Von Dr. Norbert van Handel
Es war immer meine Meinung, dass der Austritt Großbritanniens aus der EU für diese einen schmerzhaften Verlust darstellen wird.
Das Vereinigte Königreich hatte, abgesehen davon, dass es ein beachtlicher Nettozahler und seine Verteidigungsbereitschaft am letzten Stand war, eine unglaublich wichtige Kontrollfunktion in der EU.
Diese wird vor allem aus einer Rede Margaret Thatchers deutlich, die vor Jahren sagte: „Wir haben in Großbritannien nicht erfolgreich den Staat zurückgedrängt, nur damit er uns auf europäischer Ebene durch einen aus Brüssel beherrschten Superstaat erneut aufgezwungen wird.“
Persönlich war ich immer der Meinung, dass es zu einem zweiten Referendum kommen würde, da sich die Ausgangslage seit der Abstimmung 2016 wesentlich geändert hat. Dies war wohl kontinentaleuropäisch gedacht. Ich unterschätzte dabei, dass die Engländer, trotz ihres von uns oft als etwas skurril betrachteten politischen Systems, bei Entscheidungen, die einmal getroffen waren, bleiben. Dies ist auch aus ihrer Geschichte erklärbar.
Sieht man sich nämlich die lange Historie Englands an, so war sie immer, mehr als uns das vielleicht klar war, durch ihr Inseldasein geprägt. England intervenierte dann am Kontinent oder in der Welt, wenn es um seine Interessen fürchtete: am Kontinent, wenn das Gleichgewicht der Nationen zu kippen drohte und in der Welt, wenn die Vormachtstellung der Briten durch andere Kolonialmächte gefährdet war. Dies war der Fall, als Frankreich und Spanien ihr koloniales Erbe verteidigen oder ausdehnen wollten (Spanischer Erbfolgekrieg) oder bei Russland, als dieses den Einfluss des Vereinigten Königreichs in Persien gefährdete (Krim Krieg). Es kam auch noch etwas anderes dazu: die oft blutige Geschichte der Inseln, die auch zur Exekution von Königen führten (Eduard II., Karl I.) festigte eine Nation in einer Weise, die für den Kontinent undenkbar gewesen wäre.
Die Magna Carta, die englische Barone dem Bruder Richard Löwenherz, Johann Ohneland, abzwangen, begann sehr früh ein haltbarer Vertrag zwischen Nation und Dynastie zu werden. Diese Bewegung setzte sich durch den Wechsel von Dynastien fort, wobei fast jede Dynastie dazu verpflichtet wurde, Adel und Volk mehr Rechte zu geben. Dies zuletzt in der Parlamentsreform 1832.
Absolutismus im europäischen Sinne fand in England nicht statt. Ebenso wenig, wie die Entwicklung eines fast schon perversen Feudalstaates, wie sie unter Ludwig XIV. in Frankreich begann und mit der französischen Revolution endete. Schon am Ende des 17. Jahrhunderts postulierte John Locke die natürlichen Rechte der Untertanen – Freiheit, Gleichheit und Unverletzlichkeit von Eigentum –wahrzunehmen. Dies sei die Pflicht jeder Regierung. Ein Grundsatz, der in dieser Form am Kontinent zu jener Zeit unmöglich gewesen wäre.
Großbritannien entwickelte den Vertrag zwischen Dynastie und Volk und beide Teile standen dazu. Der Eintritt in den ersten Weltkrieg gegen Deutschland war aus britischer Sicht einigermaßen verständlich. Der Krieg gegen Österreich-Ungarn nicht.
Einer der größten Fehler in den unseligen Vororteverträgen von Paris 1919 (Saint Germain und Versailles) war die Zerstörung des multikulturellen Reiches Österreich-Ungarn, das mit allen Fehlern, aber im wesentlichen mit viel mehr Vorteilen für die Länder Mitteleuropas, einen lang dauernden Frieden brachte. England selbst aber, das stark geschwächt aus dem ersten Weltkrieg und erst recht nach dem diesem zwangsläufig folgenden zweiten Weltkrieg kam, schuf anstelle des Empires das Commonwealth. Im Grund genommen eine Vereinigung, die in ähnlicher Form auch dem ermordeten Thronfolger Franz Ferdinand und später auch Kaiser Karl I. vor Augen schwebte. Wie wir wissen, kam es nicht dazu, weil der erste Weltkrieg die Habsburger vom Thron fegte.
Wenn wir uns nun die verbliebene verkleinerte EU vor Augen führen, dann wird der Brexit kaum den Austritt von anderen Ländern aus der EU bewirken. Es würde bei den zahlreichen wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen keinen Sinn machen als Einzelstaat, der nicht über die internationalen Möglichkeiten, die England hat, verfügt, mit einem dafür nicht geeigneten Verwaltungsapparat und mit einer kontinental vielfach verflochtenen Wirtschaft, aus der europäischen Gemeinschaft auszutreten.
Das, was aber nötig sein wird, ist die Position der Nationen innerhalb der EU zu stärken, ähnlich wie es die freiheitlichen Parteien, die oft zu unrecht als Populisten beschimpft werden – was ist Populismus denn anderes, als auf das Volks zu hören? – anstreben. Was Europa braucht ist das Immigrantenproblem in den Griff zu bekommen, eine starke Verteidigung aufzubauen, die freie Wirtschaft innerhalb der EU zu garantieren und im Sinne des Subsidiaritätsprinzips möglichst wenig und wirklich nur dort, wo es notwendig ist, in die Gesetzgebung der Mitgliedsstaaten einzugreifen.
Versucht man zu beurteilen, wie sich der Brexit auf das Vereinigte Königreich auswirkt, so ist von Britannien aus gesehen durchaus ein gewisser Optimismus angesagt. Das Vereinigte Königreich wird seine Verbindungen zum Commonwealth stärken, wird mit Europa entsprechende Freihandelsverträge versuchen zu entwickeln und auf das Amerika Trumps setzen, wobei man aufgrund der Sprunghaftigkeit des amerikanischen Präsidenten gespannt sein darf, ob wirklich ein prioritärer Vertrag mit den USA geschlossen werden kann. Die Wahrscheinlichkeit besteht.
Churchill meinte schon in seiner Zürcher Rede, dass ein Vereinigtes Europa wichtig wäre und betonte gleichzeitig, dass England zwar ein europäischer Staat sei, sich aber in eine institutionelle europäische Gemeinschaft nicht einklinken werde. De Gaulle war ebenfalls dagegen, dass England ein Teil eines kontinentalen Europas werden sollte. Demnach stellt der Brexit eine zwar überaus bedauerliche aber aus der Sicht der Geschichte logische Reaktion dar. Weitere Voraussagen zu treffen, ist heute aufgrund der zahlreichen Unwägbarkeiten, die die Zukunft mit sich bringen wird, schwierig.
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