Die Qual der Wahl, wo es eigentlich keine gibt

Die Schweizer Regierung will in den nächsten Tagen den Entscheid für eines der vier Kampfflugzeugmuster fällen, welche die Schweizer Armee im Hinblick auf eine Beschaffung getestet hat. In einer Volksabstimmung im vergangenen Jahr hatte das Schweizer Volk einem Kredit von 6 Milliarden Franken für die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge und Systeme der Luftabwehr zugestimmt (1). Kein geringerer als US-Präsident Joe Biden machte anlässlich seines Besuchs in der Schweiz vor einer Woche Werbung für die zwei US-amerikanischen Kampfflugzeuge, die an den Tests teilgenommen hatten (2). Die Schweizer Luftwaffe möchte derzeit um die 30 Kampfflugzeuge beschaffen und begründet diese Anzahl mit der notwendigen Durchhaltefähigkeit ihrer Kampfflugzeugflotte bei der Wahrung der Lufthoheit im Frieden und bei der Luftverteidigung. Anzahl und Typ der beantragten Kampfflugzeuge stimmen mit dieser Argumentation nicht überein. Generell ist die Argumentation der schweizerischen Landesregierung nicht immer stringent (3).

Die Durchhaltefähigkeit, das heißt die Anzahl Tage während derer eine Flotte von Kampfflugzeugen ihre Operationen führen kann, hängt ganz wesentlich von der Wartung ab, die an den Flugzeugen durchgeführt werden muss. Nach einer, vom Hersteller vorgeschriebenen Anzahl Flugstunden, bzw. Starts und Landungen müssen bestimmte Wartungsarbeiten vorgenommen und Bestandteile ausgetauscht werden. Bei diesen Arbeiten besteht wenig Handlungsspielraum, denn sie sind bestimmend für die Sicherheit. Die Schweizer Luftwaffe erklärte, sie brauche eine Anzahl von um die 30 Kampfflugzeugen, um während 4 Wochen permanent zwei Doppelpatrouillen, das heißt vier Kampfflugzeuge gleichzeitig einsetzen zu können (4). Im täglichen Luftpolizeidienst geht es darum, die Einhaltung der Luftverkehrsregeln zu überwachen und Verstöße gegen diese zu dokumentieren. Weiter geht es darum, die Identität von Staats-Luftfahrzeugen, denen ein Flug im Luftraum eines anderen Staates genehmigt wurde, festzustellen. Das ist keine akademische Aufgabe: Im Jahr 2002 beispielsweise flog eben nicht, wie beantragt, ein Transportflugzeug der US-Luftwaffe über Österreich, sondern ein Tanker in Begleitung von zwei Tarnkappenbombern des Typs F-117 (5). Das stellte eine schwere Missachtung der österreichischen Souveränität dar und wurde von den Piloten des österreichischen Bundesheers im Detail dokumentiert. Weiter kann der Luftpolizeidienst auch den Beistand für ein in Not geratenes Flugzeug umfassen, beispielsweise, wenn ein Flugzeug entführt wurde oder die Orientierung verloren hat. Zu besonderen Anlässen, wie internationalen Konferenzen oder Großanlässen kann eine Regierung Einschränkungen in der Benützung bestimmter Lufträume anordnen. Dasselbe gilt für Krisenlagen. Dann wird im sogenannten verstärkten Luftpolizeidienst kontrolliert, dass diese Einschränkungen eingehalten werden. Das geschieht durch startbereite Flugzeuge am Boden, die innerhalb weniger Minuten aufsteigen und sich einem abzufangenden Flugzeug annähern können. Diese sogenannte Quick Reaction Alert fordert einen Start entweder in 15, 10 oder 5 Minuten nach Alarmierung (6). Bei QRA 5 Minuten stehen Flugzeuge in der Regel mit laufenden Triebwerken nahe der Startbahn bereit. Sollte eine Bereitschaft von 5 Minuten nicht genügen, dann besteht die Möglichkeit, Flugzeuge in sogenannte Luftkampfpatrouillen in einem bestimmten Raum bereitzuhalten, wie sie mit möglichst sparsamer Flugweise kreisen und auf den Befehl für eine Intervention warten. Bei hoher Bereitschaft am Boden oder auf Luftkampfpatrouille fallen natürlich laufend Betriebsstunden an, die direkt Wartungsarbeiten zur Folge gaben.

Überraschende Ausgangslage

Die Liste der Flugzeugtypen, die in der Schweiz zur Wahl stehen, lässt aufhorchen (7): Der Eurofighter Typhoon gilt als ein, im Betrieb extrem teures Flugzeug. Im Normalbetrieb verbraucht er schon 150 kg Flugpetrol pro Minute und erschöpft seinen internen Treibstofftank von 5'600 kg rein rechnerisch in weniger als 40 Minuten (8). Ständig einen oder gar zwei Typhoons auf Luftkampfpatrouille bereit zu haben, verlangt folglich rasch aufeinander folgende Ablösungen, mit einer entsprechend hohen Anzahl an Flugzeugen. Ein Dauerbetrieb wird dadurch fast unbezahlbar. Der Eurofighter Typhoon wird die Durchhaltefähigkeit der Schweizer Luftwaffe im Vergleich zu heute, wenn überhaupt, dann nur mit einem übermäßig hohen Aufwand erhöhen. Der zweite Kandidat, die US-amerikanische F/A-18 Super Hornet ist genau die Ursache für die Probleme mit der Durchhaltefähigkeit der Schweizer Luftwaffe. Die schleppende Versorgung mit Ersatzteilen für die ältere Version der F/A-18 Hornet aus den USA führte nämlich zeitweilig dazu, dass Flugzeuge am Boden stehen blieben, weil benötigte Ersatzteile nicht zur Verfügung standen (9). 

Die französische Rafale von Dassault ist ein Mehrzweck-Kampfflugzeug, das unter anderem auch als Träger von Kernwaffen eingesetzt werden kann (10). Für teures Geld bietet sie Fähigkeiten, von denen die Schweiz sicherlich keinen Gebrauch machen möchte. 

Die unlogischste aller Varianten stellt aber die US-amerikanische F-35 Lightning II dar. Dieses Mehrzweck-Kampfflugzeug mit ausgeprägten Tarnkappeneigenschaften wird in verschiedenen Versionen gebaut und kann als Kampfflugzeug von Flugzeugträgern, als Jäger, Jagdbomber, Luftüberlegenheitsjäger und Träger von B-61 Kernwaffen verwendet werden (11). Bei ihr ist die Abhängigkeit vom Hersteller noch eine Stufe höher, als bei allen anderen Mustern, denn ihr Betrieb erfordert einen täglichen Datenabgleich mit der Firma Lockheed in den USA. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb die Türkei es mit Fassung trug, dass die USA beschlossen, sie aus der Liste der Empfänger der F-35 zu streichen: Zu groß ist das Misstrauen Ankaras gegenüber den USA. Jetzt sucht US-Präsident Biden wohl Abnehmer für diejenigen Flugzeuge, die nicht in die Türkei gehen werden. Einige US-Senatoren wollten die F-35 schon Griechenland anbieten, das aber erst vor kurzem Rafale bestellte und aus Gründen effizienter Wartung sicherlich nicht zwei verschiedene Typen von Mehrzweck-Kampfflugzeugen in seiner Flotte haben will (12). Da käme die finanzstarke Schweiz gerade recht. Die Schweizer Regierung wäre aber schlecht beraten, wenn sie den Kauf US-amerikanischer Mehrzweck-Kampfflugzeuge nicht mit einem Entgegenkommen der US-Administration in anderen Bereichen verknüpfen würde, beispielsweise in der Frage von Unternehmenssteuern. 

Russischer Pragmatismus als Vorbild?

Es übrigens eine Mär, dass die F-35 als teuerstes Rüstungsprojekt in der Geschichte der USA nicht einsatztauglich sei (13). Bei einem derart komplexen Rüstungsprojekt wie einem Kampfflugzeug mit seinen zahlreichen Untersystemen ist es als völlig normal zu betrachten, dass mehrere Jahre ins Land gehen, bis wirklich das letzte Untersystem zuverlässig funktioniert. Das wissen nicht nur die Amerikaner, sondern auch die Russen, die derzeit in aller Ruhe ihr neustes Kampfflugzeug der 5. Generation, die Sukhoi-57 zur Einsatzreife bringen und sich bis dahin auf ihre Kampfflugzeuge der 4. Generation verlassen. Die funktionieren nämlich zuverlässig und haben sich schon in realen Konflikten bewährt. So viel Pragmatismus würde man auch den Schweizern wünschen. Dann sähen sie, dass für Luftpolizeidienst auch erheblich weniger komplexe und weniger leistungsstarke Flugzeuge genügen würden.

Anmerkungen:

  1. Siehe https://www.msn.com/de-ch/nachrichten/politik/noch-vor-den-sommerferien-f%c3%a4llt-der-bundesrat-den-entscheid-f%c3%bcr-den-neuen-kampfjet-nun-kommt-kritik-von-unerwarteter-seite/ar-AALg1yN?ocid=mailsignout&li=BBqfP3w

  2. Siehe https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/showdown-im-kampfjet-poker-ld.2152647, https://www.volksblatt.li/nachrichten/Schweiz/Politik/sda/6335565/bundesrat-biden-warb-fur-us-kampfflugzeuge und https://www.watson.ch/schweiz/usa/106378027-genf-so-lief-das-treffen-zwischen-biden-und-dem-bundesrat

  3. Schon der, dem Beschaffungsvorhaben zugrundeliegende Bericht der Expertengruppe "Luftverteidigung der Zukunft" vermischte immer wieder Aufgaben in der Luftverteidigung mit jenen bei der Wahrung der Lufthoheit. 

  4. Siehe Botschaft zu einem Planungsbeschluss über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge, S. 21, online unter https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/57505.pdf

  5. Siehe http://www.airpower.at/news02/1023_f-117a/

  6. In der Schweiz stehen Kampfflugzeuge rund um die Uhr üblicherweise in einer Bereitschaft von 15 Minuten bereit. Siehe Botschaft zu einem Planungsbeschluss über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge, S. 17, a.a.O. 

  7. Die Liste findet sich in der Botschaft zu einem Planungsbeschluss über die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge, S. 19, a.a.O.

  8. Siehe http://eurofighter.airpower.at/technik-triebwerke-techno3.htm#:~:text=Jedes%20EJ200%20verbrennt%20im%20Normalbetrieb,Minute%20(Standschub%2FMeeresh%C3%B6he*).

  9. Siehe https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-74541.html

  10. Siehe https://www.diepresse.com/729066/indischer-jet-deal-gaben-atomwaffen-den-ausschlag

  11. Siehe https://www.offiziere.ch/?p=34118

  12. Siehe https://www.flugrevue.de/militaer/vertragsunterzeichnung-am-montag-griechenland-kauft-rafale/

  13. Siehe die Diskussion bei Roger Näbig: F-35: Hightech Kampfjet oder 1,5 Billionen US$ Desaster?, online unter https://www.offiziere.ch/?p=34118. Vgl. unter den zahlreichen Artikeln Eric Tegler: WTF-35: How the Joint Strike Fighter Got to Be Such a Mess, online unter https://www.popularmechanics.com/military/a21957/wtf-35/ und Colin Clark: F-35 Problems: Late IOTE, F-35A Gun Inaccurate, F-35B Tires, Threat Data, Cyber…, online unter https://breakingdefense.com/2018/01/f-35-problems-late-iote-f-35a-gun-inaccurate-f-35b-tires-threat-data-cyber/. Für eine nüchterne Einschätzung siehe Morten Hanche: Lack of perfection does not mean disaster – how I read test reports as a pilot, online unter https://nettsteder.regjeringen.no/kampfly/fagprat/lack-of-perfection-does-not-mean-disaster-how-i-read-test-reports-as-a-pilot/

 

Bilder: Depositphotos u.a
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