Mit Taurus direkt in den Krieg fliegen? / Deutsche Regierung kaum noch aufzuhalten / CDU/CSU befeuert den Konflikt

Von Hans-Georg Münster

Die Spannungen in Europa stehen kurz vor einer Eskalation. Verantwortung dafür trägt die deutsche Bundesregierung, deren Bereitschaft zur Lieferung von Marschflugkörpern des Typs Taurus an die Ukraine zu wachsen scheint. Auch wenn Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wiederholt erklärt hat, die Lieferung solcher Marschflugkörper habe „nicht die vorrangigste Priorität“, berichten mehrere deutsche Medien übereinstimmend, dass eine Lieferung von Taurus-Flugkörpern mit einer reduzierten Reichweite an die Ukraine geprüft werde. Die Reduzierung der Reichweite sei ein besonderes Anliegen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), heißt es. Damit soll angeblich sichergestellt werden, dass Taurus keine Ziele tief im russischen Territorium erreichen kann. Offenbar traut man in Berlin den Zusicherungen des ukrainischen Präsidenten Selenskyi nicht mehr, mit den deutschen Waffen keine Angriffe direkt gegen Russland zu unternehmen.

Die auch aus der CDU/CSU-Fraktion zu hörende Argumentation für eine Reichweitenbegrenzung soll allerdings nur die deutsche Öffentlichkeit beschwichtigen und die Risiken verharmlosen. Denn für Russland dürfte es wohl keinen Unterschied machen, ob deutsche Flugkörper in Moskau oder in russischen Städten wie Kursk oder Woronesch, die näher zur ukrainischen Grenze liegen, einschlagen. Die Dimension ist eine ganz andere: Mit dem Taurus würden erstmals seit 1945 deutsche Waffen direkt gegen Russland zum Einsatz kommen - für Russland eine ungeheuerliche Vorstellung. Diskutiert wird in Deutschland ebenso wenig, dass Taurus in der Lage ist, Streubomben zu transportieren. Darauf wies der Linken Abgeordnete Paul Schäfer bereits 2006 im Bundestag hin. Deutschland hat sich verpflichtet, nicht zur Verbreitung von Streubomben beizutragen, auch nicht durch Transportsysteme wie Taurus. Die USA haben der Ukraine Streubomben zur Verfügung gestellt. 

Die Opposition in Deutschland ist weitgehend ausgefallen. Faktisch kann die Regierung machen, was sie will. Die amerikahörige CDU/CSU-Fraktion gehört sogar zu den größten Kriegstreibern. Ihr Vorsitzender Friedrich Merz hatte früher eine hochrangige Position beim amerikanischen Finanzkonzern Blackrock, der an allen US-Rüstungskonzernen Beteiligungen hält und somit einer der größten Profiteure der amerikanischen Waffenlieferungen an die Ukraine in Höhe von 43 Milliarden Dollar seit Februar 2022 ist. Merz hat bis heute Verbindungen zu Blackrock. Dem Konzern gehören ca. 5,5 Prozent der Aktien des größten amerikanischen Rüstungskonzerns Lockheed Martin. Lockheed Martin produziert das Kampfflugzeug F16, das die „Kampfjet-Koalition“ einiger europäischer Länder wie Niederlande, Belgien, Dänemark und Großbritannien an die Ukraine liefern will. Das Kampfflugzeug F16 kann den Taurus in die Luft bringen (die Rakete fliegt dann mit eigenem Antrieb zum Ziel). So schließt sich hier der Kreis zwischen der US-Rüstungsindustrie und deutschen Politikern. 

Der CDU/CSU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter schlug inzwischen eine gemeinsame Initiative seiner Fraktion mit Politikern derAmpelkoalition vor, um den Druck auf das Kanzleramt zu erhöhen. Kanzler Scholz soll damit zur Zustimmung zur Lieferung von Taurus-Systemen an die Ukraine bewegt werden. Eine Begrenzung der Reichweite lehnt Kiesewetter ab. Das würde „nur zur weiteren Verzögerung führen“. (1) Kiesewetter, Oberst a. D. der Bundeswehr, will offenbar Blut sehen. Von Gesprächen oder Verhandlungen redet er längst nicht mehr.

Druck auf Scholz und Pistorius kommt auch aus der SPD selbst: „Die (ukrainische) Gegenoffensive stockt, eine nennenswerte Luftwaffe zur Unterstützung hat die Ukraine nicht. Da bleiben nur Lenkwaffen wie Taurus-Marschflugkörper, mit denen die ukrainische Armee die von den Russen angelegten Minenfelder überwinden und Territorium zurückerobern könnte“, wurde etwa der SPD-Abgeordnete Andreas Schwarz zitiert. Dazu muss man wissen, dass Schwarz Haushalts- und nicht Verteidigungspolitiker ist, sonst hätte er nicht so einen Unsinn verbreitet, dass mit Taurus Territorium erobert werden könnte. Die Waffe richtet schwere Schäden an, zur Eroberung von Territorien ist aber nach wie vor Infanterie erforderlich. Allerdings werden dem SPD-Mann Schwarz sehr gute Kontakte zur deutschen und internationalen Rüstungsindustrie nachgesagt. Die einstige Friedenspartei Die Grünen, die in früheren Regierungsjahren jeden Waffenexport zu verhindern wusste, stehen inzwischen unter starkem Einfluss amerikanischer Think Tanks und sind in das Lager der Bellizisten gewechselt.

Somit ist im Bundestag nur eine Fortsetzung der Kriegsgesänge zu erwarten, wie sie derzeit die deutschen Medien tagaus tagein verbreiten. Zu große Hoffnungen sollten auch nicht auf das Bundesverfassungsgericht gesetzt werden. Die Regierungsparteien haben in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, dass bei den fälligen Neubesetzungen nur ihnen genehme Richter eingesetzt wurden. Der Präsident des höchsten Gerichts, Stephan Harbarth, war früher CDU-Bundestagsabgeordneter und weiß, wem er seinen warmen Gerichtssessel und sein hohes Gehalt zu verdanken hat. Ein anderer Richter, Peter Müller, war früher CDU-Ministerpräsident des Saarlandes. In anderen Ländern wird die Besetzung von Gerichten mit genehmen Politikern als Ausdruck von Korruption gebrandmarkt; in Deutschland wird über das Themageschwiegen.

Die Opposition im Bundestag ist in der Ukraine-Frage schwach. Die in Umfragen über 20 Prozent liegende AfD ist ein Totalausfall. Zur Lieferung von Taurus-Flugkörpern gibt es keine Stellungnahme der Fraktion. Das muss man sich einmal vorstellen: Für Deutschland droht Kriegsgefahr, und die rechte Opposition ist sprachlos.

Einzig die Linke macht Druck auf die Bundesregierung. Kanzler Scholz müsse eine weitere gefährliche Eskalation des Ukraine-Kriegs verhindern und dürfe dem Druck auf Lieferung der Marschflugkörper nicht nachgeben, forderte die Abgeordnete Sevim Dagelen, Sprecherin für internationale Politik und Abrüstung ihrer Fraktion. „Mit der Lieferung von Marschflugkörpern an die Ukraine, die russische Städte treffen können, würde Deutschland zunehmend in Richtung einer direkten Kriegsbeteiligung schlittern", so Dagdelen. Wer Taurus liefere, riskiere die Ausweitung des Stellvertreterkrieges in der Ukraine, eine direkte militärische Konfrontation der NATO mit Russland und „würdeDeutschland weiter in den Krieg mit Russland treiben“. Das Problem der deutschen Linkspartei ist allerdings, dass sie aus innerparteilichen Gründen kurz vor der Spaltung steht und dadurch vor der Auflösung ihrer Bundestagsfraktion.

Somit können Regierungs- und Unionspolitiker ungehindert die Kriegstrommel rühren wie beispielsweise der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Johann Wadephul. Nach allgemeinen Floskeln, dass die Entscheidung zur Lieferung von Taurus „gut abgewogen“ werden müsse, forderte er, es müsse klar sein, „dass es keine Mitwirkung deutscher Soldaten geben darf“. Offenbar glaubt Wadepuhl, dass es reicht, die Flugkörper mit der Eisenbahn nach Kiew zu schicken und den Rest der ukrainischen Armee zu überlassen. Das ist jedoch ein Irrtum. Allein für die Vorbereitung eines Taurus-Einsatzes bedarf es gut ausgebildeter Soldaten, die den Marschflugkörper für sein Ziel programmieren und die Einsatzbereitschaft kontrollieren müssen. Das ist fremden Soldaten, die nicht der deutschen Sprache mächtig sein dürften, nicht in einem kurzen Ausbildungskurs beizubringen. Das heißt also: Wer Taurus in die Ukraine bringt, muss auch deutsche Soldaten mitbringen. Das wäre der Casus Belli.

(1) https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/debatte-ukraine-taurus-100.html

Bilder: depositphotos, wikipedia

https://www.bundeswehr.de/de/ausruestung-technik-bundeswehr/ausruestung-bewaffnung/marschflugkoerper-taurus-kepd-350
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