Es geschah im September 2008

Unsere Redaktion hat dem bekannten deutschen Politiker, der viele Jahre lang in leitenden politischen Positionen tätig war - unter anderem als Vize-Präsident der parlamentarischen Versammlung der OSZE - Willy Wimmer, Fragen zur Lage in Afghanistan gestellt. Vor vielen Jahren wurde der Krieg in Afghanistan zu einem der Faktoren, die ein Imperium zerstörten - die Sowjetunion. Die heutige tatsächliche Flucht der US-Supermacht aus Kabul, ohne auch nur die engsten Verbündeten zu benachrichtigen, wirft die Frage auf, warum dieser zwanzigjährige Krieg überhaupt auf der Tagesordnung stand? Was suchte Deutschland dort, so weit von seinen Grenzen entfernt und hätte dieser Krieg früher gestoppt werden können?

Willi Wimmer:

„Es ging im September 2008 - da fand diese Reise statt - darum, mit welcher Perspektive man die Situation in Afghanistan würde beurteilen müssen. Das war eine in dem Sinne extrem spannende Reise, denn das Hotel, in dem ich in Islamabad übernachtet hatte auf der Weiterfahrt nach Kabul, das flog in die Luft, kurz nach dem ich das Hotel verlassen hatte. Also, vor diesem Hintergrund, war das eine mehr als dramatische und denkwürdige Reise. Und das Gespräch mit dem Präsidenten Karzai, das war sehr aufschlussreich - denn er sagte mir in aller Offenheit, dass die Taliban im Jahre 2004 den amerikanischen Truppen und auch der afghanischen Regierung angeboten hatten auf ewig die Waffen zu strecken und keine kriegerischen Aktivitäten in Afghanistan mehr durchzuführen. Aber dieses Angebot der Taliban sei von der amerikanischen Seite nachdrücklich abgelehnt worden. Das war natürlich für mich eine massive Überraschung und direkt nach meiner Rückkehr aus Kabul habe ich auch entsprechende Gespräche in Berlin geführt, um diese Dinge entsprechend an Ort und Stelle zu platzieren. Ich war natürlich Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages, aber hinzukam auch meine Rolle in der OSZE, die ich über viele Jahre gespielt hatte, unter anderem als Vize-Präsident der parlamentarischen Versammlung der OSZE. Ich war in den Jahren zwischen 1995 und 1998 sehr sehr oft in Afghanistan, kannte alle Verantwortlichen Führer, auch nach dem Einmarsch der Taliban seinerzeit in Kabul war ich mit dortigen Repräsentanten der Taliban zusammen getroffen und das war ein sachlicher Grund, um nach Afghanistan zu fliegen. Hinzukam natürlich etwas, was mit dem Einmarsch der amerikanischen Truppen in Afghanistan unmittelbar in Verbindung zu bringen war. Das war auf der einen Seite die Ermordung meines langjährigen Gesprächspartners in Afghanistan, des Tadschiken-Führers Masoud, der in einem Haus ums Leben gebracht worden war, in dem ich mich mit ihm an der afghanisch-tadschikischen Grenzen zusammen getroffen habe. Und natürlich, in Zusammenhang mit diesen auf Afghanistan bezogenen Aktivitäten, war es für mich nicht überraschend, als ich in Zusammenhang mit den Ereignissen in New York und Washington - bekannt als 11. September 2001 - vertraulich kontaktiert wurde, mit einer Überlegung Bin Laden auszuliefern und vor ein europäisches Gericht zu stellen, wenn für diese Gerichtsverhandlung Fairness garantiert werden könne.“

Hatte die politische Führung Deutschlands Kenntnis von diesen Vorschlägen und ähnlichen Gesprächen und, wenn ja, wie war die Reaktion?

Willy Wimmer:

„Das habe ich dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder auch geschrieben, ohne allerdings jemals eine Antwort auf für diesen Brief zu bekommen. Aber das war zeitgleich zu den öffentlichen Darstellungen eines Kollegen aus dem europäischen Parlament, der offensichtlich unter Namensnennung seiner Gewährsleute ebenfalls kontaktiert worden war in diesem Zusammenhang und das auch in den Medien öffentlich gemacht hatte. Also vor diesem Hintergrund war es eine bei mir sehr lang andauernde Beschäftigung mit Afghanistan und zwar nicht nur mit Afghanistan, sondern auch mit den Mitgliedstaaten der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, der späteren OSZE in Zentralasien, denn wenn ich mich über Afghanistan unterhalte, dann muss ich natürlich auch die Lage in Tadschikistan, in Kirgistan, in Kasachstan, Usbekistan und in Turkmenistan kennen. Und das sehen wir ja auch in der heutigen Situation. Die Auswirkungen der Entwicklung in Afghanistan auf diese Staaten, und auf die Russische Föderation und China, sind evident. Ich bin in all diesen Gebieten intensiv über viele Jahre hinweg unterwegs gewesen und habe mich vor diesem Hintergrund auch gar nicht gewundert, dass mein Besuch im September 2008 in Kabul und die Gespräche mit dem afghanischen Präsidenten Karzai dazu führten, das wieder ein Angebot über die Auslieferung von Bin Laden an uns gerichtet worden ist. Ich habe dazu beitragen können, ohne jetzt in Einzelheiten zu gehen, dass der Gesprächspartner entsprechende Gespräche an höchster Stelle in Berlin führen konnte, mit dem Ziel, über eine gemeinsame Aktion Bin Laden hier vor Gericht stellen zu können.“

Was waren die politischen Ergebnisse? Es scheint, dass nicht die Vereinigten Staaten von Amerika, nicht ihre Partner in Europa und auch die NATO nicht besonders an einem baldigen Ende des Krieges in Afghanistan und dem Prozess gegen bin Laden interessiert waren.

Willy Wimmer:

„Der Umstand, dass alle diese Bemühungen umsonst gewesen sind, lässt natürlich vermuten, dass die Amerikaner sich da selber was vorgenommen hatten und das haben wir dann auch später gesehen. Mit der amerikanischen Regierung, mit den höchsten amerikanischen Stellen, da war überhaupt kein Zweifel dran, dass die Taliban das den allen amerikanischen Autoritäten unterbreitet hatten, die für derartige Fragen auch zuständig sind. Das ist die amerikanische Regierung. Und die militärische amerikanische Spitze. Und ich habe überhaupt kein Zweifel, dass das auch geschehen ist. Und da es sich bei den Vereinigten Staaten um einen gut sortierten Staat handelt, gehe ich davon aus, dass diese Dinge an höchster amerikanischer Stelle bekannt geworden sind, sonst würde ja das Bild der Vereinigten Staaten erheblich leiden.“

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