Regionalwahlen und Corona: Schwierige Zeiten für die Ukraine

Von Joseph Mathias Roth

In der Ukraine fand am 15. November die zweite Runde der Regionalwahlen statt. Schon in der ersten Runde zeigte sich, dass die Unzufriedenheit mit der Regierung in Kiew stark gewachsen ist.
Landesweit gehörte die russlandfreundliche „Oppositionsplattform“ zu den Gewinnern der Wahl. Sie konnte vor allem im Osten und Süden des Landes Erfolge erringen. Dagegen lagen in den Gemeinden der Westukraine die Partei des früheren Präsidenten Petro Poroschenko wie auch ukrainisch-nationalistische Parteien häufig vorne.
Die Partei „Diener des Volkes“ von Präsident Wolodymyr Selenskyj, die auch die Regierung stellt, schnitt fast überall enttäuschend ab. So blieb sie beispielsweise in Kiew unter 10% der Stimmen. Hier wurde Bürgermeister Klitschko bereits im ersten Wahlgang mit 50,2% der Stimmen wieder gewählt. Seine Partei „Udar“ steht der Partei von Poroschenko relativ nahe. In Odessa konnte sich Amtsinhaber Hennadij Truchanow  in der Stichwahl am 15. November durchsetzen.
Der ausgebliebene Frieden für die Ostukraine dürfte ebenso zum schlechten Abschneiden der Partei „Diener des Volkes“ bei den Regionalwahlen beigetragen haben wie die unzureichenden Erfolge bei der Korruptionsbekämpfung. Dabei war gerade der versprochene Kampf gegen die Korruption mit entscheidend für Selenskyjs Erdrutschsieg bei den Präsidentschaftswahlen 2019. Selenskyj, der zuvor Fernsehschauspieler war, galt den Wählern als noch nicht vom Politikbetrieb korrumpiert. Unter seinem Vorgänger Petro Poroschenko zog sich die Korruption durch fast sämtliche Bereiche von Politik und Wirtschaft.
Doch Selenskyj konnte bisher die Korruption und den Einfluss der Oligarchen nur sehr begrenzt zurückdrängen. Aktuell schlägt ein Konflikt um das ukrainische Verfassungsgericht hohe Wellen in der ukrainischen Öffentlichkeit. Ende Oktober reichte Selenskyj einen Gesetzentwurf im Parlament ein, mit dem er die Amtszeit der Verfassungsrichter vorzeitig beenden wollte.
Anlass für Selenskyjs Angriff auf das Verfassungsgericht waren einige umstrittene Urteile. So hatten die Verfassungsrichter mehrere Verordnungen der Regierung zur Korruptionsbekämpfung als verfassungswidrig eingestuft. Das Gericht entschied, dass die Strafen für Falschangaben bei der Vermögenserklärung von Beamten „unverhältnismäßig“ seien. Allerdings gilt ein nicht kleiner Teil der ukrainischen Beamten als korruptionsanfällig.
Die EU stellte sich eindeutig auf die Seite Selenskyjs. Ein Sprecher der Europäischen Kommission sagte zum Urteil über die Vermögenserklärung, dieses werde „weitreichende Folgen für die gesamte Infrastruktur der Korruptionsbekämpfung in der Ukraine haben“. Vonseiten der EU wurde die Warnung ausgesprochen, dass der visafreie Reiseverkehr für Ukrainer in die EU und finanzielle Hilfen der EU für die Ukraine nur bei einer erfolgreichen Korruptionsbekämpfung garantiert seien.
Allerdings traf Selenskyjs Initiative zur Absetzung der Richter sowohl bei der Opposition als auch in Teilen seiner eigenen Partei auf Kritik. Deshalb ruderte Selenskyj Anfang November etwas zurück und rief nun die Richter zur freiwilligen Amtsaufgabe auf: „Daher sollten sie, wenn sie ihre Würde und ihr Ansehen in der Gesellschaft bewahren wollen, von sich aus ihren Rücktritt erklären.“ Selenskyj hatte erkannt, dass er selbst keine rechtliche Möglichkeit hat, die Verfassungsrichter abzurufen. Andernfalls hätte er einen offenen Verfassungsbruch begangen. In diesem Fall hätte ihm auch die Rückendeckung der EU nicht geholfen.
Beendet ist der Konflikt um das Verfassungsgericht aber noch lange nicht. Zudem ist davon auch die Arbeit des „Nationalen Antikorruptionsbüros“ betroffen. Dies hat die Aufgabe, gegen die massive Korruption im Land vorzugehen, doch seine Arbeit wird von verschiedenen politischen und wirtschaftlichen Interessengruppen hintertrieben.
Bisher ist die Reformpolitik Selenskyjs nur von begrenztem Erfolg. Vadym Halyschuk, Abgeordneter von „Diener des Volkes“, betont in der Online Konferenz einer ukrainischen Stiftung Anfang November: „Wir stehen erst am Anfang des Reformprozesses. Wir sind erst ein gutes Jahr in der Regierung“.      
Auch der Krieg in der Ostukraine geht weiter, obwohl Selenskyj hier ebenfalls Verbesserungen versprochen hatte. Aber immerhin wurde ein seit Juli bestehender Waffenstillstand von beiden Seiten weitgehend eingehalten. Ende Oktober kam es dann allerdings zu erneuten Gefechten.
Bei der Umsetzung des Minsker Friedensplan von 2015 gibt es kaum Fortschritte. So ist die Bestimmung des Friedensplans, dass in den Separatistengebieten regionale Wahlen abgehalten werden und diese einen Sonderstatus in der ukrainischen Verfassung erhalten, nicht verwirklicht worden. Selenskyj wird in der Frage des Sonderstatus von den nationalistischen Kräften in der Opposition unter Druck gesetzt, die darin ein Entgegenkommen an die Aufständischen in der Ostukraine sehen. Ein Fortschritt bei den festgefahrenen Friedensverhandlungen ist allerdings nur möglich, wenn den Gebieten Donezk und Lugansk der geforderte Sonderstatus endlich eingeräumt wird.
Sicher hat auch die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage zum schlechten Abschneiden der Regierungspartei bei den Regionalwahlen beigetragen. Aufgrund der rasch steigenden Corona Erkrankungen seit August wurden wieder neue Beschränkungen verfügt. Die Ukraine zählt zu den Ländern mit dem niedrigsten Bruttosozialprodukt per Kopf in Europa. Die Schwäche der ukrainischen Wirtschaft macht das Land für die Folgen der Coronakrise besonders verwundbar. Der starke Rückgang des Handels mit Russland seit 2014 kann von der Ukraine nicht kompensiert werden. Die Ukraine hat von ihrer politischen Bindung an die EU und die USA wirtschaftlich nicht profitieren können.
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