Kampfpanzer: Deutschland und sein Kanzler halten einem unglaublichen Druck stand – noch

Von Hans-Georg Münster

Deutschland hat einen neuen Verteidigungsminister, aber an der Politik des Landes wird sich nicht viel ändern. Der Spielraum von Boris Pistorius (SPD), der bisher im Bundesland Niedersachsen Innenminister war, ist gering. Zwar ist SPD-Mann Pistorius formal Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt, aber die Außen- und Sicherheitspolitik werden im Kanzleramt und im Auswärtigen Amt gemacht. Und wenn Pistorius tatsächlich, wie er kurz nach seiner Vereidigung schon ankündigte, „die Bundeswehr stark machen will für die Zeit, die vor uns liegt“, dann braucht er dazu Finanzminister Christian Lindner (FDP), der im Etat die nötigen Mittel bereitstellen muss.

Aber beginnen wir mit den positiven Entwicklungen: Das kurzzeitige Wirken der bisherigen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) ist beendet. Sie agierte unglücklich und unbeholfen, und sie setzte sich zum Schluss durch ein missratenes Silvester-Video mit vor dem Brandenburger Tor explodierenden Raketen internationalem Gespött aus. Von der Armee hatte sie genauso wenig Ahnung wie von Strategie und Diplomatie. Zugute gehalten werden muss der überdies noch in eine Reisekostenaffäre wegen der Mitnahme eines Familienangehörigen in einem Regierungsflugzeug verwickelten Politikerin, dass sie nie Verteidigungsministerin werden wollte, sondern von Kanzler Olaf Scholz (SPD) zur Erfüllung der Frauenquote aus dem Ruhestand geholt worden war, in den sich die frühere Justizministerin längst begeben hatte. Nachfolger Pistorius hat immerhin vor vier Jahrzehnten Wehrdienst geleistet und sollte in der Lage sein, einen Oberst von einem General unterscheiden zu können.

Scholz selbst ist durch diese Kabinettsumbildung gestärkt: Er hat seiner SPD-Fraktion gezeigt, dass er sie bei der Ministerauswahl übergehen kann, ohne Probleme befürchten zu müssen – so wie er schon den Grünen und auch großen Teilen der SPD per Machtwort vorgeschrieben hatte, die letzten drei deutschen Atomkraftwerke für ein Jahr weiterlaufen zu lassen, obwohl deren Abschaltung längst beschlossen war. Auch die im Regierungsbündnis "heilige" Frauenquote von 50 Prozent konnte Scholz einfach so aus dem Weg räumen. Und aus noch einem Grund ist es für ihn ein Glücksfall, dass er Pistorius gewinnen konnte. Angesichts des Mangels an fähigen Politikern mit wenigstens geringen strategischen Kenntnissen im Bundestag wäre er kaum umhingekommen, seine rechte Hand, den Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt (SPD) in das Verteidigungsministerium zu schicken - wenn er sich neue Blamagen ersparen wollte, wie sie mit der Berliner Lokalpolitikerin Eva Högl (jetzt Wehrbeauftragte) oder Lars Klingbeil gedroht hätten. Klingbeil ist zwar SPD-Vorsitzender, aber militärischer Laie.

Schmidt ist derjenige, der Scholz noch den Rücken gegen die USA, Großbritannien, viele andere NATO-Länder, Koalitionspartner und Opposition sowie eine Phalanx von Medien stärkt. Ein Beispiel: Schmidt verglich die Forderungen nach deutschen Leopard 2-Panzern für die Ukraine mit Hoffnungen, die im Zweiten Weltkrieg in die von der deutschen Propaganda „Wunderwaffe“ genannte V2-Rakete gesetzt wurden. „Ich bin manchmal versucht, es das V2-Syndrom der Deutschen zu nennen“, erklärte Schmidt – dass es eine Wunderwaffe gebe, die wie ein Zauberer dafür sorgen werde, dass Dinge sich erledigen würden. „Und jetzt ist der Leopard 2 diese Wunderwaffe, die den Krieg beenden wird. Und das wird er nicht.“ Die Amerika- und Briten-Lobby in Berlin tobte, Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU/CSU) empörte sich. Ja, es stimmt: Getroffene Hunde bellen.

Scholz, der Mann aus Hamburg mit seinem Dauergrinsen, der manchmal unbeholfenen Wortwahl und dem schlechten Erinnerungsvermögen, was Finanzskandale betrifft, wird von vielen unterschätzt. Ob aber die innenpolitische Stärke von Scholz und die gute Kenntnis von Pistorius in SPD-Angelegenheiten ausreichen, um dem internationalen Druck auf Deutschland standzuhalten, sich militärisch stärker für die Ukraine zu engagieren und noch mehr und vor allem schwerere Waffen zu liefern, ist eine ganz andere Frage. Der mächtige Verbündete jenseits des Atlantiks, die USA, war sofort in Gestalt seines Verteidigungsministers Lloyd Austin in Berlin zu Stelle, um Pistorius den Weg zu weisen. Normalerweise ist es umgekehrt: Ein deutscher Verteidigungsminister muss lange auf einen Termin beim Amtskollegen in Washington warten.

Der Druck, den die Amerikaner und ihre Freunde sowie interessierte Medien auf die deutsche Regierung ausüben, ist unglaublich stark. Im Bundestag beantragte die frühere Regierungsfraktion CDU/CSU, die traditionell amerikafreundlich eingestellt ist, die Lieferung von schweren Panzern des Typs Leopard 2 an die Ukraine. Der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Johann Wadepuhl, erklärte, Scholz sei mit seiner Verweigerungshaltung das eigentliche Problem und Deutschland der Bremsklotz unter den NATO-Verbündeten.

Auch die internationale Presse sieht das so und fordert Berlin zum Handeln auf: „Es scheint, dass Berlin dem Druck der Ukraine und einiger westlicher Länder nachgeben könnte“, freute sich der italienische Corriere della Sera. „Sollte er sich an die Spitze eines europäischen Leopard-Plans stellen, könnte Scholz eine deutsche Führungsrolle einnehmen, die der gesamte Westen begrüßen würde ", war im britischen Guardian zu lesen. Das niederländische NRC-Handelsblaad forderte Berlin auf, nicht nur über Verantwortung zu reden, „sondern sie auch in Taten umzusetzen“.

Immerhin gibt es Ankündigungen anderer Länder wie Finnland und Polen, Leopard 2-Panzer, die sie aus deutscher Produktion erhalten haben, an Kiew liefern zu wollen. Dies würde aber einen klaren Verstoß gegen Verträge mit Berlin bedeuten, wonach diese Panzer nur mit deutscher Zustimmung an Länder außerhalb der NATO weitergegeben werden dürfen. Die Berliner Regierung versucht mit allen möglichen Mitteln, den Druck aus dem Kessel zu nehmen. Man ließ etwa Armin Papperger, den Vorstandschef des Rüstungskonzerns Rheinmetall, der den Leopard baut, erklären, vor Anfang 2024 könne man ohnehin keine Panzer liefern. Die Reparatur der bei Rheinmetall ausgemusterten 22 Leopard 2-Panzer und 88 Exemplare des älteren Modells Leopard 1 werde ein Jahr dauern. Die Fahrzeuge müssten komplett auseinander gebaut und wieder zusammengesetzt werden.

Aus Beständen der Bundeswehr scheint eine Lieferung ohne Schwächung der eigenen militärischen Fähigkeiten nicht möglich zu sein. Die Armee verfügt noch über etwas mehr als 300 Leopard 2-Panzer, nach Presseberichten sind davon allerdings nur 130 einsatzfähig. Ganz anders die Lage im Nachbarland Polen. Dort verfügt man nicht nur über 350 Leopard 2-Panzer, sondern darüber hinaus über rund 400 T72-Panzer, die zum Teil im Kampfwert gesteigert wurden. Im Gegensatz zu Deutschland, wo es bis auf den leichten Schützenpanzer Puma keine Neuanschaffungen von Panzern gab, hat Polen 180 Exemplare des südkoreanischen Kampfpanzers „Black Panther“ bestellt. Außerdem will man aus den USA 366 schwere Panzer vom Typ M1 Abrams beschaffen. Das polnische Heer ist damit um ein Mehrfaches schlagkräftiger als die auf häufig defekten Altfahrzeugen sitzende Bundeswehr.

Mit dem als hochmodern gepriesenen Schützenpanzer Puma erlebte die Bundeswehr bei einer Übung ein Desaster. Alle Fahrzeuge fielen wegen Pannen aus. Der Puma war ausgerechnet der Schützenpanzer, der für die NATO-Eingreiftruppe vorgesehen war. Jetzt müssen die rund 50 Jahre alten Schützenpanzer des Typs Marder wieder für die Eingreiftruppe zur Verfügung stehen – das sind die Modelle, die auch die Ukraine aus deutschen Beständen erhalten soll. Für eine moderne und wirkungsvolle Kriegsführung sind die betagten Modelle ungeeignet.

Da Scholz und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sich mit der Lieferung der Marder-Schützenpanzer nicht aus der amerikanischen Schlinge befreien konnten, verlegte sich Scholz auf eine „Wenn-dann-Haltung“, die aber diplomatisch ungeschickt ist, weil er sich damit in die Hände der US-Regierung begibt. Scholz ließ durchblicken, er sei zur Lieferung schwerer Panzer an die Ukraine bereit, wenn die USA im Gegenzug auch ihre schweren Abrams-Panzer an die Ukraine liefern würden.

Danach sieht es bisher jedoch nicht aus. US-Verteidigungsstaatssekretär Colin Karl bezeichnete den Abrams-Panzer als „sehr kompliziertes“ Rüstungsgut. Er sei teuer, fordere eine komplizierter Ausbildung und verbrauche sehr viel Treibstoff. Die USA wollten den Ukrainern keine Waffen liefern, die sie nicht reparieren könnten, die sie nicht unterhalten könnten und die sie sich langfristig nicht leisten könnten. Auch das Treffen von 50 Ländervertretern in Ramstein, wo über weitere Hilfen für die Ukraine beraten wurde, brachte keine Einigung auf Lieferung von Kampfpanzern.

Diese Haltung kann Washington jedoch beliebig und täglich ändern. Und sollte das passieren, steckt Scholz in seiner selbstgebauten Falle und müsste auch liefern. Doch dann wäre für Deutschland jede Hoffnung, mit Russland vielleicht auf mittlere Frist wieder zu einer Normalisierung der Beziehungen zu kommen, zu beerdigen. 

Bilder: depositphotos
Die Meinung des Autors/Ansprechpartners kann von der Meinung der Redaktion abweichen. Grundgesetz Artikel 5 Absatz 1 und 3 (1) „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.“