Ukrainer konnten Nord Stream nicht sprengen / Experte: Segelyacht war völlig ungeeignet / In Berlin dreht sich der Propaganda-Wind

Von Hans-Georg Münster

Zu den abenteuerlichsten Erzählungen im Ukraine-Konflikt gehört die Story von den heldenhaften ukrainischen Tauchern, die die Erdgas-Pipelines Nordstream in der Ostsee gesprengt hätten. In deutschen Medien wird diese Geschichte regelmäßig wiederholt. Die deutscheGeneralbundesanwaltschaft erließ sogar einen Haftbefehl gegen den ukrainischen Staatsbürger Wolodymyr Z. Dem Tauchlehrer wird vorgeworfen, mit einigen Helfershelfern auf der Yacht Andromeda an die Tatorte in der Ostsee gefahren zu sein und die Pipelines in die Luft gesprengt zu haben. Jetzt hat das erste größere Medium in Deutschland die Geschichte untersucht und einen Experten befragt, der bestätigte, was Militär-Blogger von Anfang an geschrieben und Militärs hinter vorgehaltener Hand zugegeben haben: Die Ukrainer können es nicht gewesen sein; es war technisch unmöglich, die Pipelines mit diesen beschränkten Mitteln zu sprengen.

Die Bild-Zeitung befragte den Tauchexperten Sven Thomas, Chef der Wasserrettung in Halle an der Saale. Der Mann ist Experte für Tauchgänge und Bergungen. Er arbeitet derzeit mit einem 30 Meter langen Ponton auf dem Arendsee bei Stendal in Deutschland in 34 MeternTiefe. Dort wird ein 800 Jahre altes Wrack untersucht. „Für die Tauchgänge in 34 Metern Tiefe ist ein Ponton mit vier Ankerketten befestigt, um die Position zum Wrack exakt zu halten – und das bei geringstem Wellenschlag. Dafür sind mehrere hundert Meter Ankerkette und Leinen nötig." Die Andromeda hatte an Bord lediglich einen 25 Kilo-Anker und 100 Meter Kette und Leine. Und das soll angeblich gereicht haben für eine Tauchtiefe von 90 Metern in rauer See. Die Zeitung zitiert den Experten: „25 Kilo Ankermasse sollen 17 Tonnen Boot und Ausrüstung stabil halten? Unmöglich!“

Weitere Ungereimtheiten: Die Zahl der benötigten Tauchflaschen für die Tauchgänge hätten gar nicht auf das Boot gepasst. Für die Anbringung des Sprengstoffes wäre ein Unterwasser-Scooter notwendig gewesen. Das hätte die Andromeda alles nie tragen können. Thomas: „SolcheBombensätze kriegen sie nicht ohne Kran und Gegengewichte ins Wasser, sonst kentert das Boot.“ Fazit: „Mit der Andromeda allein war diese Aktion nicht zu machen.“ Der Experte vermutet, dass es ein weiteres Boot gegeben haben müsse.

Aber auch ein zweites Boot von der Größe der Andromeda oder größer reicht nicht, um die Dimension des Anschlags zu erklären, ganz abgesehen davon, dass ein Tauchlehrer und ein paar Zivilisten nicht in der Lage gewesen sein können, komplizierte Sprengungen durchzuführen. Es kann sich nur um eine militärische Spezialoperation gehandelt haben, möglicherweise unter Beteiligung von U-Booten. Über Spezialkräfte, die in 90 Metern Tiefe Sprengsätze anbringen und zur Explosion bringen können, verfügen weder die Ukraine noch Polen und auch nicht Deutschland. Allenfalls die USA kommen dafür in Frage. Ein amerikanischer Marineverband hielt sich in zeitlicher Nähe zum Anschlag in der Ostsee auf. Der amerikanischen Investigativ-Journalist Seymour Hersh berichtete bereits Anfang 2023, dass US-Marinetaucher unter dem Deckmantel der NATO-Übung BALTOPS in der Ostsee heimlich einen fernzündbaren Sprengstoff an den Pipelineröhren angebracht und ihn später ausgelöst hätten. US-Präsident Joe Biden hatte am 7. Februar 2022 in Anwesenheit von Bundeskanzler Olaf Scholz erklärt, die USA würden der Nord-Stream-2-Pipeline „ein Ende bereiten“, falls Russland eine Invasion in die Ukraine unternehme. Auf die Frage: „Aber wie wollen Sie das genau machen, da […] das Projekt unter deutscher Kontrolle ist?“  hatte Biden geantwortet: „Ich verspreche Ihnen, wir werden es schaffen“ 

Es fragt sich, warum die Bundesanwaltschaft angesichts dieser leicht zu ermittelnden Tatsachen überhaupt einen dringenden Tatverdacht (der Beschuldigte muss mit sehr großer Wahrscheinlichkeit die Tat begangen haben) gesehen und Haftbefehl gegen den Ukrainer erwirkt hatte. Bekanntlich müssen deutsche Anklagebehörden auch Tatsachen ermitteln, die einen Beschuldigten entlasten können. Das ist in diesem Fall offenbar unterblieben. Die Schlagzeilen, die so ein Haftbefehl auslöst, waren wichtiger. Die Propaganda über angebliche ukrainische Heldentaten konnte damit weiter befeuert werden. Ein kleines Detail zeigt, wie "ernst" die Bundesanwaltschaft den Haftbefehl wirklich genommen hat. Man vergaß, den Haftbefehl in das Schengen-Register einzutragen, so dass bei der Ausreise des Gesuchten über Polen in die Ukraine die polnischen Behörden gar nicht wissen konnten, dass der Ukrainer von den deutschen Behörden gesucht wurde. So konnten sie ihn auch nicht verhaften und an Deutschland ausliefern. 

Ein anderes Detail ist auch interessant. Die Ermittlungen in Deutschland richten sich gegen ukrainische Staatsbürger, die möglicherweise im Auftrag der Regierung in Kiew gehandelt haben könnten. Solche Gerüchte tauchten jedenfalls auf. Es wäre das Gebot der Stunde für die Bundesregierung gewesen, den ukrainischen Botschafter ins Auswärtige Amt einzubestellen und ihn zu fragen, was die Regierung der Ukraine mit der Zerstörung von Milliardenvermögen deutscher Unternehmen in der Ostsee zu tun haben könnte. Nichts dergleichen geschah.

Die deutschen Medien sind schon lange nicht mehr so unabhängig von der Regierung, wie sie das von sich behaupten. Somit stellt sich bei dieser Bild-Geschichte die Frage, was die Veröffentlichung bezwecken soll. Der Springer-Verlag, zu dem die Bild-Zeitung gehört, hätte sich nie getraut, ein so wichtiges Element der pro-ukrainischen Propaganda als Lüge zu enttarnen. Es steckt mehr dahinter. Offenbar will sich Berlin angesichts der amerikanischen Präsidentschaftswahlen in der Ukraine-Politik anders positionieren. Schon länger ist zu beobachten, dass die öffentliche Unterstützung für Kiew zurückgeht. In Berichten ist inzwischen von einem Zusammenbruch der ukrainischen Front die Rede. 

Nach der Wahl in den USA könnte es Bewegung in der internationalen Politik geben – ganz unabhängig davon, ob Kamala Harris oder Donald Trump gewinnt. Eine Reduzierung der Hilfen für das Regime in Kiew steht im Raum, wenn nicht sogar die Einstellung der Unterstützung.Berlin will nicht der letzte Freund der Ukraine in Europa und der Welt sein. Das steckt hinter dieser kleinen Geschichte – nicht mehr, aber auch nicht weniger. 

Bilder: depositphotos

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