Kabul

Willy  Wimmer: " Es kommen Forderungen in der Gesellschaft hoch, den gescheiterten Einsatz des Bundeswehr in Afghanistan politisch-parlamentarisch zu untersuchen. Während dieses Einsatzes sind 59 Soldaten der Bundeswehr im Einsatz in Afghanistan getötet worden, mehr als 12 Milliarden Euro wurden aus dem Bundeshaushalt zur Finanzierung des Krieges ausgegeben, fünfundvierzigtausend afghanische Soldaten sind im Kampf gefallen, hunderttausende Zivilisten wurden Opfer der Kampfhandlungen seit der Invasion amerikanischer Streitkräfte in Afghanistan. In Vorbereitung dieser überfälligen Untersuchungen wegen einer von Anfang an verfehlten Politik der verantwortlichen Bundesregierungen und der NATO unter deutscher Beteiligung sollte der Deutsche Bundestag die gesamten Sitzungs-Protokolle der zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages zu dem genannten Einsatz schnellstmöglich veröffentlichen. Zumindest die Sitzungsprotokolle des Auswärtigen Ausschusses geben vom ersten Tag der Beratungen ein ungeschminktes Bild des amerikanischen Krieges gegen Afghanistan wieder, von der Planung der Invasion, den ersten Massenmorden nach Invasionsbeginn, den Konzepten für den deutschen Militäreinsatz, das Unterlaufen dieser Konzepte durch den Kriegseinsatz der amerikanischen Streitkräfte im Rücken der Bundeswehr bis zu den massenhaften Tötungen afghanischer Hochzeitsgesellschaften. Die Beratungen waren umfassend, führten bei keiner Bundesregierung zu Konsequenzen"

Die Entwicklung in Afghanistan zeigt Konturen. So wird die Entwicklung vor allem in Kabul zwischen dem regionalen Befehlshaber der US-Streitkräfte und der Taliban-Führung laut CNN intensiv abgesprochen. Bei CCTV (chinesisch) wurde auf das im Vergleich zu 1996 so andersgeartete Vorgehen der Taliban gegen die nördliche Grenze hingewiesen. Seinerzeit blieben diese Gebiete mit Tadschiken, Hazaras, Usbeken und Iraner unerobert und unbesetzt. Jetzt haben die Taliban diese Gebiete eingenommen, bevor sie in Kabul einmarschierten. Ich hatte auf diese Entwicklung aufmerksam gemacht. CCTV meldet heute, daß es einen Umstand gibt, über den kein westlicher Sender etwas meldet. Das mit hoher Symbolkraft versehene Pandschir-Tal wurde nicht durch die Taliban eingenommen. Dort und vor allem am Salang Paß wird ein Widerstand erwartet, vor dem die Taliban zurückschrecken. Die Kontrolle über dieses Gebiet hat der gleichnamige Sohn von Shah Masood. Den Einmarsch 2001 nach Afghanistan konnten die USA nur vornehmen, weil sie sich des Bildes von Masood bedienten. Unbeschadet des Umstandes, wem man den Zünder an der Bombe in einer Fernsehkamera zuschrieb, die Shah Masood in dem Haus tötete, in dem ich mit ihm mich an der Grenze zu Tadschikistan Monate zuvor getroffen hatte.

Damit ist die Grenze zuTadschikistan und über den Wardak-Korridor nach China nicht in den Händen der Taliban. Gleichzeitig hoffen die Chinesen auf gute Beziehungen zur neuen Taliban-Führung in Kabul.
Was die weitere Entwicklung in der Region anbetrifft, muß man sich mit den Finanzquellen der Taliban beschäftigen. Dabei müssen die USA, Saudi Arabien, die Golfstaaten und Pakistan genannt werden. Von den Interessen dürfte die Zukunft der Pipelinie, früher Unocal, abhängen, die von Baghis im turkmenischen Grenzgebiet an die Küste und von dort nach Indien führen sollte. Diese Route steht in Rivalität zur Iran-Indien-Pipeline entlang der Küste. Damit kommen ebenfalls Öl-und Gasfunde und entsprechende Pipelines im Kaspischen Meer und ihre Zukunft in den Blick. Es ist weniger die Frage nach den Bodenschätzen und wo es welche gibt. Es ist die Frage danach, wer den Profit davon hat. Shah Masood hat mir dazu einmal gesagt, daß er mit seiner letzten Handgranate diese Pipeline zerstören würde, wenn es für ihn nicht auskömmlich sein sollte. Das dürfte auch heute nicht nur seine Ansicht sein. Die Frage ist, ob sich in den Gebieten, die von Usbeken-General Dostum und anderen kontrolliert werden, Widerstandsstrukturen bilden, die die Taliban-Herrschaft unterlaufen können?

Wenn die Taliban-Entwicklung nicht nach völlig neuen Aspekten gestaltet werden sollte, müssen für die an Afghanistan im Norden angrenzenden Staaten  die Erfahrungen aus der letzten Taliban-Herrschaft herangezogen werden. Dabei kam es weniger auf eine Glaubens-Identität als vielmehr auf die geschickte Ausnützung interner Rivalitäten in diesen Staaten durch die Taliban an, die auch offen einen Siegeszug durch Zentralasien propagierten.  

Und die USA? Präsident Biden hat in seiner Rede zu den Geschehnissen in Afghanistan und kurz nachdem Menschen vom Himmel fielen, nachdem sie sich an amerikanische Flugzeuge zuvor geklammert hatten, auf die Feindschaft zu Rußland und China verwiesen. Dies würde die amerikanische Politik, auch mit ihren auf die Zukunft gerichteten militärischen Fähigkeiten, bestimmen. Es kommt einem dabei die nützliche Funktion von Osama Bin Laden in den Sinn. Solange er nach der Washingtoner Pfeife tanzte, war man sich gewogen. Es ging ja gegen die Sowjets, die in Afghanistan einmarschiert waren, um die amerikanischen Abhörstationen, die nach der Revolution im Iran nicht mehr geduldet waren, an der afghanisch-sowjetischen Grenze zu verhindern.
Das Spiel: nutzen-groß machen galt jetzt den Taliban. Präsident Biden sagte gestern in seiner Rede, daß vier US-Präsidenten Patrone des Bürgerkrieges in Afghanistan gewesen seien. Ein fünfter US-Präsident solle es nicht sein. Gut gesagt, aber dann fragt man sich, warum die USA nicht 2004 das Angebot der Taliban angenommen hatten, von dem mir der afghanische Präsident Karzai 2008 in Kabul berichtete. Danach wollten die Taliban auf ewig die Waffen strecken. Nein, das war nicht im US-Interesse. Man ließ lieber die Taliban zu einer Stärke aufwachsen, mit der sie jetzt Afghanistan einnehmen konnten. Anschließend: siehe oben. Wenn man sich heute und in Anbetracht der rund 4oo US-Stützpunkte, auf die Stefan Baron in "Neuvermessung der Welt" aufmerksam macht, die euro-asiatische Landmasse ansieht, haben die USA mit der Eroberung Afghanistans durch die Taliban das euro-asiatische Kriegsgebiet gegenüber Rußland und China nach den jetzigen Möglichkeiten komplettiert. Unsere westeuropäischen Staaten haben sie durch Migration in einen potentiellen Bürgerkriegszustand versetzt.

Es ist angerichtet.

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