Die Entwicklung Deutschlands zur „Speerspitze“ gegen Russland

von Wolfgang Bittner

Zweimal schon ist es den konkurrierenden Kräften gelungen, durch ein Netz von Geheimverträgen und Intrigen mörderische Kriege zu initiieren; heute sind die Drahtzieher zwar nicht dieselben, aber die gleichen wie damals. Mit dem von langer Hand vorbereiteten Ersten Weltkrieg und dem von den Alliierten diktierten Versailler Vertrag war die erste Stufe des Untergangs des Deutschen Reiches erreicht. An Reparationen sollten außer gewaltigen Sachleistungen unglaubliche 100 000 Tonnen Gold bezahlt werden.[1] Nach der Unterzeichnung des Friedensvertrags 1919, die unter Protest erfolgte, sagte der französische Marschall Ferdinand Foch, ein Deutschenhasser, das sei kein Friedensschluss, sondern „ein Waffenstillstand auf 20 Jahre“[2]womit er recht behielt: Zwanzig Jahre später begann der Zweite Weltkrieg. 

Wie die Weichen gestellt wurden

Die Lage in Deutschland nach dem Ende des Ersten Weltkriegs war prekär. Das verfassungsrechtlich als „Weimarer Republik“ neu aufgestellte Deutsche Reich war durch die Reparationslasten aufs Äußerste geschwächt, die Zahl der Arbeitslosen stieg 1923 während der Inflation auf vier Millionen und bis 1932 auf über sechs Millionen. Die Not der Menschen wuchs von Jahr zu Jahr, viele wussten nicht mehr ein noch aus. Unter diesen Umständen erhielten die Feinde der Republik immer mehr Zulauf. Die 1920 gegründete Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) entwickelte sich unter ihrem Führer Adolf Hitler zur stärksten politischen Kraft in Deutschland.

Die Entwicklung zum Faschismus war kein Zufall. Hitler wurde bereits seit Anfang der 20er-Jahre aus dem Ausland, insbesondere den USA, gefördert und finanziell unterstützt.[3] Es ist bekannt, dass er von einem US-Einflussagenten namens Ernst Hanfstaengl (1887–1975) – deutsch-amerikanischer Geschäftsmann und Kunsthändler in München, später Auslands-Pressechef der NSDAP – ein Darlehen in Höhe von 1000 Dollar erhielt und in die Münchener Hautevolee eingeführt wurde. Hanfstaengl war Hitler auch bei der Abfassung seines Werkes „Mein Kampf“ behilflich. 

1933 wurde die NSDAP mit einem Stimmenanteil von 43,9 Prozent stärkste Partei, und Hitler übernahm die Macht. Das war das Ende der Weimarer Republik, die durch ständige Auseinandersetzungen insbesondere zwischen Nazis und Kommunisten ohnehin destabilisiert war. Wie es weiterging, weiß man. Der Krieg, in dem sich Deutschland und die Sowjetunion bis zur völligen Erschöpfung bekämpften, war allerdings vorprogrammiert, und er hinterließ, wie von den westlichen Alliierten gewünscht, Schutt und Asche. Wieder entschieden die USA den Ausgang, und mit den Flächenbombardements deutscher Großstädte bis kurz vor Kriegsende wurde eine bedingungslose Kapitulation erzwungen. Damit wurde die nationalsozialistische Diktatur zwar beendet, zugleich aber Deutschland vollständig besetzt. Die USA diktierten künftig die weitere Entwicklung im westlichen Restdeutschland und sorgten auch dafür, dass Konrad Adenauer (CDU) – der im Gegensatz zu Kurt Schumacher (SPD) für die einseitige Westbindung und die Wiederbewaffnung eintrat – Bundeskanzler wurde.[4]

Ab 1945 wurden dann sehr gezielt die Weichen für die politischen Verhältnisse bis in die deutsche Gegenwart gestellt. So bewirkte die von den Westalliierten durchgeführte Währungsreform die Teilung Restdeutschlands, nachdem Polen gleich nach Kriegsende die ostdeutschen Gebiete annektiert hatte. Netzwerke wie Atlantik-Brücke, American Council on Germany, Aspen Institute Deutschland oder German Marshall Fund, die US-amerikanische Interessen vertraten, wurden eingerichtet. Der ehemalige Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost, Ex-Generalmajor Reinhard Gehlen, wurde von der CIA als Chef des deutschen Auslandsgeheimdienstes eingesetzt („Organisation Gehlen“, ab 1956 Bundesnachrichtendienst) und besorgte die Hatz auf Kommunisten, die schon von den Nazis verfolgt worden waren.

Nach und nach wurde auch der Einfluss auf die meinungsbildenden Medien ausgeweitet. Außerdem zogen sich die USA weltweit eine Kerntruppe von jungen aufstrebenden Politikern und Journalisten heran, indem sie an Eliteuniversitäten Seminare für sogenannte Young Leaders einrichteten. Im Laufe der Jahre nahmen an solchen von den Netzwerken oder dem Weltwirtschaftsforum organisierten Schulungen zum Beispiel folgende Einflusspersonen teil: Angela Merkel, Olaf Scholz, Markus Söder, Christian Lindner, Jens Spahn, Cem Özdemir, Omid Nouripour, Annalena Baerbock, Friedrich Merz, Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg, Kai Diekmann, Claus Kleber, Sandra Maischberger, aber auch Emmanuel Macron, Tony Blair, David Cameron, Sebastian Kurz, José Manuel Barroso, Bill Gates, Jeff Bezos, Alexej Nawalny, Juan Guaidó, Arsenij Jazenjuk oder Dalia Grybauskaite – um nur einige wenige Namen zu nennen.

Die BRD wurde systematisch gegen die Sowjetunion aufgestellt. Mehrmals wurde erwogen, den Gegner durch einen atomaren „Enthauptungsschlag“ auszuschalten. Zum Beispiel verabschiedete die NATO im Dezember 1949 den Kriegsplan „Dropshot“, der 1957 nach einer False-Flag-Operation umgesetzt werden sollte. Vorgesehen war, 300 Atombomben und 29 000 hochexplosive Bomben auf hundert russische Städte abzuwerfen, um die Industrie der Sowjetunion mit einem Schlag zu vernichten.[5] Aber inzwischen verfügte die UdSSR ebenfalls über Atombomben, sodass der Strategie einer ökonomischen Strangulierung dann doch der Vorrang eingeräumt wurde.

Feindbild Russland

Nach Auflösung der Sowjetunion wähnten sich westliche Militärs sowie Wirtschafts- und Finanzeliten schon fast am Ziel ihrer Begehrlichkeiten, doch nach der Präsidentschaft des Alkoholikers Boris Jelzin[6] trat Wladimir Putin auf den Plan und griff im Interesse seines Landes regulierend ein. Er wurde dadurch zum Hauptfeind, und das wieder aufstrebende Russland sollte durch Wirtschaftssanktionen, Aufrüstungskosten und die Beeinflussung der Kapital- und Energiemärkte dazu gezwungen werden, sich den westlichen Kapitalinteressen zu ergeben.

Wie vorgegangen werden sollte, erläuterte der damalige US-Vizepräsident Joe Biden 2014 in einem Vortrag an der Harvard Kennedy School in Cambridge/Massachusetts, wobei er in Umkehrung der Verhältnisse auf die Ukraine Bezug nahm: „Wir haben Putin vor die einfache Wahl gestellt: Respektieren Sie die Souveränität der Ukraine, oder Sie werden sich zunehmenden Konsequenzen gegenübersehen. Dadurch waren wir in der Lage, die größten entwickelten Staaten der Welt dazu zu bringen, Russland echte Kosten aufzuerlegen. Es ist wahr, dass sie das nicht tun wollten. Aber wiederum war es die Führungsrolle Amerikas und die Tatsache, dass der Präsident der Vereinigten Staaten darauf bestanden hat, ja Europa des Öfteren in Verlegenheit bringen musste, um es dazu zu zwingen, sich aufzuraffen und wirtschaftliche Nachteile einzustecken, um Kosten [für Russland] verursachen zu können. Und die Folgen waren eine massive Kapitalflucht aus Russland, ein regelrechtes Einfrieren von ausländischen Direktinvestitionen, der Rubel auf einem historischen Tiefststand gegenüber dem Dollar und die russische Wirtschaft an der Kippe zu einer Rezession.“[7]

 

Als Präsident führte Biden diese verlogene, menschenverachtende Aggressionspolitik auf die Spitze, indem er seit Amtsantritt 2021 den Bürgerkrieg in der Ostukraine anheizte. Hierbei handelte es sich um eine von der Kiewer Marionettenregierung inszenierte Auseinandersetzung. Denn die Bevölkerung in den Gebieten Donezk und Luhansk forderte nach dem blutigen Putsch 2014 lediglich mehr Autonomie innerhalb der Ukraine. Daraufhin schickte der neue Machthaber Petro Poroschenko, Präsident von 2014 bis 2019, Panzer in die Ostukraine. Mit den USA im Rücken sollte ein innerstaatlicher Konflikt militärisch gelöst werden. Dadurch erhielt Washington die Möglichkeit, auf Russland, das die russischsprechende Bevölkerung im Donbass schützen wollte, massiven Druck auszuüben. Hinzu kamen die Sanktionen und die Propaganda wegen der angeblichen Annexion der Krim, die in Wirklichkeit eine friedlich verlaufene Abspaltung (Sezession) nach einem Referendum war, in dem sich ein hoher Prozentsatz der Bevölkerung für die Selbstständigkeit der Krim aussprach. Danach wurde der Antrag auf Aufnahme in die Russische Föderation gestellt. Das ist nach den vorhergegangenen Ereignissen völkerrechtlich nicht zu beanstanden,[8] aber „Annexion“ wurde zu einem Kampfbegriff, der dazu dient, Russland Landraub zu unterstellen.

 

Immer wieder wird Wladimir Putin seit 2014 in Umkehrung der Fakten als Verursacher der Ukraine-Krise genannt. Aber es ist erwiesen, dass die USA bei dem Regime Change eine entscheidende Rolle gespielt haben. Nachdem sich die US-Europa-Beauftragte Victoria Nuland damit bereits gebrüstet hatte, bestätigte es – offenbar in einem Überschwang der Selbstdarstellung – auch der damalige US-Präsident Barack Obama 2015 in einem Interview bei CNN. Zur sogenannten Annexion der Krim durch Russland sagte er: „Putin traf die Entscheidung in Bezug auf die Krim nicht etwa aus einer großen Strategie heraus, sondern einfach weil er von den Protesten des Maidan und der Flucht von Janukowytsch[9]überrascht wurde, nachdem wir einen Deal zur Machtübergabe ausgehandelt hatten.“[10]

 

Der neue West-Ost-Konflikt ist also vor allem von den USA zu verantworten, die durch eine Eskalation das Ziel, Russland in ihren Einflussbereich einzubeziehen, durchzusetzen beabsichtigen. Das ergibt sich auch aus der folgenden Aussage Obamas: „Wir sind in der Lage, die Kosten [für Russland] immer weiter in die Höhe zu treiben. Und das ist genau das, was wir machen, in Verbindung mit diplomatischem Druck.“[11]

 

Dass die USA mit der von ihr dominierten NATO neben den wirtschaftlichen und geopolitischen Absichten den russischen Flottenstützpunkt Sewastopol auf der Krim im Visier hatte, wird von westlicher Seite unterschlagen. Anstatt den Bürgerkrieg zu beenden, wie im Minsker Abkommen vorgesehen, befeuerten die USA mit der Kiewer Regierung als ihrem gefügigen Vasall den Konflikt immer aufs Neue. Neben regulären Einheiten der Ukraine waren auch Freiwilligenbataillone, Söldner und US-„Militärberater“ an der Front.

Anfang 2022 spitzte sich die Lage dann in existenzbedrohender Weise zu. Mit der Ausdehnung der NATO durch die Stationierung einer monströsen Militärmaschinerie vor ihren Grenzen sah sich Russland derart gefährdet, dass es von den USA als der treibenden Kraft Sicherheitsgarantien verlangte: ein Ende der Osterweiterung, keine Militäreinsätze auf dem Gebiet der Ukraine und in anderen Ländern Osteuropas, des Südkaukasus und Zentralasiens, Rückzug der NATO-Truppen auf die Positionen von 1997. Das wurde jedoch abgelehnt, stattdessen wurden die Waffenarsenale in den Satellitenstaaten verstärkt. US-Präsident Joe Biden forderte Russland auf, Truppen von den eigenen Grenzen zurückzuziehen, und er drohte mit „erheblichen Kosten“, wenn es zu einem Einmarsch in die Ukraine käme. Dass so etwas geplant sei, bestritt Präsident Wladimir Putin bis zuletzt. Er forderte von den USA einen Vertrag über Sicherheitsgarantien.

 

Nach einer ungeheuren Propaganda und Hetze gegen Russland, an der sich fast alle westlichen Politiker und Medien beteiligten, kam es im Osten der Ukraine zu einer äußerst brenzligen Situation zwischen Russland und den USA: Biden und NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg gingen nicht auf die geforderten Sicherheitsgarantien ein, sondern behaupteten, Russland wolle die Ukraine angreifen. Also wurden weitere Truppen und militärisches Gerät in die Ukraine und die Anrainerstaaten Russlands verlegt. Die Welt befand sich im Ausnahmezustand, und der Stellvertreterkrieg im Donbass wurde von westlicher Seite und mithilfe der ukrainischen Regierung noch befeuert, sodass es aufgrund der existenziellen Gefährdung der russisch-sprachigen Bevölkerung im Donbass und schließlich auch Russlands zum Einmarsch in die Ukraine kam.

 

Dass sich die aggressiv agierenden Regierungen der baltischen Staaten, Polens, Rumäniens und Bulgariens, aber auch Deutschlands, der selbstverschuldeten Gefährdung nicht bewusst sind, deutet auf eine ideologische Verirrung hin und zeigt zudem die Unterwerfung, die unverhofft ein tragisches Ende finden könnte. Die Erinnerung an die Leiden und Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs sind anscheinend vergessen. Ganz offensichtlich haben die Bellizisten in den USA, die für die meisten Kriege und Konflikte der jüngeren Zeit verantwortlich sind und auch die Politik Westeuropas mitbestimmen, die Oberhand gewonnen. Zutiefst beschämend ist, dass europäische Politiker, Journalisten und Historiker dazu schweigen.

Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. Von ihm erschienen 2014 „Die Eroberung Europas durch die USA“, 2019 „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“ sowie „Der neue West-Ost-Konflikt“ und 2021 „Deutschland – verraten und verkauft. Hintergründe und Analysen“.

 

 

Quellen

 


[1] Zwischenzeitlich wurden die Zahlungen ausgesetzt. Die letzte Rate zahlte Deutschland am 3. Oktober 2010.

[2] Zit. wie Paul Reynaud: Mémoires, Bd. 2. Paris 1963, S. 457

[3] Dazu: Wolfgang Bittner: Der neue West-Ost-Konflikt. Höhr-Grenzhausen 2019, S. 129 ff. Weiterführend: Guido G. Preparata: Wer Hitler mächtig machte. Wie britisch-amerikanische Finanzeliten dem Dritten Reich den Weg bereiteten. Basel 2010

[4] Vgl. ebd. S. 144 f.

[5] Dazu: Wolfgang Bittner: Deutschland – verraten und verkauft. Hintergründe und Analysen. Höhr-Grenzhausen 2021, S. 144 ff. mit weiteren Nachweisen

[6] Boris Jelzin wurde 1991 zum Präsidenten gewählt und war maßgeblich an der Auflösung der Sowjetunion beteiligt. 1996 wurde seine Wiederwahl nachweislich von mehreren US-Agenten organisiert. Dazu: Wolfgang Bittner: Der neue West-Ost-Konflikt, S. 241 mit weiteren Nachweisen

[7] Joe Biden: „Wir zwangen die EU zu Sanktionen gegen Russland“, 2.10.2022; zit. wie www.youtube.com/watch?v=JLO7uKVarB8 (15.2.2022) 

[8] Dazu: Wolfgang Bittner: Der neue West-Ost-Konflikt, S. 217 ff. 

[9] Wiktor Janukowytsch = bis zu seinem Sturz 2014 ukrainischer Präsident

[10] Zit. wie RT Deutsch, 1.2.2015; deutsch.rt.com/10795/international/obama-im-cnn-interview-wir-ueberraschten-putin-mit-deal-zum-machttransfer-in-der-ukraine/ (16.11.2016)

[11] Zit. wie ebd.

 

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