Von Hans-Georg Münster
Die militärischen Auseinandersetzungen in der Ukraine dauern nun fast zwei Jahre an. Es ist Zeit, eine Bilanz zu ziehen: Zwar ist noch unsicher, wer am Ende militärisch die Oberhand behalten wird, auch wenn sehr viel dafür spricht, dass dies die russische Seite sein wird. Aber der Verlierer des Ganzen steht jetzt schon fest: die Bundesrepublik Deutschland.
Unvergessen sind noch die Bilder aus dem ersten Konfliktjahr, als der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrij Melnik, Dauergast in allen deutschen Fernsehkanälen war und an die Berliner Politik appellierte, mehr Waffen und vor allem mehr Geld zu schicken. Und auch der wie der frühere PLO-Chef Yassir Arafat stets im Kampfanzug auftretende Präsident Volodymyr Selenskyj war gern gesehener Gast in Berlin und konnte sicher sein, bei seinen Besuchen in Deutschland großzügige Geschenke mit in die Heimat nehmen zu können. Die Deutschen wurden von ihren Medien permanent mit Siegesmeldungen der ukrainischen Armee berieselt. Die meisten dieser Meldungen stellten sich inzwischen als „Fake News“ heraus.
Die Bundesregierung nahm Flüchtlinge aus der Ukraine mit offenen Armen auf und steckte sie in das ohnehin großzügige deutsche Sozialsystem, in dem jetzt ungefähr 1,5 Millionen Zuwanderer aus der Ukraine für eine Explosion der Ausgaben sorgen. Dabei kommt es zu paradoxen Entwicklungen: Die Ukraine wird militärisch unterstützt und es werden von der Bundeswehr sogar rund 10.000 ukrainische Soldaten ausgebildet. Aber andererseits finanziert Deutschland den Lebensunterhalt von 220.000 aus der Ukraine eingereisten Männern im wehrfähigen Alter, die in ihrer Heimat größtenteils als Wehrdienstverweigerer gelten.
Die explodierenden Kosten und Ausgaben für die Ukraine, deren Staatshaushalt inzwischen zu einem großen Teil von Deutschland und der EU finanziert werden dürfte, würden sich vielleicht noch tragen lassen, wenn Deutschland nicht in eine der schwersten Wirtschaftskrisen der Nachkriegsgeschichte versinken würde. Doch so werden die Kosten für die Unterstützung der Ukraine zu einer immer stärkeren Belastung des Haushalts. Trotz einer dramatischen Haushaltskrise in Berlin mit schweren Zerwürfnissen der Koalitionsparteien SPD, Grüne und FDP wird die direkte Etathilfe für Kiew von vier auf acht Milliarden Euro in diesem Jahr erhöht. Da die Korruption in der Ukraine grassiert, ist zu erwarten, dass der größte Teil des Geldes in den Taschen ukrainischer Oligarchen versickert.
Profitabel und wettbewerbsfähig war die deutsche Industrie insbesondere durch die preisgünstigen und vor allem zuverlässigen Lieferungen von Gas, Öl und Kohle aus Russland. Erinnert sei nur daran, dass bis 2021 ein Drittel der deutschen Gasimporte aus Russland stammte. Die günstigen Importe senkten die Kosten, und die Unternehmen waren in der Lage, die hohen Steuern und Abgaben an den deutschen Staat zu bezahlen. Inzwischen sind Strom, Gas und Öl in Deutschland weit teurer als in fast allen konkurrierenden Industrieländern, weil sie zu erheblich höheren Preisen zum Beispiel als Schiefergas aus den USA über LNG-Terminals importiert werden müssen. Jetzt kommt es in der deutschen Industrie zu Produktionsrückgängen, Verlagerungen ins Ausland und Konkursen.
Einer der wichtigsten Lieferanten für Diesel-Treibstoff ist inzwischen Indien. Die Inder kaufen das Öl preiswert in Russland ein, raffinieren es in ihrem Land und verkaufen es teuer als Diesel nach Deutschland, das russisches Öl mit einem Embargo belegt hat. Die Folge ist, dass deutsche Produkte auf dem Weltmarkt zu teuer und schlechter absetzbar sind. Das Bruttoinlandsprodukt geht zurück, während vergleichbare Länder ein Wirtschaftswachstum zu verzeichnen haben und selbst in Russland das Bruttoinlandsprodukt steigt, weil es dem Land offenbar gelungen ist, neue Märkte abseits vom westlichen Embargo zu erschließen.
Über einen weiteren wichtigen Punkt wird seltener gesprochen. Mit der Embargopolitik hat Deutschland den Zugang zum wichtigen russischen Markt verloren. Der deutsch-russische Außenhandel hatte früher ein Volumen von 80 Milliarden Euro im Jahr und galt als erheblich ausbaufähig. Deutsche Maschinenbaufirmen versorgten die russische Industrie sowie die Rohstofffirmen. Das ist jetzt Geschichte.
Abgesehen von den Sozialausgaben für die Unterbringung ukrainischer Flüchtlinge ziehen auch die Militärausgaben in Deutschland rapide an. In Berlin pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass die 100 Milliarden Euro Sondervermögen für neue Rüstungsgüter bei weitem nicht ausreichen werden, wenn die Abgaben von Bundeswehrmaterial an die Ukraine im bisherigen Umfang weitergehen und ersetzt werden müssen. Größter Profiteur von den steigenden Rüstungsabgaben sind wie bei den Energielieferungen US-Firmen, die jetzt in Deutschland die besten Geschäfte ihrer Geschichte machen. Wall Street jubelt, während in Deutschland die Infrastruktur wie Eisenbahn und Straßen nicht ausreichend instandgehalten werden kann.
Außenpolitisch droht Deutschland die Isolierung. Das Verhältnis zu Russland ist derart gestört, so dass eine Reparatur Jahrzehnte dauern könnte, wenn sie überhaupt gelingt. Im Westen zeichnen sich strategische Veränderungen ab. Es ist nicht sicher, ob die amerikanische Unterstützung für die Ukraine auf Dauer anhalten wird. Schon jetzt verhindern die stärker werdenden Republikaner im amerikanischen Kongress neue finanzielle Zusagen für Kiew. Die in diesem Jahr anstehende Wahl des US-Präsidenten könnte zu einer kompletten Kehrtwende der US-Außenpolitik führen. Großbritannien dürfte sich wie gewohnt an den USA orientieren, und Frankreichs Außenpolitik ist traditionell wechselhaft, aber eher gegen als an Deutschland orientiert. Das deutsch-französische Verhältnis war in den vergangenen Jahren nicht gerade das beste und wurde von der Ampel-Koalition sträflich vernachlässigt.
Die Europäische Union, die ihre Mitglieder wie mit einer eisernen Klammer zusammenzuhalten versucht, wird nur so lange funktionieren, wie Deutschland als größte Wirtschaftsmacht weiterhin so hohe Beiträge nach Brüssel zahlen kann. Es werden etwa 20 Milliarden Euro pro Jahr direkt aus dem Berliner Haushalt an Brüssel überwiesen und an andere EU-Länder verteilt. Hinzu kommen noch Zolleinnahmen in Milliardenhöhe, die direkt an Brüssel weitergereicht werden. Wenn diese Zahlungen angesichts des wirtschaftlichen Niedergangs Deutschlands stark sinken oder sogar ausfallen, ist das gesamte Projekt Europäische Union mitsamt der Euro-Währung am Ende.
Die dann entstehende Situation ist nicht neu: Man kennt sie noch aus dem Sommer 1914, als der Weltenbrand in Europa begann.
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