Vor Sonnenuntergang

Dr. Norbert van Handel

Als Napoleon 1812 Russland angriff und sehr schnell vor Moskau war, dauerte es nur wenige Wochen, bis der russische Oberbefehlshaber Kutusow Napoleon und sein gewaltiges Heer zurückdrängte, was letztendlich zum Ende der napoleonischen Herrschaft führte. Als die deutsche Wehrmacht 1941 bereits knapp vor Moskau war und Russland am Boden schien, drehte Russland mit seinen gigantischen Reserven den Spieß um und drängte die deutsche Wehrmacht nach Stalingrad und Kursk zurück, bis es Stalin gelang 1945 in Berlin einzumarschieren.

Warum weisen wir darauf hin? Weil immer wieder – heute mit ganz anderen Vorzeichen – unterschätzt wird, dass das größte Land der Erde zwar oftmals behäbig reagiert, letztendlich aber meist den Erfolg auf seiner Seite hat. Die eskalierende Situation ist natürlich besorgniserregend und gefährlich.  Weniger die Teilmobilisierung, als der Hinweis auf Nuklearwaffeneinsatz erschreckt die Welt.
Es sind auch nicht die Volksabstimmungen in den überwiegend russisch bewohnten Gebieten Donezk, Lugansk und Nachbarschaft. Hier könnte der Westen sofort zustimmen, wenn die Abstimmungen seriös verlaufen. Auch dies könnte Putin vorgeschlagen werden, indem er Beobachter zu den Wahlen zulässt. Nichts aber geschieht. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass die Abstimmungen wohl getürkt sein würden, anstatt generell einmal festzuhalten, dass es gut ist, wenn die Bevölkerung zu Wort kommt.

Darüber hinaus: was hat man sich denn erwartet?

Die USA und die Nato sind praktisch mit ihren Waffenlieferungen und „Beratern“, vielleicht auch mehr, zumindest materiell in einen Krieg gegen Russland eingetreten.

Die EU mit ihrer unseligen Kommissionspräsidentin schwimmt im Kielwasser der Kriegstreiber mit Milliarden Mitteln, die der Ukraine zur Verfügung gestellt werden.

Nur Träumer können meinen, dass die dramatische Verarmung der Bevölkerungen der 27 EU-Staaten deshalb stattfand, weil Russland bedauerlicherweise gegen die Ukraine Krieg führt. Unbestritten haben die EU-Sanktionen völlig unnotwendigerweise das Wirtschaftsdesaster ausgelöst.

Dass Präsident Selenskyj in fordernder und unangenehmer Weise permanent den Westen auffordert die Ukraine zu unterstützen, mag aus seiner Sicht verständlich sein.
Darauf gehorsam einzugehen heißt, dass das Denken des westlichen politischen Personals sich auf die Wünsche Selenskyjs reduziert. Anstatt mit allen denkbaren Mitteln zumindest einen Waffenstillstand zu erzielen, wird seitens des Westens laufend Öl ins Feuer gegossen und kritiklos alles übernommen, was aus der Ukraine kommt.
Dass man selbstverständlich Flüchtlingen hilft, sie zu Zehntausenden versorgt und versucht sie zu integrieren, ist eine andere Sache – dies entspricht einfach christlicher Nächstenliebe. 

De facto sind die USA und die Nato in den Krieg eingetreten und Russland reagierte.

Clausula rebus sic stantibus

Die römisch rechtliche clausula rebus sic stantibus erlaubt es Verträge zu ändern, wenn sich die entscheidenden Umstände ändern, welche die Geschäftsgrundlage bildeten.

Im Falle der Aktionen der EU wird von Völkerrechtlern zu überprüfen sein, ob sie rechtswidrig ihre Befugnisse übermäßig ausgedehnt hat, denn ihre Aufgabe wäre es Frieden in Europa zu schaffen und den Wohlstand ihrer Mitglieder zu mehren – nicht das Gegenteil.

Viele meinen, dass die EU das Maß legitimer Maßnahmen überschritten hat, wenn sie den eigenen Mitgliedern unverhältnismäßig Schaden zufügt und ihre oben genannten Grundpositionen aufgibt.

Auf welcher Seite stehen wir?

Wir werden oft durchaus kritisch gefragt, auf welcher Seite wir denn stehen würden. Dazu dürfen wir klar sagen:

  • Die Österreichische Liga St. Georg 2022 bezieht sich auf die konservativ-liberalen Werte des so genannten „Christlichen Abendlandes“.

  • Christentum ist für uns entscheidend, sodass wir gerade in dieser Situation Katholiken, Protestanten, russisch-Orthodoxe und ukrainisch-Orthodoxe und auch Juden und Moslems zu gemeinsamen Gebeten für Frieden in Europa auffordern.

  • Österreich ist ein neutrales Land und zur Neutralität bekennen wir uns.

  • Wir bekennen uns auch zur Landesverteidigung im Sinne des römischen Leitsatzes: „Si vis pacem para bellum“ – „Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor“. Das heißt, stärke deine Verteidigungsfähigkeit (was leider bis jetzt noch nicht geschehen ist).

  • Den Krieg in der Ukraine haben wir immer bedauert und auch völkerrechtlich verurteilt, mit der Einschränkung, dass wohl alle, meist auch die amerikanischen Kriege völkerrechtswidrig waren, ohne dass ein Aufschrei durch die internationale Gesellschaft ging - leider.

  • Wir haben immer gefordert, dass auf allen Ebenen laufend und ständig Friedensverhandlungen geführt werden, dies vor allem auch von den neutralen Ländern. Allerdings hat beispielsweise Österreich momentan eine Regierung, der die Neutralität und die ihr angeschlossene Landesverteidigung kaum mehr etwas zu bedeuten scheint.
    Wenn die Troika Bundeskanzler, Europaministerin und Außenminister nach Brüssel reist, um dort jene Befehle zu empfangen, die die EU von Washington bekommen hat, zeigt uns das wieder, wie politisch verfehlt das ist.
    Der Auftrag, den sie durch die Wähler bekommen hat, lautet anders.

  • Bei der Beurteilung des Ukraine Krieges erlauben wir uns auch immer die Vorgeschichte zu bewerten, die wesentlich mit dem - wir betonen nochmals bedauerlichen - Angriffskrieg zu tun hat.
    Wir meinen, dass Russland jahrelang provoziert wurde und nun – leider – die aus seiner Sicht notwendigen Konsequenzen zieht.

  • Wir vertreten klar das völkerrechtliche Nichteinmischungsprinzip und sind der Meinung, dass unser Gesellschaftssystem eben unseres ist und andere Gesellschaftssysteme, ob Autoritarismus oder kapitalistischer Kommunismus eben die Systeme anderer Länder aufgrund deren Geschichte und deren Kulturen und Strukturen sind.
    Wir hüten uns, ständig oberlehrerhaft gegen die Verhältnisse anderer Staaten zu intervenieren.

  • Manche meinen heute, dass Russland vertragsbrüchig sei, weil es seine Energielieferungen an den Westen einstellt.
    Ja tickt man denn noch richtig? Wenn ein Land pausenlos vom gesamten Westen angegriffen wird, politisch, verbal und vor allem durch Waffenlieferungen etc., ist es doch wohl selbstverständlich, dass es sich in einer Form wehrt, die dem Angreifer nicht nützt, sondern schadet?

  • Wir sind der Meinung, dass die EU in stümperhafter und unverantwortlicher Weise sich zum Teil eines Krieges, der zwischen den USA/Nato und Russland stattfindet, auf einer Seite positioniert hat, statt sich neutral zu verhalten.
    In diesem Zusammenhang erinnern wir uns daran, dass die Doctrinen von Breschinsky, Wolfowitz etc. das widerspiegeln, was der bekannte Universitätsprofessor George Friedman vor einiger Zeit gesagt hat: „Die USA wollen Russland nicht zerstören, aber schwächen und ihre monopolare Situation über die Welt stärken. Das Ärgste wäre für die USA, wenn Deutschland und Russland zusammengingen, denn dann wäre ihre Vormachtstellung mehr als gefährdet.“ (wir zitieren sinngemäß)

  • Menschenrechtliche Erwägungen sind immer wichtig, allerdings sollte die nationale Politik in erster Linie das eigene Land schützen. Diese Politik wurde von der EU und ihren Mitgliedsstaaten, vor allem auch vom neutralen Österreich, sträflich vernachlässigt.

  • Zur Wirtschaftslage: Die goodies der verarmenden Bevölkerung zuzuteilen, freut diese sicher. Es löst aber kein Problem.
    Entscheidend wird sein, wie die Wirtschaft, und zwar Mittelstand und Handel, vor allem aber auch die größere Industrie, über die Runden kommt, denn auch die Gewerkschaften sollten wissen, dass Massenentlassungen und immer mehr Kurzarbeit dem Staat nicht nur Milliarden kosten, sondern vor allem auch seine Möglichkeiten sozial tätig zu werden verhindert.
    Es wird in nächster Zukunft der Staatshaushalt immer unfinanzierbarer werden. Schließt man davor die Augen?

 

Bilder: depositphotos, screenshoot

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