Die Rückkehr der deutschen Angst / Eine unwissende und überforderte Regierung in Berlin kann zum Frieden in Europa nichts beitragen

Von Hans-Georg Münster

Die fröhliche „Wir-retten-die-Welt-vor dem-Klimawandel“ Stimmung mit „Fridays for Future“-Demonstrationen und Straßenblockaden durch sich auf dem Asphalt festklebende Demonstranten ist vorbei; selbst der sich von der Covid-Pandemie erholende Karneval ist abgesagt, ehe er richtig begonnen hat. Die Deutschen haben Angst – vor Krieg. Dabei sollten sie sich besser Sorgen wegen ihrer mit der Situation in Osteuropa völlig überforderten Regierung machen.
Die neue Bundesregierung unter Führung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) hat nichts, aber auch gar nichts im Angebot, was sie unternehmen könnte, um zu einem Ende des Kanonendonners beizutragen. Wenn Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erklärt, sie sei „in einer anderen Welt aufgewacht“, dann sollte sie sich fragen, in welcher Welt sie vorher gelebt hat. Vermutlich im Wolkenkuckucksheim von Berlin-Mitte, wohl behütet im grünen Milieu und durchgefüttert mit großzügig an die Parteien verteilten Steuergeldern. Scholz und sein Vizekanzler Robert Habeck werfen Russland und seinem Präsidenten Putin seit mehreren Tagen in sich ständig wiederholenden Erklärungen einen „eklatanten Bruch des Völkerrechts“ (Scholz) beziehungsweise einen „schamlosen Bruch des Völkerrechts“ (Habeck) vor. „Wir werden das volle Paket mit massivsten Sanktionen auf den Weg bringen“, verspricht Baerbock. In einem Brief an ihren ukrainischen Amtskollegen, den Präsidenten der Werchowna Rada, Ruslan Oleksiiovych Stefanchuk, bekundete Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) ihre „aufrichtige Solidarität mit allen Mitgliedern der Werchowna Rada und dem Volk der Ukraine“.
Den Ukrainern kann man nur den Rat erteilen, bei solchen Freunden gleich die weißen Fahnen zu hissen und nicht darauf zu vertrauen, was beispielsweise EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verspricht: „Wir werden die wirtschaftliche Basis Russlands schwächen und seine Fähigkeit, sich zu modernisieren.“ Man muss wissen, wer da spricht. Von der Leyen und ihre EU-Kommission planen seit Jahren an einer europäischen Armee, die bisher nur auf dem Papier existiert. Die EU ist ein zahnloser Tiger, der nur brüllen, aber nicht beißen kann.
Wie die EU hat auch Deutschland ein Problem an seiner Spitze. Die Grünen haben als neue Elite das Land übernommen, Ministerien, Behörden und Verbände sind überwiegend in Hand ihrer Sympathisanten. Es ist der 1968 begonnene „Marsch durch die Institutionen“ der damaligen Studentenbewegung, der jetzt zum Erfolg geführt hat. Der Preis, den Deutschland dafür bezahlt ist hoch: Verlust von fachlicher Kompetenz (zum Beispiel über geopolitische Zusammenhänge) und vor allem von Erfahrung in der politischen Führung machen das Land zu einer „unguided Missile“ (außer Kontrolle geratenen Rakete), die mal hierhin und mal dorthin fliegt, letztlich aber abstürzt.
Wer jetzt auf Sanktionen setzt, hat keine Ahnung, wovon er spricht. Einer der sich auskennt, ist der frühere Kanzler Gerhard Schröder (SPD), in Berlin allerdings wegen seiner Russland-Kontakte persona non grata. Er sagt: „Glaubt man wirklich, man könnte Russland mit Sanktionsdrohungen in Probleme bringen? Das Land hat in seiner Geschichte bewiesen, dass es davon nicht sehr viel beeindruckt ist.“ Der Berliner Publizist Gabor Steingart nennt den Westen entsprechend einen „Maulhelden“.
Von Geschichte versteht man in Berlin jedoch nichts mehr. Man hat Haltung, ist engagiert und vergisst, dass jemand, der nicht weiß, wo er herkommt, auch nicht weiß, wo er hingeht. Der persönliche Zeithorizont der Außenministerin Baerbock entspricht vielleicht zwei Jahrzehnten. Was vorher war, weiß sie schlicht und ergreifend nicht (mit Ausnahme der NS-Zeit). Entsprechend taumelt sie durch die Zeitgeschichte.
Den Blick zurück empfiehlt beispielsweise der frühere Sicherheitsberater von Helmut Kohl und langjährige Chef der Münchener Sicherheitskonferenz, Horst Teltschik. Er hält die nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 begonnene Osterweiterung der Nato für einen Fehler. Vorrangig hätte eine EU-Mitgliedschaft der mittel- und osteuropäischen Länder sein müssen. „Die Nato ist ein militärisches Bündnis. Das hätte der zweite oder dritte Schritt sein können, aber nicht der erste,“ erinnert Teltschik an die vom Westen gebrochenen Zusagen an Russland, die Nato nicht nach Osten auszudehnen. Er erinnert auch an Putins Rede 2001 im Bundestag, als der russische Präsident die Hand weit nach Westen ausgestreckt habe, was aber von der Bundesregierung und anderen Regierungen nicht aufgenommen worden sei. „Da kann ich nur sagen, verpasste Chancen.“
Teltschik hat lange genug an internationalen Verhandlungen teilgenommen, um zu wissen, wie Europa aus der bedrohlichen Situation herauskommen könnte. Er regt an, „Verhandlungen über die Abrüstung und die Rüstungskontrolle zu führen. Und dann würde ich wieder folgenden Punkt auf die Tagesordnung setzen: eine gesamteuropäische Freihandelszone.“ Das ist ein Pfund, mit dem die Bundesrepublik und der Westen gegenüber Moskau wuchern könnten: Der Ausbau des Warenverkehrs und die Senkung von Zöllen käme allen Beteiligten zugute. Handel bringt Wandel, sagt ein deutsches Sprichwort. Und ergänzt werden kann: zum Besseren.
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