Raketenabwehr Arrow 3: Wachsende Abhängigkeit von Amerika / Berliner Nadelstiche gegen Paris

Von Hans-Georg Münster

Für Militärs ist das Waffensystem „Arrow 3“ (auf deutsch Pfeil) ein technisches Wunderwerk. Greift ein Feind mit Boden-Boden-Raketen selbst aus 100 Kilometern Höhe an, schießt Arrow 3 die Bedrohung ab. Das von „Israel Aerospace Industries“ und dem amerikanischen Rüstungskonzern Lockheed Martin gemeinsam hergestellte System besteht aus Radargeräten, Starteinrichtungen, Lenkflugkörpern und einem Gefechtsstand. Arrow 3 kann feindliche Raketen durch einen direkten Treffer - englisch "Hit-toKill" - unschädlich machen. Durch einen Splittersprengkopf kann das System mit einem Näherungszünder auch knapp vorbeifliegende Raketen zerstören. Die „Anti-Raketen-Rakete“ kann bis zu 2.500 Meter pro Sekunde schnell werden – fast so schnell wie die russische „Kinschal“-Rakete - und wird jetzt von Deutschland beschafft. Erste Schäden hat sie bereits vor der Installation angerichtet: Die französische Regierung ist schwer enttäuscht, dass die Bundeswehr bei der Raketenabwehr auf israelische und US-Technik setzt und nicht auf eine europäische Gemeinschaftsentwicklung. Außerdem begibt sich Deutschland damit noch stärker in die Abhängigkeit von den USA, die die Beschaffung genehmigen mussten (und vermutlich auch einem Einsatz zustimmen müssten).

Berliner Politiker sind dennoch begeistert. Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ließ inzwischen eine Absichtserklärung über den Kauf von Arrow 3-Systemen unterschreiben – rund ein halbes Jahr früher als ursprünglich erwartet. „Mit dem Lenkflugkörper Arrow 3 sollen weitreichende feindliche Flugkörper außerhalb der Erdatmosphäre durch einen direkten Treffer zerstört werden“, heißt es in der Beschlussvorlage des Haushaltsausschusses des Bundestages, der bereits grünes Licht für die Anschaffung gab. Als Kosten sind derzeit vier Milliarden Euro im Gespräch, wobei jedermann klar sein dürfte, dass die spätere Rechnung – wie bei Rüstungsprojekten üblich - ein Mehrfaches betragen dürfte. Das Geld soll aus dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen kommen, das nach Beginn der Kriegshandlungen in der Ukraine 2022 eingerichtet wurde. Außerdem werden für eine Milliarden Euro Iris-T-Systeme zur Bekämpfung von Flugobjekten kürzerer Reichweite beschafft. Einen Teil dieser Systeme hatte die Ukraine aus Beständen der Bundeswehr erhalten. Sie werden jetzt ersetzt.

Die Beschaffung von Arrow 3 für die Bundeswehr sei „historisch“, lobte der SPD-Verteidigungsexperte Andreas Schwarz in der Haushaltsdebatte des Deutschen Bundestages. Es sei das erste Mal, dass Israel dieses Abwehrsystem gegen Raketen ins Ausland liefere. Israels Verteidigungsminister Joav Galant hob die "bedeutende Entscheidung“ hervor, die auch der Wirtschaft Israels dienen werde. Besonders bedeutsam sei, „dass Deutschland ein israelisches Verteidigungssystem kauft“. Arrow 3 sei ein „bahnbrechendes System, das fortschrittlichste dieser Art auf der Welt, ein Kraftverstärker der israelischen Luftabwehr - und bald auch derer in Europa“, erklärte Galant. Die erste Arrow 3-Einheit soll auf dem Fliegerhorst Holzdorf in Sachsen-Anhalt installiert werden. 2025 soll sie die sogenannte Anfangsbefähigung erreicht haben. Das komplette System soll 2030 einsatzbereit sein – erstaunlich schnell für ein so umfangreiches System. Nach Angaben des Inspekteurs der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz, sind weitere Standorte in Schleswig-Holstein und Bayern geplant.

Dass ausgerechnet Israel bei der militärischen Raketentechnik so große Fortschritte erzielt hat, hat gute Gründe: Das Mittelmeerland steht unter ständiger Bedrohung von arabischen Nachbarn. Aus den Palästinensergebieten wird Israel regelmäßig – wie derzeit wieder zu erleben - mit kleinen Raketen angegriffen, gegen die man versucht hat, einen Schutzschirm einzurichten. Gegen mögliche Bedrohungen aus dem Iran, der effektive Waffensysteme in Eigenregie entwickelt hat, wurde unter anderem Arrow 3 geschaffen. In Deutschland hat man weniger den Iran, sondern mehr Russland mit seinen großen Waffenarsenalen im Blick: „Wir haben das Thema der Luftverteidigung lange Zeit nicht besonders ernst genommen und entsprechende Systeme ausgedünnt. Im Grunde sind wir schutzlos. Und was das bedeuten kann, hat man in der Ukraine gesehen“, erklärte der frühere Bundeswehr-Oberst Ralph Thiele, inzwischen Präsident von „Eurodefense“ im Interview mit dem Westdeutschen Rundfunk (1). „Eurodefense“ ist eine Berliner Vorfeldorganisation der Rüstungslobby.

Für Thiele ist die Beschaffung von Arrow 3 kein Nadelstich gegen Franzosen und andere Europäische Länder. Im Gegenteil: Er lobt Bundeskanzler Olaf Scholz, der im Oktober 2022 die Initiative "European Sky Shield" mit ins Leben gerufen habe, in der 19 europäische Nationen ihre Luftverteidigung abstimmen, „und in der Deutschland vorangeht“. Genau das ist aber das Problem: Mit ihrer vorschnellen Entscheidung für Arrow 3 stieß Berlin die Regierung in Paris vor den Kopf, die auch ebenso wie Spanien, Polen und Italien nicht beim "European Sky Shield" mitmacht.

Frankreich wollte sein zusammen mit Italien entwickeltes System „SAMP/T Mamba“ weiterentwickeln und hoffte auf Verkäufe in ganz Europa. Der deutsche Alleingang zerstörte diese Hoffnung und bringt überdies Probleme für eine gemeinsame europäischen Luftverteidigung mit sich, weil die unterschiedlichen Systeme nur mit großem Aufwand kompatibel gemacht werden können – wenn überhaupt. „Die Entscheidung, ein israelisches Raketenabwehrsystem zu kaufen, wurde in Frankreich mit großem Entsetzen wahrgenommen. Verteidigungspolitisch mag es sinnvoll sein, aber Frankreich fehlt die industriepolitische Zukunftsperspektive“, kritisierte etwa Guntram Wolff, Präsident und CEO der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in einem Interview mit der Wirtschaftswoche. Was er nicht sagte: Deutschland bindet sich mit der Entscheidung noch enger an die USA und schränkt seinen Spielraum in der Sicherheitspolitik immer weiter ein. Eigene deutsche Initiativen, zum Beispiel zur Beendigung des Konflikts in der Ukraine werden immer schwieriger, wenn das Pentagon de facto Mitbefehlshaber bei Bundeswehr-Waffen ist.

Israel mit seiner innovativen Rüstungsindustrie kommt immer besser mit Deutschland ins Geschäft. Nachdem die Bundeswehr schon israelische Heron-Drohnen einsetzt, soll jetzt ein Schutz für deutsche Regierungsflugzeuge durch ein Infrarot-Gegenmaßnahmen-System des israelischen Herstellers Elbit angeschafft werden. Das gemeinsam mit dem deutschen Unternehmen Diehl angebotene System („Directed Infrared Countermeasure“- DIRCM) besteht aus Sensoren, die die von Lenkwaffen ausgehende Infrarotstrahlung erfassen. DIRCM stört die Infrarot-Suchköpfe der angreifenden Waffen mit Laserstrahlen. Die Angreifer sollendadurch blind werden und das Flugzeug nicht mehr sehen können. Laut Diehl handelt es sich um einen „360-Grad-Rundumschutz“.

(1) Luftabwehr in Deutschland: "Im Grunde sind wir schutzlos" - Nachrichten - WDR

Bilder: depositphotos

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