Eine neue deutsche Ardennen-Offensive / Berliner Endsiegsfantasien / Merz wird zu "unguided Missile"

Von Hans-Georg Münster

Friedrich Merz wird mit seinen Äußerungen zur "unguided Missile", zur ungesteuerten Rakete in der europäischen Politik. Es besteht keine Aussicht auf ein besseres Verhältnis zu Russland, die Risse im Verhältnis zu den USA sind nur mühsam gekittet worden, und die deutsch-israelische Freundschaft ist in ihren Fundamenten erschüttert. Jetzt traf Merz mit einer Äußerung Belgien, wo er - ohne die belgische Regierung zu fragen - sich dort eingelagertes russisches Vermögen holen will. In Brüssel werden schlimme Erinnerungen wach.

Deutschland mit seiner Mittellage ist immer auf ein gutes Verhältnis zu seinen Nachbarn angewiesen. Das wusste Bismarck, das wusste Helmut Kohl. Kaiser Wilhelm II. und Adolf Hitler wussten das nicht beziehungsweise wollten das nicht wissen und lösten damit die europäischen Tragödien aus, deren Folgen uns heute noch beschäftigen. Viele Wunden sind auch acht Jahrzehnte nach dem Krieg noch nicht verheilt; auch die zwei deutschen Überfälle auf das neutrale Belgien 1914 und 1940 sind nicht vergessen. Und jetzt verlangt Merz in einem Namensartikel in der "Financial Times" von der belgischen Regierung, das bei der Firma "Euroclear" in Brüssel gelagerte russische Staatsvermögen herauszugeben, damit es zur Unterstützung der Ukraine verwendet werden kann.

In Berlin wurde bereits ein Plan für diesen - man kann es nicht anders nennen - deutschen Raubzug in Belgien entwickelt. Danach soll Euroclear 140 der dort befindlichen rund 200 Milliarden Euro eingefrorenen russischen Gelder nehmen, um damit von der EU herausgegebene Anleihen zu kaufen. Damit hätte die EU Barmittel und somit die Möglichkeit, die Ukraine zu unterstützen; und Kiew kann Waffen bestellen, die vornehmlich in Europa (und natürlich vor allem in Deutschland) beschafft werden sollen, so die Überlegung des Bundeskanzlers. Das Geld an Kiew soll als Kredit ausgereicht werden, und wenn der Krieg gegen Russland dereinst gewonnen worden sein sollte, soll Moskau Reparationen an die Ukraine zahlen müssen, mit denen die Kredite der EU zurückgezahlt werden können.

Das Portal t-online zitiert einen Berliner Regierungsbeamten: Die Entnahme des russischen Vermögens sei "der wohl größte Hebel, den die Europäer ukrainepolitisch in die Hand nehmen könnten". Dieser Hebel könne ein "Gamechanger" sein, der den Krieg zugunsten der Ukraine wenden könnte. Soweit die neuen Berliner Endsiegsfantasien.

Merz war es nicht in den Sinn gekommen, bei den deutschen Nachbarn zu fragen, was sie von seinem Plan halten. Die Antwort aus Brüssel kam schnell und nicht per Diplomatenpost, sondern öffentlich: Der belgische Premier Bart de Wever sagte auf einer Pressekonferenz: "Putins Geld nehmen und die Risiken bei uns lassen - das wird nicht geschehen, lassen Sie mich da sehr klar sein." Er nehme das Merz ein "bisschen übel". Übersetzt heißt das: Belgien ist schwer verärgert über Deutschland, das wieder über den Kopf eines kleinen Nachbarn hinweg schwerwiegende Entscheidungen treffen will.

Frankreich, das in der schwersten Finanzkrise seit Gründung der 5. Republik 1958 steckt, war ebenfalls nicht begeistert, auch wenn Präsident Macron dies nicht öffentlich kommunizierte. Der Merz-Plan sieht Garantien der europäischen Länder für "Euroclear" vor, falls das eingefrorene russische Vermögen doch vorzeitig freigegeben werden müsste. Garantien sind ein Mittel, um zu verschleiern, dass es sich in Wirklichkeit um einen Raubzug handelt. Die von den EU-Staaten gegebenen Garantien könnten jedoch das Kredit-Rating Frankreichs gefährden, was die Zinskosten der Grande Nation auf ihre historisch hohen Staatsschulden schnell in unbezahlbare Höhe treiben könnte. Dass gerade schon wieder ein Ministerpräsident Frankreichs zurückgetreten ist, hat den Grund in der überbordenden Verschuldung des Landes. (Eine andere interessante Frage ist, was Merz machen würde, wenn die Le-Pen-Partei in Frankreich an die Regierung kommen sollte, mit deren deutschen Verwandten von der AfD er nichts zu tun haben will.)

Und um den zu erwartenden Widerstand Ungarns gegen den Merz-Plan zu umgehen, schwebt den Strategen in Berlin allen Ernstes vor, einen europäischen Garantievertrag ohne Ungarn zu schließen, damit der Budapester Ministerpräsident Orban kein Veto einlegen kann. Denn für die EU-Garantien wäre ein einstimmiger Beschluss aller Mitgliedsländer notwendig. Merz und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen können möglicherweise bald auch Tschechien draußen lassen, nachdem sich in Prag nach der Parlamentswahl ein Regierungswechsel abzeichnet. Aus der neuen deutschen Ardennen-Offensive (Gott sei Dank geht es diesmal nur ums Geld) wurde bisher nichts: Beim informellen EU-Gipfel in Kopenhagen war von dem Merz-Plan keine Rede mehr.

Es bleibt die Frage, was den deutschen Bundeskanzler zu diesem Verhalten verleitet hat. Eine Erklärung findet sich in seiner Personalauswahl. Merz hat sich im Kanzleramt mit unfähigen Beratern umgeben, was besonders deutlich wird an seinem Büroleiter Jacob Schrot, der auch Leiter der Stabsstelle des Nationalen Sicherheitsrates ist. Der erst 35 Jahre alte Schrot hat keinerlei diplomatische Erfahrung, sondern war überwiegend parteipolitisch tätig als Referent von CDU-Politikern. Und solche Leute schreiben jetzt Merz die Reden und Namensartikel. Es ist tragisch. Und man fragt sich, was Merz und seinen jungen Männern als nächstes einfallen wird.

Beim Besuch einer Zeitungsredaktion in Nordrhein-Westfalen schoss der Kanzler wieder eine "unguided Missile" ab, als er sagte: "Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden." Wer so redet und wer wie die CDU die jungen Männer in Deutschland möglichst bald zur Armee einziehen will, um kriegstauglich zu werden, der wird auch den Krieg bekommen. Schon appelliert der neue Heeresinspekteur, Generalleutnant Christian Freuding, die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zu erhöhen sowie dringend erforderliche neue Fähigkeiten wie den Kampf mit und gegen Drohnen einzuführen. "Der Feind wartet nicht auf die ,Fertig'-Meldung des Heeres", schrieb der Generalleutnant in einem Tagesbefehl an die Truppe. Früher wäre ein so daher redender Offizier sofort entlassen worden, denn Deutschland befindet sich nicht im Kriegszustand und hat infolgedessen keinen Feind. Oder weiß Freuding schon mehr? Wie sonst ist ein anderer Satz in dem Tagesbefehl zu erklären: "Ich will für ein Heer arbeiten, das bereit ist zum Kampf, das sich durchsetzt, das gewinnt."

Es sind leider nur wenige, die ihre Stimme gegen den drohenden neuerlichen Lauf Deutschlands ins Verderben erheben. Dazu gehört etwa der frühere brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Er erklärte mit Blick auf ständige Äußerungen von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD): "Ich möchte eigentlich nicht in einer kriegstüchtigen Gesellschaft leben." Platzeck spricht sich für eine diplomatische Lösung des Ukraine-Konflikts aus und ärgert sich: "Wenn jemand nur das Wort Diplomatie ausspricht, ist er sofort Putin-Knecht." Ein überraschender Weckruf kam aus der Musik-Szene: Der in Deutschland sehr bekannte und beliebte Sänger Peter Maffay fragte Kanzler und Verteidigungsminister: "Wann Herr Pistorius, Herr Merz, müssen wir mit der Bekanntmachung der Mobilmachung rechnen?" Maffay warf Merz und Pistorius eine euphorische Kriegsrethorik vor und fragte: "Sind Sie sich eigentlich im Klaren, welches Öl Sie da ins Feuer gießen? Ist den, starken Mann' zu geben die einzige Option, die Ihnen einfällt angesichts der sich rasant verschärfenden Konfrontation mit Russland?"

Doch die vermeintlich "starken Männer" lassen sich nicht umstimmen - und sie erkennen nicht, dass sie in Wirklichkeit unfähig sind, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, wie sie geschworen haben. Otto von Bismarck nannte Wilhelm II. einst einen unfähigen "Brausekopf". Das trifft auch auf Merz zu.

 

Bilder: depositphotos, screensh, KI -Bilder

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