Hackerangriffe. Die tschechische Begründung wirkt faul

In den letzten Tagen überschlugen sich die diplomatischen Strafmaßnahmen zwischen Russland und einigen NATO-Staaten förmlich und mündeten in einen eigentlichen Schlagabtausch. Das Ganze spielt sich vor dem Hintergrund eines militärischen Aufmarsches in der Schwarzmeerregion ab, der mit der Durchführung der NATO-Übung "DEFENDER EUROPE 2021" bis in den Juni anhalten wird. Dazu kommen die jüngst verstärkten Spannungen an der Frontlinie im Osten der Ukraine. Da stellt sich die Frage, was das alles soll und wie weit es noch eskalieren kann.
Letzte Woche gab US-Präsident Joe Biden bekannt, die USA würden wegen angeblicher Hackerangriffe zehn russische Diplomaten ausweisen. Im Dezember vergangenen Jahres war bekanntgeworden, dass ein massiver Hackerangriff auf Ministerien, Behörden und Firmen in den USA erfolgt sei, der über Monate unentdeckt geblieben war; peinlich für die US-Nachrichtendienste. Die Angreifer hatten sich Zugang zu den Netzen über die vielerorts genutzte Wartungssoftware der Firma SolarWinds verschafft. Hinter diesem Angriff vermuten die US-Sicherheitsbehörden Russland (1). Aus "Solidarität" wies Polen weitere drei russische Diplomaten aus; so lautete zumindest die offizielle Begründing. Sollten tatsächlich russische Hacker sich in den US-Wahlkampf eingemischt haben, dann ist die Ausweisung von Diplomaten eine legitime Reaktion der US-Regierung. Allerdings ist diese bislang einen öffentlichen Beweis schuldig geblieben. Wenn russische Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärt und aufgefordert werden, das Land zu verlassen, weist Russland jeweils die selbe Anzahl Diplomaten der Gegenseite aus. Erfahrungsgemäß überlegt sich die russische Regierung aber sehr gut, wen sie ausweist. Das wissen wir aus der Ausweisungswelle nach der Skripal-Affäre vor der Fußballweltmeisterschaft 2018 (2). Damals achtete Russland sorgfältig darauf, keine Diplomaten auszuweisen, welche für die Zusammenarbeit rund um die Fußball-WM benötigt wurden. Dass Russland nun im Gegenzug fünf und nicht drei polnische Diplomaten ausweist, ist ungewöhnlich (3). Ob die betroffenen Diplomaten tatsächlich ihre Stellung mussbrauchten, um Nachrichtendienst zu betreiben ist dabei auf beiden Seiten unerheblich. Jeder Diplomat schuldet seiner Hauptstadt Berichte.
Kein Zufall ist es wohl, dass Tschechien fast gleichzeitig 18 russische Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärte, wegen einer angeblichen Sabotageaktion des russischen Militärnachrichtendienstes GRU in einem Munitionslager der tschechischen Armee im Jahr 2014. Damals war ein Munitionslager explodiert, wodurch zwei Menschen ums Leben kamen und eine große Anzahl von Blindgängern in der Umgebung liegen blieb, die in einer aufwändigen Aktion geräumt werden mussten. Russische Diplomaten sind in der Regel drei bis vier Jahre auf einem Posten. Wenn ein Mitarbeiter der russischen Botschaft in Prag sich tatsächlich an einem solchen Sabotageakt beteiligt haben sollte, dann ist er oder sie wohl kaum mehr in der Tschechischen Republik tätig. Die tschechische Begründung wirkt faul. Bei der Explosion in besagten Munitionslager sollen auch Anti-Personenminen der tschechischen Armee explodiert oder in die Umgebung geschleudert worden sein (4). Tschechien trat im Jahr 1997 dem Ottawa-Abkommen über Personenminen bei und sollte danach keine solchen Minen mehr beschafft haben. Die betroffenen Minen waren damit gut und gerne 20 Jahre alt. Wahrscheinlich waren sie aber erheblich älter, stammten möglicherweise noch aus den Zeiten des Kalten Kriegs, waren also mindestens 30 Jahre alt. Die Erfahrung der OSZE zeigt, dass jahrzehntealter Sprengstoff zu spontaner Zersetzung und damit zur Explosion neigt, vor allem, wenn er unsachgemäß gelagert wird. Die OSZE hat deswegen umfangreiche Programme betrieben. Auch in dieser Hinsicht wirkt die tschechische Begründung etwas dünn. Dass Russland nun 20, und nicht 18 tschechische Diplomaten ausweist, ist auch vielsagend (5).
Und schließlich stellt sich die Frage, ob ein Zusammenhang mit den Vorgängen im Donbass besteht, wo die ukrainische Armee in den Tagen nach der jüngsten Sitzung der Trilateralen Kontaktgruppe der OSZE am 14. April systematisch auf Drohnen der Beobachtermission SMM zu schießen begann. Möglicherweise war es auch die ukrainische Armee, welche den GPS-Empfang der Drohnen derart stark störte, dass diese teilweise gar nicht starten konnten und dass eine abstürzte (6). Das ist ungewöhnlich, denn bislang waren GPS-Störungen eher begrenzt vorgekommen und auf beide Seiten der Front verteilt gewesen. Die Ukraine versuchte offenbar, die OSZE Beobachter zu blenden.
Gleichzeitig führte die NATO ein großes Seemanöver im Schwarzen Meer durch. Das russische Verteidigungsministerium beorderte als Gegenmaßnahme zusätzliche Kriegsschiffe vor die Krim. Die USA hingegen verzichteten auf die Entsendung von zwei weiteren Kriegsschiffen ins Schwarze Meer (7).
Wenige Tage zuvor waren Informationen über russische Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine und auf der Krim verbreitet worden (8). Das entsprechende Geschrei von Seiten der Ukraine kennen wir aus früheren Jahren. Die russischen "snap-exercises" gingen immer über die Bühne, ohne dass die panischen Bedrohungsszenarien Wirklichkeit geworden wären (9). Die Ukrainer seien daran erinnert, dass es ihre US-Verbündeten waren, welche die Instrumente der Verifikation in den letzten Jahren schwächten, wie zum Beispiel den Vertrag über den offenen Himmel (open-skies-treaty) und die das Wiener Dokument missbrauchten. Jetzt werden die Russen sich eine Rückkehr an den Verhandlungstisch mit Zugeständnissen bezahlen lassen.
Wie sind diese Vorgänge zu bewerten? Wenn zwischen diesen ein Zusammenhang besteht, dann besteht eine plausible Interpretation darin, dass die osteuropäischen Freunde der Ukraine versuchten, die Spannungen anzuheizen, um die USA zu mobilisieren, die bislang nicht die Unterstützung boten, die man sich erhofft hatte. Russland hielt dagegen – mehr nicht. Geschrei über "Krieg in Sicht" und über eine russische Bedrohung Europas kann man gelassen zur Kenntnis nehmen. Die NATO-Verteidigungsminister verspüren eben das Bedürfnis zu demonstrieren, dass sie gebraucht werden. 

Anmerkungen: 

  1. Siehe u.a. https://www.n-tv.de/politik/USA-weisen-zehn-russische-Diplomaten-aus-article22492653.html

  2. Siehe u.a. https://www.waz.de/politik/kommt-der-wm-boykott-so-straft-die-welt-russland-ab-id213856129.html; https://www.spiegel.de/politik/ausland/sergej-skripal-islands-politiker-boykottieren-fussball-wm-in-russland-a-1200007.html

  3. Siehe u.a. https://www.sueddeutsche.de/politik/russland-ausweisung-diplomaten-1.5267520

  4. Siehe u.a. https://www.welt.de/politik/ausland/article230471697/Tschechien-weist-wegen-Explosion-18-russische-Botschaftsmitarbeiter-aus.html?cid=onsite.onsitesearch.

  5. Siehe u.a. https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/krisen/id_89868976/vergeltungsaktion-russland-weist-tschechische-diplomaten-aus.html

  6. Vgl. https://www.osce.org/files/2021-04-17%20Daily%20Report_.pdf?itok=80371; https://www.osce.org/files/2021-04-16%20Daily%20Report.pdf?itok=98877; https://www.osce.org/special-monitoring-mission-to-ukraine/483149 und weitere Daily Reports der SMM

  7. https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kriegsschiffe-der-usa-fahren-doch-nicht-ins-schwarze-meer-17294349.html. https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/russland-schickt-15-kriegsschiffe-ins-schwarze-meer-17298421.html

  8. Siehe unter anderem https://www.dw.com/de/russische-truppen-an-der-grenze-zur-ukraine-machtdemonstration-oder-bevorstehende-invasion/a-57112211

  9. Ein solcher Fall war die Übung "ZAPAD-17" in Belarus gewesen.

 

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