Vorbereitung auf den atomaren Konflikt: Deutschland schafft neue Flugzeuge für US-Atombomben an / Nukleare Teilhabe wird wieder intensiviert / Von Abrüstung ist keine Rede mehr

Von Hans-Georg Münster

Büchel ist ein kleiner Ort wenige Kilometer von Cochem (Rheinland-Pfalz) entfernt. In ihrer Internetwerbung lobt die Gemeinde das vielseitige Freizeitangebot und das gelebte Gemeinschaftsgefühl, das zum Wohlfühlen in dem schönen Eifelort beitrage. Einen Kilometer westlich des Ortszentrums lauert jedoch das Grauen: Vermutlich 20 amerikanische Atombomben des Typs B61-3/4 sollen sich in einem besonders stark gesicherten unterirdischen Munitionslager auf dem Gelände des Taktischen Luftwaffengeschwaders 33 der Bundeswehr befinden. Wenn es jemals einen Atomkrieg geben sollte, gehört Büchel zu den Orten, an denen dieser Krieg beginnen wird.

Büchel soll der einzige Standort in Deutschland sein, an dem noch amerikanische Atomwaffen gelagert werden. Vor 1990 soll es noch mehr Standorte gegeben haben. Das Vorhalten dieser Waffen auf dem deutschen Stützpunkt ist Teil der sogenannten „nuklearen Teilhabe“. Diese Teilhabe bedeutet, dass im Fall eines atomaren Konflikts Tornado-Kampfflugzeuge der Bundeswehr die Atombomben aufnehmen und ihre tödliche Fracht zum Ziel fliegen werden. Das Risiko, dass so etwas jemals passieren würde, war in den letzten Jahrzehnten zu vernachlässigen, und die seit 1985 in Büchel stationierten Tornados haben ihre besten Zeiten schon lange hinter sich. Doch spätestens seit Beginn des Ukraine-Konflikts sinkt die Hemmschwelle vor dem Griff zur tödlichsten aller Waffen. Büchel war ursprünglich ein französischer Luftwaffenstützpunkt, gebaut nach dem Zweiten Weltkrieg für die in der französischen Besatzungszone stationierten Truppen. Die Franzosen zogen 1955 ab. 1957 kam die Bundeswehr, und wenig später kamen auch die Amerikaner mit den Atomwaffen.1958 stimmte der Bundestag in Bonn nach hitziger Debatte der Anschaffung von Flugzeugen für die Luftwaffe zu, die die Atombomben- falls aus dem Kalten Krieg ein heißer Krieg geworden wäre – nach Osten in das Gebiet des Warschauer Pakts hätten fliegen und abwerfen sollen. Der SPD-Abgeordnete Karl Mommer beschimpfte den damaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß (CSU) deshalb als „bundesdeutsche Atomkanone“. Die atomare Abschreckung ist bis heute Bestandteil der Nato-Doktrin. Allerdings haben nur drei der 30 Nato-Mitglieder (USA, Frankreich und Großbritannien) eigene Atomwaffen. Nukleare Teilhabe für andere Nato-Staaten bedeutet, dass die USA ihnen Atombomben zur Verfügung stellen. Die teilhabenden Staaten müssen die dafür erforderlichen Flugzeuge in ständiger Bereitschaft halten. Neben Deutschland gehören die Niederlande, Belgien, die Türkei und Italien zur atomaren Teilhabe. In eigener Regie kann jedoch keines dieser Länder Atomwaffen einsetzen. Dafür ist immer die Zustimmung des amerikanischen Präsidenten erforderlich. Beliebt war die nukleare Teilhabe in Deutschland nie. 2010 forderte sogar die amerikahörige CDU/CSU zusammen mit SPD, FDP, und Grünen die Bundesregierung auf, auf einen Abzug der Atomwaffen aus Büchel hinzuwirken. Der damalige Außenminister Guido Westerwelle (FDP) setze sich in Gesprächen mit der US-Regierung intensiv für einen Abzug von Atomwaffen aus Deutschland ein. Infolgedessen wurde in Deutschland nur das Nötigste in die alternden Tornados investiert. Eine Neuanschaffung von Flugzeugen wurde auf die lange Bank geschoben. In der Öffentlichkeit bekannte sich die Bundesregierung natürlich zur nuklearen Teilhabe. Diese sei wichtiger Bestandteil einer glaubhaften präventiven Abschreckung, erklärte die alte Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD noch 2020 auf eine Anfrage der Linksfraktion. Durch die Bereitstellung von Trägersystemen (das sind die Flugzeuge) sichere man zudem den deutschen Einfluss im Bündnis. Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP aus dem Jahr 2021 wurde zwar die Bereitschaft zur Beschaffung eines neuen Flugzeugsystems erklärt, aber wer den Beschluss liest, bemerkt die Schwammigkeit der Formulierung: „Den Beschaffungs- und Zertifizierungsprozess mit Blick auf die nukleare Teilhabe Deutschlands“ werde man „sachlich und gewissenhaft begleiten“. Entschlossenheit sieht anders aus. Mit Beginn der Auseinandersetzungen in der Ukraine vor fast einem Jahr wendete sich das Blatt. Zu der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufenen Zeitenwende gehört eine massive Aufrüstung der Bundeswehr. 100 Milliarden Euro wurden für neue Flugzeuge und Waffensysteme bereitgestellt. Für die nukleare Teilhabe ist die Neuanschaffung von Flugzeugen zum Ersatz der alten Tornados von besonders großer Wichtigkeit. Dazu will Deutschland beim amerikanischen Rüstungsproduzenten Lockheed Martin 35 sogenannte Tarnkappenbomber des Typs F35a beschaffen, die die alternden Tornados ersetzen und als neues Trägersystem für die Atombomben dienen sollen.

Tarnkappenbomber sind für das gegnerische Radar so gut wie unsichtbar. Die Flugzeuge sollen 2026 in Büchel startbereit sein. Die Amerikaner sorgten mit einem Trick dafür, dass von der Bundeswehr Flugzeuge aus US-Produktion und keine aus europäischer Produktion in Büchel beschafft werden können: Die Eurofighter der Bundeswehr wären zwar für die Trägerrolle geeignet, bekommen vom US-Verteidigungsministerium aber keine Zertifizierung für das Tragen der Atomwaffen. Also müssen Flugzeuge in den USA für mindestens zehn Milliarden Dollar bestellt werden. Man kann sicher sein, dass die Beschaffung erheblich teurer werden wird.


Parallel dazu verschärfte sich der Ton der Debatte. Von einem atomwaffenfreien Deutschland ist längst keine Rede mehr. Im Berliner Verteidigungsministeriums heißt es zwar noch, die Nato setze sich uneingeschränkt für Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung von Atomwaffen ein. Das Ziel einer Welt ohne Nuklearwaffen dürfe jedoch nicht losgelöst von den sicherheitspolitischen Realitäten und den bündnispolitischen Verpflichtungen Deutschlands im Rahmen der NATO betrachtet werden. Glaubhafte Abschreckung und Abrüstung seien keine Gegensätze, sondern „zwei komplementäre Seiten eines umfassenden Ansatzes“, so das Verteidigungsministerium. 

Liviu Horovitz von der Stiftung Wissenschaft und Politik wurde in der Zeitung des Bundestages deutlicher: „Die Russische Föderation hat in der vergangenen Monaten klar gezeigt, dass ihre Atomwaffen nicht nur ein Überbleibsel aus vergangener Zeit sind“. Vielmehr seien es Instrumente, deren Moskau sich – hauptsächlich politisch - bedienen wolle, um seine expansiven Ziele zu erreichen. „Entsprechend reagieren nun die Staaten der transatlantischen Allianz darauf“, so Horovitz.

In einem Arbeitspapier der Bundesakademie für Sicherheitspolitik wird Russland für alle Spannungen verantwortlich gemacht und die Bedeutung der nuklearen Teilhabe beschworen: Russland „hat sein gegen Europa ausgerichtetes Waffenarsenal modernisiert, diversifiziert und aufgestockt, wobei es bisweilen seine vertraglichen Verpflichtungen verletzt hat... Wenn ein neuer Ansatz nötig ist, dann ist es nicht die einseitige Abrüstung durch die NATO.“

Stattdessen ist offenbar Aufrüstung angesagt. Von offizieller Seite ist nichts zu erfahren. Die Bundesregierung gibt öffentlich nicht einmal zu, dass in Büchel amerikanische Atombomben stationiert sind. Besser informiert sind oft Atomwaffengegner wie Martin Singe, der Sprecher der Kampagne „Büchel ist überall! Atomwaffenfrei jetzt“. Er berichtet in der Zeitung „Junge Welt“, in Büchel sollten demnächst die neuen B61-12-Atombomben stationiert werden. Diese Bomben seien in der Sprengkraft variierbar und im Endflug zielgenau lenkbar. Dadurch werde die Hemmschwelle für einen Atombombeneinsatz gesenkt, meint Singe.

Und genau das ist das Problem. Deutschland wird immer tiefer in den Ukraine-Konflikt hineingezogen. Erst sollten nur Helme geliefert werden und dann die veralteten Schützenpanzer Marder sowie Gebhard-Flugabwehrkanonen. Jetzt sollen 14 Leopard 2- Kampfpanzer zur Verfügung gestellt werden. Damit würden zum ersten Mal seit den 1940- er Jahren deutsche Panzer auf dem Boden der ehemaligen Sowjetunion russischen Panzern entgegenstehen. Die „Tiger“ und „Königstiger“ der Wehrmacht sind untergegangen, jetzt rückt der Leopard an. Für jeden geschichtsbewussten Menschen ist dies eine Horrorvorstellung.

Die Diskussion um Waffenlieferungen zeigt das ganze Elend der deutschen Politik. Nach jeder Lieferzusage wird eine rote Linie gezogen, die nach kurzer Zeit wieder überschritten wird. Kaum war die Panzerlieferung genehmigt, setzte eine Debatte um die Lieferung von Kampfflugzeugen ein. „Ich halte vom Ziehen roter Linien überhaupt nichts“, erklärte der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, der sich an der deutschen Kriegspropaganda heftig zu beteiligen pflegt. Denn durch das Überschreiten von roten Linien mache man sich unglaubwürdig, so Heusgen, der die von der Bundesregierung maßgeblich finanzierte internationale Konferenz leitet und dort auch deren Sprachrohr ist. Heusgen hat kein Problem damit, die Aufrüstung der Ukraine zu propagieren und sie als Partner des Westens zu hofieren, obwohl es sich bei dem Land um eines der korruptesten Länder der Welt handelt.

Mit einem Einsatz von Atomwaffen durch Russland im Ukraine-Konflikt rechnet Heusgen übrigens nicht. Kreml-Chef Wladimir Putin wisse, dass er keine Atomwaffen einsetzen könne, weil er dann die Unterstützung seines wichtigsten Partners China verliere, das vor einem Atomwaffeneinsatz gewarnt habe. Und das werde er nicht riskieren. Offenbar meint Heusgen, den russischen Bären durch das Liefern immer neuer und wirkungsvollere Waffen immer weiter reizen zu können, statt eine Lösung in Gesprächen zu suchen.

 

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