Krieg in unserer Zeit

Von Willy Wimmer, Staatssekretär a.D. 28. Februar 2022

Es ist der 24. Tag eines Monats. Am 24. März 1999 begann der völkerrechtswidrige Angriffskrieg der NATO gegen die im tiefen Frieden liegende Stadt Belgrad und die Bundesrepublik Jugoslawien. Die OSZE meldete seit Tagen, dass es im Kosovo ruhig sei. Diese Meldungen wurden von den nationalen deutschen Quellen für diese Nachrichten geteilt. Die NATO mit der amerikanischen Führungsmacht an der Spitze hatte in den zurückliegenden Monaten konsequent auf diesen Angriffstag hingearbeitet. Vereinbarungen zwischen den USA und der Regierung in Belgrad, die auf eine friedliche Konfliktlösung ausgelegt waren, wurden für die Beschlussfassung in der NATO so umgebogen, daß auch sie einem Krieg gegen Jugoslawien nicht im Wege standen. Mit dem Krieg gegen Jugoslawien sollte die internationale Friedensordnung, die sich als Ergebnis von zwei Weltkriegen in der Charta der Vereinten Nationen manifestiert hatte, gleich mit erledigt werden. Unter völliger Missachtung der UN-Charta und des dort festgelegten Gewalt-und Kriegsverbotes schlugen die USA mit ihren Verbündeten los. Das Zeitalter des amerikanischen Global-Faustrechtes wurde mit dem Einsatz auch deutscher Bomber gegen Jugoslawien eingeläutet.

Der erste Schuß des völkerrechtswidrigen Krieges der Russischen Föderation gegen die Ukraine  fiel gleichsam am 24. März 1999 im Krieg der NATO gegen Jugoslawien. Die USA nahmen seinerzeit den Untergang des Völkerrechts nicht nur billigend in Kauf, um ihre Ziele in Europa zu erreichen. Seither ist ihre Rechtsauffassung davon bestimmt, mit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien nicht nur das bis dahin geltende Völkerrecht mit dem Gewaltmonopol der UN zerstört zu haben. Man habe, so machte es die Konferenz von Bratislawa im April 2000, organisiert von der Spitze des amerikanischen Außenministeriums, deutlich, mit dem Krieg gegen Jugoslawien einen Präzedenzfall geschaffen. Darauf könne sich seither jeder Staat berufen, der ein Vorgehen wie das der USA gegen Jugoslawien unternehmen wolle. Die Büchse der Pandora war damit geöffnet und keine Bundesregierung in Bonn/Berlin hat sich seither bemüht, das Rad der Völkerrechts-Vernichtung zurückzudrehen.
Jeder, der seinerzeit am politischen Leben Deutschlands beteiligt sein wollte, weiß um den Ansporn für diesen 75 Tage andauernden Krieg gegen Jugoslawien, Es ging vor allem darum, die Russische Föderation von der Adria weit nach Osten zu vertreiben. Rußland sollte keinen Einfluß mehr auf traditionelle Partner im Umfeld der Adria ausüben können. Die Konferenz von Bratislawa machte aber eine weitergehende Zielsetzung  deutlich. Nach den Vorstellungen der amerikanischen Regierung, vorgetragen auf der Konferenz von Bratislawa, sollte in den Folgejahren alles unternommen werden, zwei Ziele in Südeuropa zu verwirklichen. Eine amerikanische Fehlentscheidung aus dem Zweiten Weltkrieg solle korrigiert werden. Seinerzeit habe man es verabsäumt, amerikanische Bodentruppen auf dem Balkan zu stationieren. Das solle schleunigst nachgeholt werden. Es gelte aber nicht nur, Rußlands Einfluß bis in die Gegend östlich des Schwarzen Meeres zurückzudrängen. Rußland selbst sollte aus Europa herausgeschmissen werden. Dafür gelte es, zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer gleichsam eine neue Mauer zu ziehen. Westlich dieser Mauer sei das amerikanische Gebiet. Östlich davon könne es Rußland oder andere Staaten geben. Dieses Gebiet sei jedenfalls nicht länger Nachbar zu den amerikanisch kontrollierten Gebieten westlich dieser neuen transkontinentalen Mauer. Die Rede des Herrn Präsidenten der Russischen Föderation. Putin, im Plenum des Deutschen Bundestages 2001 war, bewußt oder unbewußt, der russische Gegenentwurf für die Planungen, die aus Bratislawa öffentlich geworden sind. Rußland, so der Herr Präsident, strecke die Hand zu seinen westlichen Nachbarn aus. Ganz im Sinne der "gemeinsamen europäischen Hauses", das ein Jahrzehnt zuvor Euphorie in Europa ausgelöst hatte.
Der Krieg gegen Jugoslawien sollte einen anderen Zweck gleich miterfüllen. Den deutschen Streitkräften, die am 8./9. Mai 1945 die bedingungslose Kapitulation hatten unterzeichnen müssen und deren historisches Selbstverständnis in der Tradition eines Bestandteils der staatlichen Ordnung seither einen irreparablen Schaden erlitten hatten, sollten an einer in der Einschätzung der NATO erfolgreichen Militäroperation beteiligt werden. Nichts geht eben über militärisches Selbstbewußtsein, so die damalige Einschätzung in Bonn. Das findet sich nicht in den Akten.
Jetzt war es im Krieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine der 24. Februar, an dem die Waffen sprachen. Publizistisch war alles seit kurz vor Weihnachten 2021 mit Berichten über russische Truppenkonzentrationen an der russisch-ukrainischen Grenze vorbereitet. Dabei hätte man schon früher aufmerken müssen. Zum Beispiel in der Berichterstattung über eine Aussage des amerikanischen Präsidenten, Herrn Joe Biden, über seinen russischen Kollegen, Herrn Präsident Putin. Der konnte zwar in den nachfolgenden Monaten nur mühsam die Aussage von Präsident Biden weglächeln, nachdem er, Putin, ein "Killer" sei. Aber gesagt ist nun einmal gesagt.  Präsident Biden hat zielgerichtet und ohne Zögern nach seinem kurz zuvor erfolgte Amtsantritt, das Tischtuch zwischen den USA und Rußland zerschnitten. Es blieb allerdings nicht dabei, wie unter anderen der Besuch der amerikanischen Unterstaatssekretärin, Frau Nuhland, Anfang Oktober 2021 in Moskau und ihre Gespräche mit einigen hochrangigen russischen Gesprächspartnern deutlich machen sollte. Der russische Präsident Putin hat vor dem Krieg gegen die Ukraine in einer Rede deutlich gemacht, daß die USA der Russischen Föderation  das Recht auf einen eigenständigen Staat abgesprochen haben. Der Besuch von Frau Nuhland soll dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben. Die Entwicklung seither ist leider zu bekannt.
Es ist die Verbindung der jetzigen Ereignisse, die zum Krieg gegen die Ukraine gehören, mit dem Krieg gegen Jugoslawien, die die Dimension deutlich machen. Das, was auf dem Gebiet der Ukraine und zum Schaden der Menschen in der Ukraine ausgetragen wird, steht stellvertretend für das Ringen der Russischen Föderation um ihre eigenständige Existenz und dem Willen der USA, Rußland aus Europa herauszudrängen. Es ist dabei die NATO, die mittels der Ukraine seit langem versucht, die Ukraine als Speerspitze gegen Rußland zu nutzen, zumal sie es nicht mehr verschleiert, in welchem Maße sie sich selbst vom Verteidigungsbündnis nach der UN-Charta zu einer weltweit operierenden Angriffsformation mittels des Krieges gegen Jugoslawien gewandelt hat. Mußte man in Moskau davor die Augen verschleißen? Oder davor, daß deutsche Waffen in den Händen der NAZI-Bataillone im Einsatz gegen russische Soldaten in Rußland sofort die Erinnerung an das Jahr 1941 wach werden lassen. Das dürfte im Kalkül derjenigen sein, die nicht auf eine sofortige Beendigung des Krieges aus sind sondern einen entscheidenden Beitrag dazu leisten wollen, auf eine unabsehbare Zeit die Beziehungen zwischen Rußland und Deutschland endgültig zu vergiften. Alles das, was seit dem völkerrechtswidrigen Angriff der Russischen Föderation gegen die Ukraine seitens des Westens unternommen wurde, hält nur dem Urteil darüber stand, ob irgendeine Maßnahme der Beendigung des Krieges, der Beilegung der bekannten Differenzen zwischen Rußand und den USA, dem Rückzug der russischen Truppen und der Beseitigung der umfänglichen Schäden gerichtet ist? Die bislang ergriffenen Maßnahmen des Westens erwecken allesamt den Eindruck, daß es auch mittels der Dimension der Sanktionen darauf ankommt, Bratislawa in Europa Realität werden zu lassen. Selbst wenn man unterschiedliche Dinge nicht in Vergleich setzen sollte, muß an eine wesentliche Ursache des Weltkrieges in Asien und das Vorgehen der USA gegen Japan hingewiesen werden. Geradezu rechtzeitig zum Kriegsbeginn gegen die Ukraine lief Tage zuvor im deutschen Fernsehen erstmals der Film über die Schlacht um Midway. Der Film begann mit den Gedanken des japanischen Admirals Yamamoto über das, was sich zwischen den USA und Japan vor dem japanischen Angriff auf Pearl Harbour zuspitzte. Das waren , wie sich einige Tage später herausstellen sollte, die Worte zum Kriegsbeginn mitten in Europa. Man konnte es kaum anders sehen. Dazu zählt auch der Eindruck, den die Sondersitzung des Deutschen Bundestages am Sonntag, dem 27. Februar 2022, vermittelte. Das politische Rückgrat und die Wahrnehmung deutscher Interessen hatte man in den Stunden zuvor verloren und aufgegeben.

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