenzziehung ihrer Diözesen immer noch nicht die Existenz der DDR berücksichtigen würde. Kurze Zeit danachgab es die DDR nicht mehr.

Dass sich Franziskus regelmäßig mit den Resten seiner Kirche in Deutschland anlegt, ist nicht weiter tragisch, denn die katholische Kirche in Deutschlandgeht unaufhaltsam ihrem Verfall entgegen. Die evangelische Kirche ist auf diesem Weg schon ein ganzes Stück weiter. Dass sich der Papst aber so stark öffentlich auf eine Position festlegt, die das Verhältnis des Vatikan zur starken polnischen katholischen Kirche schwer belasten kann, muss einen wichtigen Grund haben. Und der Grund heißt: Wir stehen in Europa am Rande eines großen Krieges. 

Die deutsche Politik reagierte wie immer: Fassungslos und verständnislos. Aus dem lauten Geschrei gegen Rom (das schon seit Bismarcks Kulturkampf in Deutschland im 19. Jahrhundert bis heute regelmäßig zu hören war und ist) seien nur zwei Äußerungen zitiert. Die frühere CDU-Bundesministerin Julia Klöckner sagte, sie sei als Katholikin „mehr als irritiert“. Wenn man fordere, dass sich jemand ergebe, der überfallen werde, „dann ist das eine Aufforderung an Herrn Putin, mit kirchlichem Segen einfach weiterzumachen. Und Außenministerin Annalena Baerbock von den Grünen sagte: „Ich verstehe es nicht.“


Es machte sich in Berlin auch niemand die Mühe, Franziskus zu verstehen. Regierungs- und CDU-Politiker interpretierten die Äußerungen des Papstes falsch und unterstellten ihm, die Ukraine zur Kapitulation aufgefordert zu haben. Das hat Franziskus nie gesagt, sondern von Verhandlungen gesprochen. Bei der Lektüre zahlreicher Zeitungen und Online- Portale stellte sich schnell heraus, dass dort nur noch Journalisten schreiben, die im Brustton fester Überzeugungen die Worte aus Rom zurückwiesen und den deutschen Politkern nachbeteten. Der Frage, warum der Papst dies gesagt haben könnte, ging keiner der Kommentatoren nach. Und es fällt auf, dass es keine Berichterstatter mehr gibt, die mehr vom Vatikan wissen würden, als dass es sich um einenkleinen Staat mit vielen alten weißen Männern mitten in Rom handelt.

Die Geschichte hat auf deutsche Dummheiten wie von Baerbock und anderen Politikern von Grünen, SPD, CDU/CSU und FDP noch nie Rücksicht genommen. Zyniker könnten meinen, gerade die Deutschen sollten doch wissen, wie viel Leid es bringt, weiße Fahnen zu spät hochzuziehen.

Vielleicht kommt alles doch anders, als sich die Berliner Bellizisten das vorstellen. Der deutsche Journalist Gabor Steingard, dessen „Morning Briefing“ eine große Verbreitung hat, schrieb vor wenigen Tagen: „Die Zeichen verdichten sich, dass der Westen den Krieg verloren gibt und in Kürze versuchen wird, mit Russlands Herrscher einen Deal zu schließen.“ Vielleicht ist es das, was der Papst schon wusste. 

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