Putin vor ein Sondertribunal? Die neue Koalition in Berlin leidet an Selbstüberschätzung

Von Hans-Georg Münster

Die sich anbahnende neue deutsche Regierung aus Union und SPD hat ihren Koalitionsvertrag vorgelegt. Das 144 Seiten starke Dokument ist ein sicherheits- und geopolitischer Alptraum. Die Bundesregierung will danach allen Ernstes dafür sorgen, dass der russische Präsident Wladimir Putin wegen der Auseinandersetzungen in der Ukraine vor ein "Sondertribunal" gestellt wird. Statt die eigene Wirtschaft in Ordnung zu bringen, die Masseneinwanderung zu begrenzen und Reformen in der träge gewordenen Bundesrepublik anzustoßen, verlegt sich die Regierung des künftigen Kanzlers Friedrich Merz auf außenpolitisches Abenteurertum und bekräftigt ihre Nibelungentreue zur korrupten ukrainischen Regierung.

Wörtlich heißt es auf Seite 126 des Dokuments: "Wir unterstützen die Einrichtung eines Sondertribunals, um das Verbrechen der Aggression gegen die Ukraine angemessen zu verfolgen und zu ahnden." Das bedeutet nichts anderes, als dass Putin und den für das Militär verantwortlichen russischen Regierungsmitgliedern sowie Angehörigen der russischen Streitkräfte der Prozess gemacht werden soll. Offenbar hat sich in Berlin bisher nicht das Ausmaß der Korruption in der Ukraine herumgesprochen und auch nicht, dass Präsident Selenskyj die demokratische Legitimation fehlt, weil seine Amtsperiode längst abgelaufen ist. Anders ist der folgende Satz nicht zu erklären: "Die Ukraine als starker, demokratischer und souveräner Staat, der eigenständig und mit euroatlantischer Perspektive über seine Zukunft bestimmt, ist von zentraler Bedeutung für unsere eigene Sicherheit. Wir werden deshalb unsere militärische, zivile und politische Unterstützung der Ukraine gemeinsam mit Partnern substanziell stärken und zuverlässig fortsetzen." Die "euroatlantische Perspektive" ist ein Schlüsselbegriff: Besagt dieser Begriff doch, dass Berlin dafür sorgen will, dass die Ukraine in NATO und Europäische Union aufgenommen wird. Damit stellt man sich kompromisslos gegen die russische Position.

Kein Wort findet sich in dem Dokument zum deutsch-russischen Verhältnis, das dringend einer Verbesserung bedarf. Statt wieder einen Dialog mit Moskau anzustreben, verlegen sich Union und SPD auf antirussische Hetze: "Unsere Sicherheit ist heute so stark bedroht wie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Die größte und direkteste Bedrohung geht dabei von Russland aus, das im vierten Jahr einen brutalen und völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt und weiter massiv aufrüstet. Das Machtstreben von Wladimir Putin richtet sich gegen die regelbasierte internationale Ordnung." Deshalb soll die Ukraine weiter aufgerüstet werden, bis sie "aus einer Position der Stärke und auf Augenhöhe" bei Verhandlungen mit Russland agieren kann.

Zugleich wollen sich die Berliner Politiker wie Imperialisten früherer Tage fremdes Staatseigentum unter den Nagel reißen und für ihre Zwecke verwenden: "Wir suchen in Abstimmung mit unseren Partnern nach Möglichkeiten, das eingefrorene russische Staatsvermögen zur finanziellen und militärischen Unterstützung der Ukraine wirtschaftlich zu nutzen." Damit wird der direkte Zugriff auf russisches Vermögen (bisher ging es nur um Zinserträge) nicht mehr ausgeschlossen. Das wäre genau die Verletzung der "regelbasierten Ordnung", deren Einhaltung Berlin sonst so gerne zu fordern pflegt.

Die Realität wird von den Koalitionsparteien ausgeblendet. Die Ukraine kann diesen Konflikt militärisch nicht gewinnen. Die USA und Russland sprechen über Möglichkeiten, wie der Konflikt beendet werden kann. Dazu findet sich kein Satz im Koalitionsvertrag. Manwill lieber Kiew aufrüsten und die Kanonen donnern hören. Deutschland vergisst, dass es mit seiner Nibelungentreue zu Kiew schnell in Europa isoliert sein könnte, wenn sich der Wind drehen wird. Und er wird sich drehen.

Dass der amerikanische Präsident Donald Trump in der Berliner Regierung keine Sympathien genießt, ist dem Dokument anzumerken, auch wenn der Name des Präsidenten nicht erwähnt wird. "Die Beziehungen zu den USA bleiben von überragender Bedeutung. Die transatlantische Partnerschaft ist eine große Erfolgsgeschichte für beide Seiten, die es auch unter den neuen Bedingungen fortzusetzen gilt", heißt es in dem Dokument. Die Partnerschaft will man also nicht wiederherstellen oder ausbauen, sondern nur "fortsetzen". Da schimmert Distanz zur US-Administration durch, zumal die Forderungen aus Washington nach höheren deutschen Verteidigungsanstrengungen nur allgemein beantwortet werden. Trotz eines geschaffenen "Sondervermögens" von 500 Milliarden Euro für militärische Zwecke bleibt unklar, welchen Weg Berlin einschlagen will. Damit bleibt Deutschland wie schon in den letzten Jahren ein unsicherer Kantonist in Europa und riskiert mit seinem Festhalten an Selenskyj die Isolierung, die es angesichts seiner geografischen Lage mitten in Europa dringend vermeiden müsste.

 

Bilder: depositphotos / screenchoots

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