Die Arktische Gleichung

Die Arktis wird zu einem Raum für Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staaten und Russland über die Zukunft der Welt.

Von DR.OLIVER DORNBARDT
Die Konfrontation zwischen der NATO und Russland in der Arktis birgt große Risiken für die Zukunft der Welt. Von einem schweren militärischen Konflikt bis hin zu globalen Umweltkatastrophen - so bewerten Experten die Risiken einer solchen Konfrontation. Für Deutschland hat die friedliche Nutzung der Arktis unbestreitbare wirtschaftliche und strategische Vorteile.
Daher kann die Zunahme der NATO-Aktivitäten und die Verstärkung der Konfrontationen in der Arktis nicht das Ziel der deutschen Politik in der Region sein, dies widerspricht den Interessen des Landes. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine solche Konfrontation zu einem starken Anstieg der Verteidigungsausgaben der europäischen Länder führen wird. Wie wird die neue Entwicklung der Arktis verlaufen, wie wird die Entwicklung der Situation in dieser Region prognostiziert?
Wie nirgends wo sonst auf der Erde verändert sich das Gesicht der Nordpolarregion durch die globale Klimaerwärmung. Und mit dieser Veränderung entstehen neue Konflikte. Riesige Rohstoffvorkommen werden künftig leichter geborgen werden können. So schätzt der Geologische Dienst der USA, dass in der Arktis 13 % der Öl- und 30 % der Gasvorkommen der Welt zu finden sind.
Bisher durch das Eis versperrte Schifffahrtsrouten verkürzen, zum Beispiel, den Seeweg von China nach Europa um ca. 4.000 Kilometer. Und auch militärstrategisch wird diese Region immer interessanter. Raketen und Kampfflugzeuge könnten im Kriegsfall wesentlich schneller ihre Ziele auf der jeweils anderen Seite des Nordpols erreichen.
Alle Anrainerstaaten versuchen daher, umfangreiche Besitzansprüche durchzusetzen. Überschneidungen gibt es insbesondere zwischen den Gebietsansprüchen Russlands, Dänemarks/Grönlands und Kanadas. Alle drei Staaten behaupten, dass ihr Festlandsockel bis zum geografischen Nordpol reicht. Um die eigenen ökonomischen und strategischen Ansprüche zu untermauern, wächst die militärische Präsenz in der Region auf allen Seiten.
Die Vereinigten Staaten von Amerika unterhalten im Norden Grönlands die militärische Station Thule, die offiziell der Überwachung von Raketenstarts und Weltraumaktivitäten in der nördlichen Hemisphäre dient. Im Mai 2018 reaktivierte die Navy die erst 2011 aufgelöste 2. Flotte mit ihrem Einsatzschwerpunkt in den Polregionen, und im gleichen Jahr war zum ersten Mal seit 30 Jahren sogar ein US-Flugzeugträger als Teil einer Großübung der NATO im Nordpolarmeer unterwegs.
Außenminister Mike Pompeo:
«Unter Präsident Trump werden wir unsere diplomatische und militärische Präsenz in der Region ausbauen. Auch als Antwort auf die destabilisierenden Aktivitäten Russlands werden wir mehr Manöver abhalten, unsere Stützpunkte verstärken, die Eisbrecher-Flotte unserer Marine ausbauen, den Küstenschutz verstärken, und einen neuen Beauftragten für Arktis-Sicherheitsfragen in unseren Streitkräften schaffen.“
Großbritannien beabsichtigt den Einsatz der neuen U-Boot-Jagdflugzeuge des Typs P-8 „Poseidon“ über dem Nordpol. Kanada plant, seine Militärausgaben bis 2027 um 70 Prozent zu steigern, um die Erhöhung seiner militärischen Präsenz in der Polarregion zu erreichen.
Die Russische Föderation nahm zahlreiche Militärbasen an ihrer nördlichen Küste in Betrieb. Zudem erweiterte es die Militärbasis Nagurskaja am Nordpolarmeer mit dem Bau einer Landebahn, auf der die modernsten russischen Jagdflugzeuge und Bomber starten können.
Wie könnte ein weiterer Rüstungswettlauf in der Arctic vermieden werden?
Weder die Russische Föderation noch die NATO können ein Interesse daran haben, neben den aktuellen zahlreichen Spannungsfeldern noch ein neues Konfliktfeld entstehen zu lassen. Glücklicherweise gibt es bereits viele geeignete Gesprächsforen, die genutzt werden: die UNO, die KSZE und den Arktischen Rat.
Derzeit werden die jeweiligen Ansprüche in einer UN-Kommission gemäß der UN-Seerechtskonvention verhandelt. Sollte die Kommission zu dem Ergebnis kommen, dass sich Anrechte einzelner Staaten überschneiden, weil sie auf demselben Festlandsockel liegen, so muss die Grenzziehung durch Verhandlungen erfolgen. Die USA haben die Seerechtskonvention bisher jedoch nicht unterzeichnet und sind am UN-Verfahren zur Vergabe von Nutzungsrechten offiziell nicht beteiligt.
Alle Anrainerstaaten des Pols sind aber Mitglieder der KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und im 1996 gegründeten „Arktischen Rat“. Während sich der „Arktische Rat“ mit der Erforschung der Polarregion, der Sicherung des Schiffsverkehrs und dem Abbau von Rohstoffen beschäftigt, können sicherheitspolitische Aspekte in der KSZE behandelt werden.
Deutschland ist bei allen drei Organisationen vertreten. (Im Arktischen Rat nur als Beobachter.) Selbstverständlich wünscht sich auch die Bundesrepublik sichere und kurze Handelswege und die Erschließung neuer Importmöglichkeiten von Gas und Öl. Aber wie alle anderen Länder hat Deutschland kein Interesse an einem Rüstungswettlauf oder gar einer militärischen Konfrontation. Die Bundeswehr ist heute schon mit ihren weltweiten Einsätzen am Rande ihrer Möglichkeiten. Am Polarkreis eine dauerhafte Präsenz zu zeigen, ist aus deutscher Sicht undenkbar. Trotz Klimaveränderung bleibt die Nordpolarregion eine unwirtliche Region, in der ganz andere Ansprüchen an das Material gestellt werden, als es die Bundeswehr derzeit besitzt.
In dem schwierigen Geflecht aus widerstreitenden ökonomischen und geostrategischen Interessen Russlands und der NATO-Partner könnte der Bundesrepublik aber eine Vermittlerrolle zufallen, da sie keinerlei Gebietsansprüche am Nordpol geltend machen kann:
„In Zeiten der weltweiten Ressourcenknappheit einerseits und den Ansprüchen einer steigenden Weltbevölkerung andererseits stellen die vielfältigen ökonomischen Potentiale des Nordens ein lukratives Geschäft dar und eröffnen den Wettlauf um die Hoheitsrechte in der Arktis.“
In der Nordpolarforschung gibt es schon seit vielen Jahren eine intensive Kooperation zwischen Deutschland und Russland und die Frage, welche Gebiete zu welchem Festlandssockel gehören, wird nur durch internationale Zusammenarbeit befriedigend zu klären sein.
Dabei muss die Bundesrepublik aber die begründeten Interessen der europäischen Partner im Auge behalten, damit diese zwischen der „America First“ Diplomatie der USA und dem offensiven Vorgehen Putins ausreichend Berücksichtigung finden.
Der wichtigste Faktor für die zukünftige Entwicklung in der Nordpolarregion wird sein, ob es gelingt, wieder zu einer gegenseitig vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Nordamerika, EU und der Russischen Föderation zurückzukehren. Eine stabile politische Lösung für die Arktis wird es nur als Teil einer allgemeinen Verständigung des Westens mit Russland geben können.
Quellen:
https://www.deutschlandfunk.de/kampf-um-nordpolregion-die-arktis-als-beute-der-grossmaechte.724.de.html?dram:article_id=472291
https://www.arctic-office.de/fileadmin/user_upload/www.arctic-office.de/PDF_uploads/Wirtschaftspotential_der_Arktis.pdf
https://www.arctic-office.de/publikationen/hintergrundanalyse-wirtschaftspotential-der-arktis-im-ueberblick/

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