OSCE - Brückenbauer in der Krise

Von Rudolf Guljaew

Mit der Nicht-Wiederwahl der vier wichtigsten Führungsfiguren der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE rückt die Organisation jetzt in den Fokus des öffentlichen Interesses. Die Probleme sind zwar alt, aber der Zeitpunkt, zu welchem sie nun zum Eklat führten, ist nicht zufällig. Eigentlich war beabsichtigt gewesen, dass der Generalsekretär der OSZE, der Hohe Kommissar für Nationale Minderheiten, der Direktor des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) und der Beauftragte für die Freiheit der Medien in corpore wiedergewählt werden sollten. Gerade die beiden letzteren waren nicht unumstritten.
Lange als Spezialorganisation für Menschenrechte, Rechte von Frauen, nationalen Minderheiten und ähnliche Themen in einer bescheidenen Rolle, gewann die OSZE im Zuge des Konflikts in der Ostukraine wieder an Gewicht. Der damalige amtierende Vorsitzende der OSZE, der Schweizer Außenminister Didier Burkhalter und sein Statthalter in Wien, der schweizerische Top-Diplomat Thomas Greminger, dürfen als Schöpfer der sogenannten Special Monitoring Mission to Ukraine (SMM) der OSZE gelten, welche bereits im März 2014 in der sich abzeichnenden innenpolitischen Krise in die Ukraine entsandt wurde, um über die sozialen Konflikte im Land zu berichten (1). Nach dem Ausbruch offener bewaffneter Kämpfe im Osten des Landes und dem daraufhin geschlossenen Waffenstillstand von Minsk übernahm die SMM im Herbst 2014 zusätzlich Beobachteraufgaben in einem verworrenen Konflikt, in welchem auf beiden Seiten viele nichtstaatliche Akteure kämpften. Die Erfolge einer solchen Mission sind naturgemäß schwierig zu quantifizieren, und es gab auch Rückschläge, aber es gelang der Mission innerhalb von nunmehr sieben Jahren, die Organe der OSZE stets mit einem ausgewogenen Lagebild zu versorgen und zahlreiche lokale Waffenstillstände zu vermitteln, sodass wichtige Infrastruktur repariert werden konnte. Damit trug die Mission, zusammen mit anderen humanitären Akteuren, konkret zur Verbesserung des Loses der Bevölkerung im Konfliktgebiet bei. Die Verdienste der SMM sind unbestreitbar (2).
Ehrgeizige Reformpläne und versteckte Agenden
Botschafter Greminger wurde im Jahr 2017 zum Generalsekretär der OSZE gewählt und legte sogleich ein ehrgeiziges Reformpaket vor, das die Rolle der OSZE stärken sollte. Vordergründig stimmten dem alle Teilnehmerstaaten zu. Teil der Bemühungen um eine Stärkung war die Schaffung der sogenannten Strategic Policy and Planning Unit, eines Gremiums aus Top-Diplomaten aus Ost und West, das auf strategischer Ebene Handlungsoptionen der OSZE in absehbaren Krisenlagen ausarbeiten sollte (3). Dieses Gremium war vor allem Kanada stets ein Dorn im Auge, obwohl es mit einem Diplomaten dort vertreten war. Kanada trat auch stets als Scharfmacher auf, wenn Diskussionen über den Konflikt in und um die Ukraine geführt wurden und tat sich in diesem Zusammenhang – zuweilen in unsachlicher Weise – als Kritiker Russlands hervor. Kanada war führend dabei, als die NATO-Staaten begannen, das sogenannte Wiener Dokument für ihre Zwecke zu missbrauchen und trägt damit einen großen Teil der Verantwortung für die ausbleibende Weiterentwicklung des Dokuments, das eine zentrale Rolle bei der Vermeidung von Zwischenfällen und Missverständnissen zwischen den OSZE-Teilnehmerstaaten spielt (4). Dieses Dokument ist für die militärische Sicherheit in Europa von großer Bedeutung.  Kanada torpedierte auch eine Initiative, welche die Zusammenarbeit zwischen Militärakademien der Teilnehmerstaaten verbessern sollte.
Eine ähnlich destruktive Rolle spielte Norwegen in Bezug auf die Hochrangige Planungsgruppe der OSZE, welche Optionen für eine friedenserhaltende Operation der OSZE im Konflikt um Bergkarabach ausarbeiten und frühere Operationspläne à jour halten soll. Gerade die jüngsten Zusammenstöße an der armenisch-aserbaidschanischen Grenze sollten klar aufgezeigt haben, wie wichtig diese Gruppe eigentlich wäre (5). Die ukrainische Delegation hätte es zusätzlich gerne gesehen, wenn das Fachwissen der Hochrangigen Planungsgruppe in die Planung einer friedenserhaltenden Operation im Donbass eingeflossen wäre. Und schließlich nutzte die Gruppe die Erfahrungen der SMM in der Ostukraine für die Weiterentwicklung der Einsatzverfahren in friedenserhaltenden Operationen generell. Auch Norwegen tat den Bemühungen um die Lösung aktueller Konflikte einen Bärendienst.
Konflikt um einen französischen Ex-Minister
Stein des Anstoßes in Bezug auf die Wiederwahl des Führungsquartetts war der OSZE-Beauftragte für Medienfreiheit, der Franzose Harlem Désir, der sich die Kritik mehrerer Staaten aus Zentralasien zugezogen hatte. Kritik an Désir kam in den letzten Monaten auch von Seiten Aserbaidschans.  Das Verhältnis namentlich Tadschikistans und Kirgistans zu den Institutionen der OSZE war schon seit längerem ein schwieriges gewesen. In den vergangenen Jahren sorgte das sogenannte Human Dimension Implementation MeetingHDIM des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (Office for Democratic Institutions and Human Rights, ODIHR) mehrere Male für Skandale. In den Jahren 2016 und 2017 nahmen Vertreter von Nichtregierungsorganisationen aus Tadschikistan und Kirgistan am Treffen teil, die in ihren Heimatländern wegen Terrorismus verfolgt wurden. Was immer an diesen Vorwürfen dran ist: Die Delegationen dieser beiden Länder hatten offenbar Grund zu glauben, sie würden am Konferenzort Warschau bedroht und reisten im Jahr 2017 sogar vorzeitig von der Konferenz ab. Als Folge dieses Eklats trat der Direktor von ODIHR, der Deutsche Michael Link vorzeitig von seinem Posten zurück. Auch seine Nachfolgerin, die Isländerin Ingibjörg Sólrún Gísladóttir sah sich in der letzten Zeit zunehmender Kritik ausgesetzt. Ein pikantes Detail besteht darin, dass der letzte Chef des OSZE-Büros in Baku, der Franzose Alexis Chahtahtinsky, der durch sein Verhalten die Schließung des Büros verursachte, ein enger Freund des aserbaidschanischen Staatspräsidenten Alijew gewesen war (6). Frankreich zeigte sich empört über die Bestrebungen, eine Wiederwahl "ihres" Harlem Désir zu verhindern und beschloss, die ganze OSZE in eine Krise zu stürzen, indem es andere Delegationen aufwiegelte, die Wahl des Führungsquartetts zu torpedieren (7). Schäbig.
Kein Wille zu Zusammenarbeit
Gerne nutzten Armenien und Aserbaidschan in der Vergangenheit das Prinzip der Einstimmigkeit der OSZE, um Vorhaben zu blockieren und politische Deals herauszupressen. Nie aber stellten sie die Existenz der sicherheitsrelevanten Institutionen der OSZE in Frage. Dies taten auch bislang weder die Ukraine, noch Russland. Das ist unter anderem auch Ausdruck der zweigleisigen Strategie dieser Staaten, die notwendigen Kanäle für eine diplomatische Lösung der existierenden Konflikte offenzuhalten. Offenbar verfolgen westliche Staaten wie Norwegen, Kanada und andere keine solche Strategie, sondern setzen auf Konfrontation. Sie glauben, es sei Aufgabe der NATO oder der EU, im Krisenfall friedenserhaltende Operationen auf dem eurasischen Kontinent zu führen. Spätestens seit den Ereignissen in der Ukraine der Jahre 2013 und 2014 genießen diese Organisationen nicht mehr das Vertrauen der Teilnehmerstaaten Osteuropas und Asiens. Es drohen in Europa Zustände wie im Kalten Krieg vor der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa KSZE im Jahr 1975. Brückenbauer haben offenbar keine Konjunktur.
Anmerkungen

  1. Das Mandat der Mission vom 21. März 2014: https://www.osce.org/files/f/documents/d/2/117407.pdf.

  2. Vgl. die zahlreichen Tagesberichte der SMM zu diesem Thema unter https://www.osce.org/ukraine-smm/reports.

  3. Die Gruppe war so umstritten, dass sie auf der Homepage der OSZE nie prominente Erwähnung fand. Vgl. https://www.cmcfinland.fi/wp-content/uploads/2018/06/Senior-Expert-JD.pdf

  4. Mangels Konsens für eine Weiterentwicklung ist nach wie vor das Dokument von 2011 gültig: https://www.osce.org/files/f/documents/b/e/86599.pdf. Bereits die Entsendung von Angehörigen der deutschen Bundeswehr in die Ostukraine im Jahr 2014 stellt einen Grenzfall dar, denn das Wiener Dokument war zur Überprüfung von militärischen Informationen gedacht, welche die Teilnehmerstaaten untereinander austauschen, und nicht zur Beschaffung von Nachrichten aus Krisengebieten. Prompt wurde das deutsche Team auch von den Rebellen festgehalten: https://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/thema_nt/article127386071/Das-Wiener-Dokument.html.

  5. Das Mandat der Gruppe unter https://www.osce.org/node/443767. Jüngste Zusammenstöße: https://www.spiegel.de/politik/ausland/armenien-und-aserbaidschan-tote-und-verletzte-nach-zusammenstoss-im-suedkaukasus-a-bb5bbd8c-acaa-4354-83b3-410187bf050a

  6. Siehe https://www.osce.org/node/120670  zu den Direktoren ODIHR und zu Chahtahtinsky https://www.rferl.org/a/27055923.html; https://www.youtube.com/watch?v=mVGWD4MTds0

  7. https://www.srf.ch/news/international/osze-fuehrung-abgewaehlt-schweizer-generalsekretaer-als-bauernopfer?wt_mc_o=srf.share.app.srf-app.unknown.

    Bilder @depositphotos
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