Doppeltes Spiel in Washington

Von Willy Wimmer

Vor wenigen Tagen sind die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr aus Afghanistan zurückgekehrt, die als letzte den Einsatz hinter sich gelassen haben. Der deutsche Saldo dieses Einsatzes ist klar umrissen: 59 getötete deutsche Soldaten und 12 Milliarden Euro mindestens. Jetzt überschlägt man sich in Berlin mit Überlegungen, den gesamten Einsatz untersuchen zu lassen. Das beschließen diejenigen, die auf Gedeih und Verderb sich für diesen Einsatz eingesetzt hatten und haben. Kann man von dieser Untersuchung mehr erwarten als eine Charade?  Oder als Ermunterung, künftige Einsätze im Bündnisinteresse durchzuziehen, Grundgesetz hin oder her? Nach den bisherigen Erkenntnissen, die man über derartige Untersuchungen leider hat sammeln müssen, wird dabei nichts herumkommen. Man sollte sich ein Beispiel an den um keinen Krieg verlegenen Briten nehmen, die es gewohnt sind, schonungslos die Karten auf den Tisch zu legen, obwohl sie keinen Krieg ausschlagen, den man führen kann oder den es anzuzetteln gilt. Auf die Spitze getrieben wurde das beim völkerrechtswidrigen Angriffskrieg im Frühjahr 1999 gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Der WDR fand eine sinnige Überschrift für einen glänzend gemachten Film über diesen Krieg. Danach "begann alles mit einer Lüge". Was gab es da nach Ansicht der damaligen Bundesregierung und der diesen Krieg tragenden Parlamentsmehrheit? Sehenden Auges eine Untersuchung anzuzetteln, die die selbstgestrickte Lüge auch noch aufzudecken in der Lage gewesen wäre? Obwohl es mahnende Stimmen zuhauf gegeben hatten, folgte man im damaligen Bonn oder Monate später in Berlin keinesfalls dem britischen Beispiel, das gesamte Kriegsgeschehen zu untersuchen. Schwamm drüber, um beim nächsten Krieg mitzumachen.

Dabei hatte der Einsatz in Afghanistan eine Vorgeschichte, deren Muster schon vorher praktiziert worden ist, jetzt musterhaft abläuft und demnächst auch wieder den gesamten Westen in den Krieg ziehen wird. An dem Krieg in Afghanistan wird das geradezu exemplarisch durchgezogen. Es sind mehrere Elemente, an denen man das sehen kann. Die Taliban, die den äußeren Anlaß für den deutschen und verbündeten Einsatz in Afghanistan geliefert hatten, waren schlichtweg eine Schöpfung der Vereinigten Staaten und der Partner, mit denen man gewohnheitsmäßig  in solchen Angelegenheiten zusammen zu arbeiten pflegt. Eine ehemalige hochrangige Mitarbeiterin des amerikanischen Außenministeriums hat diese Sicht der Dinge einmal in die berühmten Worte gekleidet, daß es sich bei den Taliban um "unsre Jungs" handeln würde, die "zu mieten, aber nicht zu kaufen seien". Das läßt nicht nur die Frage nach der Entstehung dieses Konfliktes zu. Man muß sich auch fragen, unter welchen Kriterien die Verhandlungen zwischen der amerikanischen Seite und den Taliban gelaufen sind. Übrigens in den Gebieten, die nach amerikanischer Anstiftung aus der Golfregion die Finanzmittel zur Verfügung gestellt hatten und haben, mit denen die Taliban ihren jahrzehntelangen Feldzug finanzieren konnten.  Nur so ist auch zu erklären, daß die Vereinigten Staaten mit ihrem pakistanischen Verbündeten die LKW-Karawane aus dem pakistanischen Grenzgebiet ins afghanische Kandahar losschicken konnten, um den afghanischen Bürgerkrieg unter paschtunischen Vorzeichen zu einen Ende zu bringen. Diese LKW-Karawane war die Geburtsstunde der Taliban, deren Siegeszug in Nordafghanistan auf die Wiederstandskraft usbekischer, tadschikischer und Hasara-Kräfte stieß. Man war erfolgreich gestartet, aber bieß sich im Norden an den anderen Kriegsherren fest. Diese LKW-Karawane in ihrer Entwicklung beschrieb das Bild, das sich seit dem "Großen Spiel" und der Ziehung von Grenzen zwischen dem britischen Kolonialreich und dem zaristischen Rußland in Afghanistan zeigt. Die von den Briten dabei gezogene Grenze teilt die Mehrheitsbevölkerung der Paschtunen, die eines nicht sein wollen: eine geteilte Gesellschaft. Das führte Anfangs der neunziger Jahre zu den Entscheidungen in den afghanischen Gremien, Krieg gegen Pakistan zu führen. An all diesen Umständen hat der zwanzigjährige Krieg unter Führung der Vereinigten Staaten nichts geändert. Im Gegenteil, man hat den Tummelplatz für die Zukunft geschaffen, auch wenn man jetzt eine angelsächsische Formation zur Dominanz in Afghanistan aufstellt, wie man an Fundstücken in britischen Bushaltestellen herausfinden kann.

Die Talibanisierung Afghanistans fand nicht im luftleeren Raum statt. Gespräche im Garten der Residenz des deutschen Botschafters in Neu Delhi machten deutlich, wie sehr in diesen Jahren die Vereinigten Staaten dabei gewesen sind, nach den Kriegs-und Stationierungsmodellen in Europa und anderen Teilen der Welt "dazwischen zu kommen, was die Konflikte regionaler Mächte anbelangte", um deren Konflikte für eigene Stationierung und Machtprojektion nach amerikanische Machtvorstellung umsetzen zu können. Man ging von Kaschmir aus, das die geeignete Interventionsfläche hätte darstellen können. Rund fünfzehn Jahre später hat der damals amtierende Ministerpräsident des pakistanischen Teils von Kaschmir in einem persönlichen Gespräch, das im Restaurant des Reichstagsgebäudes in Berlin geführt werden konnte, das nicht nur bestätigt. Er hat die intensiven Bemühungen amerikanischer Abgesandter geschildert, seine Unterstützung für eine amerikanische Truppenstationierung in Pak-Kaschmir zu erlangen, um sich in eine strategischen Position zu bringen, bei der man Indien, China, Iran, Zentralasien, die Russische Föderation und nicht zuletzt Pakistan in einem hegemonialen Griff haben würde. Es wurde ein Anlaß gesucht, um in den "Friedhof der Großmächte" einzufallen: Afghanistan.

Der deutsche Einsatz? An nichts wird das Gesamtbild deutlicher, als an dem Ausspielen der deutschen Kontingente durch den amerikanischen Einsatz. Man hatte den Norden zugewiesen erhalten und die Bundeswehr war durchaus in ihrem Einsatzmodell der Befriedung erfolgreich. Um dann feststellen zu müssen, daß ohne jede Absprache im Rücken der deutschen Verbände die amerikanischen Truppen daran gingen, ihren Kriegseinsatz durchzuziehen. Das mit dem Ergebnis, daß das Konzept der Bundeswehr in sich zusammenbrach. Nichts mehr mit Brunnenbau, es durfte geschossen und gestorben werden. Der afghanische Präsident Karzai sprach später davon, daß 2004 die Taliban den Vereinigten Staaten angeboten hatten, für immer die Waffen zu strecken. Die USA haben das Angebot abgelehnt. Das alles will man in Berlin untersuchen oder nur einen Beitrag zur Geschichtsklitterung im Bündnisinteresse liefern?

Bilder: Depositphotos u.a
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