Von Hans-Georg Münster
Als Russland in den ersten Apriltagen ein Militärmanöver in der Arktis mit über 1.800 Soldaten und etwa einem Dutzend Schiffe begann, war die Aufregung in den deutschen Medien groß. Das ZDF berichtete, Moskau mache Ansprüche auf die Polarregion geltend. Das in Deutschland weit verbreitete Internetportal T-online hatte bereits einige Zeit zuvor zur Arktis kommentiert: „Der nächste große Knall droht im Norden.“ Die Arktis werde zunehmend militarisiert, und das sei „brandgefährlich“. Die Frankfurter Rundschau berichtete unter Bezugnahme auf norwegische Quellen von „verdächtigen Aktivitäten“ Russlands. Verschwiegen wurde und wird allerdings die massive Aufrüstung der USA und anderer NATO-Länder für eine Kriegsführung in der Arktis. Auch Deutschland rüstet kräftig mit.
Von den Manövern der westlichen Allianz, die inzwischen auch auf das Nato-Neumitglied Finnland und das Nato-Beitrittsland Schweden ausgeweitet werden, ist in der deutschen Presse nichts zu lesen. Hingegen fand sich auf der Homepage der US-Army für Europa und Afrika ein Bericht über das Manöver „Arctic Forge 2023“.Im Februar 2023 hätten etwa 730 Soldaten der II. Marine Expeditionary Force und 200 Mitarbeiter der US-Army zusammen mit rund 10.000 Militärangehörigen aus Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen und dem Vereinigten Königreich an der Übung teilgenommen. „Dies ist eine unglaubliche Gelegenheit, Marinesoldaten und Seeleute aus der gesamten Marine Air-Ground Task Force mit unserer US-Army und den europäischen Verbündeten und Partnern der Nato zusammenzubringen“, lobte der amerikanische Generalleutnant David A. Ottignon in einer Mitteilung. Bereits 2022 hatte in der Arktisregion das Manöver „Cold Response“ stattgefunden, dessen Neuauflage 2024 bevorsteht.
In einer Mitteilung der US-Streitkräfte heißt es, die US-Army bilde ihre Streitkräfte aus, um bei extremer Kälte, großer Höhe und wechselhaften Wetterbedingungen zu operieren. Dabei operiere sie Seite an Seite mit Alliierten und Partnerstaaten der Arktis, „was unsere Entschlossenheit zeigt, die nationalen Interessen in der Arktisregion zu sichern“. Auch die Arktis-Strategie des amerikanischen Verteidigungsministeriums soll aktualisiert werden. Es wird erwartet, dass der Ton in der neuen Arktis-Strategie der USA schärfer ausfällt. Die stellvertretende amerikanischer Verteidigungsministerin Melissa Dalton ließ während einer Arktis-Konferenz Anfang April durchblicken, dass man den Äußerungen des früheren US-Außenministers MikePompeo im Arktischen Rat von 2019 folgen werde, wo Pompeo die „aggressiven Bemühungen“ Chinas und Russlands, die regelbasierte Ordnung der Region in Frage zu stellen, scharf zurückgewiesen hatte.
Zur Sicherung ihrer Interessen gehen die USA inzwischen subtiler vor als noch zu Zeiten ihres Präsidenten Donald Trump, der die strategisch wichtige Insel Grönland von Dänemark kaufen wollte. Das hatte der grönländischen Unabhängigkeitsbewegung Zulauf gebracht, die mit China sympathisiert, das ebenfalls große Interessen in der Arktis hat. Um ihre Sympathien bei der grönländischen Bevölkerung zu erhöhen, überließen die USA die logistische Versorgung ihres grönländischen Stützpunktes Thule einheimischen Unternehmen. Zuvor hatte ein US-Unternehmen die Versorgung von Thule übernommen. Der Vertrag mit dem neuen grönländischen Betreiber soll zwölf Jahre laufen. Der dänische Außenminister Lars Lokke Rasmussen gabzu, Zweck der Vereinbarung sei, Grönland und seiner Bevölkerung den größtmöglichen Nutzen aus der militärischen Anwesenheit der USA zu sichern. Was er nicht sagte: Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung durch den Vertrag soll der Unabhängigkeitsbewegung Wind aus den Segeln genommen werden.
Der dänische Strategieforscher Marc Jacobsen sieht zwei Gründe für die Aufrüstung der USA: Zum einen wolle man sich Russland entgegenstellen und zum anderen China. China sei der große globale Konkurrentder USA in der Arktis und wolle im Rahmen seiner Initiative „Polare Seidenstraße“ in der Region investieren und sich festsetzen. Auf der norwegischen Inselgruppe Spitzbergen, wo sich Forscher aus allen Ländern aufgrund eines über 100 Jahre alten Vertrages ungehindert niederlassen können, sind die Chinesen längst mit einer Forschungseinrichtung präsent. Auch bemüht sich China permanent um eine Intensivierung des Verhältnisses zu Island, dessen erwartete „Notaufnahme“ in die Europäische Union während der letztengroßen Finanzkrise durch chinesische finanzielle Unterstützung abgewendet werden konnte.
Auch in anderen Ländern spielen die USA die wirtschaftliche Karte aus: So soll der schwedische Hersteller Hägglund für die US-Streitkräfte 110 geländegängige Fahrzeuge für Einsatz im Schnee und bei Kälte bauen.Das US-Unternehmen Oshkosh, das auch solche Fahrzeuge anbietet, ging leer aus. Das Hägglund-Fahrzeug mit dem Namen „Beowulf“ soll Soldaten helfen, beim Vormarsch auf Schnee größere Distanzen schnell zurückzulegen. Bei den westlichen Streitkräften firmieren diese Fahrzeuge unter dem Begriff „Cold WeatherAll Terrain Vehicle“ (CATV).
Hier kommt auch die Bundeswehr ins Spiel. Anfang April stimmte der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages der Beschaffung von insgesamt 227 CATV-Kettenfahrzeugen zu. Der Auftragswert beläuft sich auf 919 Millionen Euro. Finanziert wird die Beschaffung aus dem 100 Milliarden Euro großen Sondervermögen für die Aufrüstung der Bundeswehr. Die 227 Überschneefahrzeuge sollen ebenfalls bei Hägglund, das ein Tochterunternehmen des britischen Herstellers BAE Systems ist, produziert werden. Solche Überschneefahrzeuge werden in Deutschland selbst nicht gebraucht. An den hoch gelegenen Grenzen zu den neutralen Staaten Österreich und der Schweiz ist kein Militär notwendig. Die Anschaffung macht nur dann Sinn, wenn die Fahrzeuge für militärische Vorstöße von Skandinavien aus genutzt werden sollen beziehungsweise ein entsprechendes Drohpotenzial aufgebaut werden soll.
Militärisch tut sich sehr viel, aber die Diplomatie spielt im hohen Norden keine Rolle mehr. Norwegen wird ab Mai den Vorsitz im Arktischen Rat übernehmen, in dem neben den anderen Arktis-Anrainern auch Russland vertreten ist. Der Arktische Rat ist jedoch seit Beginn der Auseinandersetzungen in der Ukraine vom Westen de facto stillgelegt worden. In einer Erklärung der norwegischen Regierung ist zwar viel von Klimaschutzfragen die Rede, die im Arktischen Rat erörtert werden könnten, aber kein Wort davon, wie im Arktischen Rat in Zukunft mit Russland umgegangen werden soll. Dabei wäre der Arktische Rat ein geeignetes Gremium, den Dialog mit Russland wieder in Gang zu bringen. Auch die deutsche Bundesregierung in Berlin äußerte sich in einer Antwort auf eine Parlamentsanfrage zum Arktischen Rat nicht zu Möglichkeiten einer Verbesserung des Verhältnisses zu Russland.
Es ist die Zeit der Falken, nicht der Tauben.
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