Deutsche Truppen rücken in den Pazifik vor / Machtdemonstration gegen China und Russland

Von Hans-Georg Münster

Das gab es in dieser Dimension nicht einmal im Zweiten Weltkrieg: Mit starken Luftwaffen- und auch mit Marinekräften sind Bundeswehr-Einheiten im Juli 2024 in den pazifischen Raum vorgedrungen, um von Alaska bis Australien an mehreren Manövern teilzunehmen. Die Leitung der Unternehmung liegt in Händen eines Mannes, der aus seiner russlandfeindlichen Haltung noch nie einen Hehl machte: Generalleutnant Ingo Gerhartz, der Inspekteur der Luftwaffe. Er will die Bundeswehr weltweit einsetzen und vielleicht auch noch gegen China.

Gerhartz hatte schon früher laut einem veröffentlichten Mitschnitt einer Videokonferenz mit deutschen Luftwaffen-Offizieren darüber spekuliert, wie Munitionsbunker in Russland mit deutschen „Taurus“-Marschflugkörpern und mit Steuerung aus Deutschland angegriffen werden könnten. Jetzt hat er ein neues Gefechtsfeld entdeckt: „Wir können sicherheitspolitisch keinen Unterschied mehr machen zwischen dem Indopazifik und Europa.“ Gegenüber mitreisenden Journalisten soll er erklärt haben, ihm gehe es darum, zu zeigen, dass die deutsche Luftwaffe nicht nur den Himmel über dem Baltikum sichern, sondern gleichzeitig auch im Indopazifik Präsenz zeigen könne. „Pacific Skies ist das Komplexeste, was wir jemals geplant und durchgeführt haben", sagte Gerhartz in einem Interview. Mit der weltweiten Verlegung von über 30 Flugzeugen zeige die Luftwaffe erneut ihre hohe Einsatzbereitschaft und gleichzeitig ihre Fähigkeit, eine Führungsrolle zu übernehmen.

Die deutsche Übung im Pazifik bei den noch bis zum 16. August laufenden Manövern ist die größte seit Aufstellung der Luftwaffe im Jahr 1956. Am Anfang stand eine zusammen mit US-amerikanischen, französischen und spanischen Kräften durchgeführte Übung in Alaska („Arctic Defender“), wo zum letzten Mal deutsche Tornado-Kampfflugzeuge zum internationalen Tiefflug-Einsatz kamen. Die Bundeswehr will die über 50 Jahre alten Tornados durch F-35-Kampfflugzeuge ersetzen. Insgesamt besteht das europäische Kontingent aus acht deutschen und vier spanischen Eurofightern, vier französischen Rafale, vier deutschen, zwei spanischen und drei französischenTransportflugzeugen A400M sowie sieben Tankflugzeugen vom Typ A330 MRTT (Multi Role Tanker Transport). Die nächste Station der deutschen Luftwaffe war Japan, wo zusammen mit den japanischen Luftstreitkräften die Übung „Nippon Skies“ durchgeführt wurde. Diese Übung gilt als historisch einmalig, da es noch nie ein gemeinsames Training von japanischen und deutschen Luftstreitkräften im japanischen Luftraum gab.

Der die Übung beobachtende japanische Politikwissenschaftler Narushige Michishita sprach offen über die Strategie des Kaiserreichs: „Wir werden Taiwan verteidigen, und wir werden die Taiwanstraße verteidigen.“ Damit stellt er sich klar gegen China und setzt auf militärische Unterstützung aus Europa: „Deswegen brauchen wir so viele Partner wie möglich. Natürlich auch Deutschland.“ Dem deutschen Luftwaffen-Inspekteur Gerhartz missfällt, dass China gute Beziehungen mit Russland unterhält. Unter anderem darum hänge auch die Sicherheit Deutschlands von der Stabilität im Indopazifik ab, wurde der Inspekteur im ARD-Fernsehen zitiert. „Japan und Australien unterstützen zum Beispiel die Ukraine mit finanziellen Mitteln, Australien liefert sogar Waffen. Daran kann man sehen, dass sich die Pazifik-Region nicht von Europa trennen lässt", erklärte Gerhartz. „Deshalb ist es wichtig und richtig, dass wir hier an der Seite unserer Partner Übungen fliegen.“

Weitere Stationen der deutschen Flugzeuge sind Australien (Manöver „Pitch Black“) und Hawaii, wo zusammen mit den US-Streitkräfte die Seekriegsübung „Rimpac“stattfindet, an der sich auch die deutsche Marine mit der Fregatte „Baden-Württemberg“ und dem Einsatzgruppenversorger „Frankfurt am Main“ beteiligt. Für die Luftwaffe bildet die Übung „Tarang Shakti 1“ in Indien den Abschluss der Operationen.

Welche Dimension der Einsatz der deutschen Streitkräfte hat, wird an einem Vergleich deutlich: Ein Luftwaffen-Geschwader kommt in einem Jahr auf etwa 3.000 Flugstunden. Im Rahmen von „Pacific Skies“ kommt die Luftwaffe auf 2.500 Flugstunden in acht Wochen. Die Strecke der deutschen Flugzeuge im Rahmen der Übungen beträgt 38.000 Kilometer, wobei insgesamt 230 Tonnen Material mitgenommen werden müssen.

Eine so starke Präsenz geht weit über ein übliches Manöver hinaus, und in Wirklichkeit handelt es sich auch um eine Machtdemonstration, wie sie von deutscher Seite seit dem kaiserlichen „Ostasien-Geschwader“ (Luftstreitkräfte wie heute gab es damals noch nicht) Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts nicht mehr stattgefunden hat. Im Zweiten Weltkrieg spielte der pazifische Raum für die deutschen Streitkräfte nur eine untergeordnete Rolle. Es wird lediglich von zwei Versenkungen alliierter Schiffe durch das deutsche U-Boot U862 vor der australischen Küste berichtet. Politisch flankiert wird die heutige deutsche Truppenpräsenz von Christoph Heusgen, dem Vorsitzenden der Münchener Sicherheitskonferenz, die sich in den letzten Jahren zu einer Kriegstreiber-Institutiongegen Russland entwickelt hat und jetzt auch China in den Blick nimmt. Heusgen warf der Volksrepublik vor, die „Prinzipien der regelbasierten Ordnung“ nicht einzuhalten, das demokratische System in Hongkong zu untergraben und das Seerecht im Südchinesischen Meer zu brechen.

Mit der „regelbasierten Ordnung“ ist das so eine Sache. Nicht vergessen werden darf, dass die NATO 1999 mit deutscher Beteiligung gegen alle Bestimmungen des Völkerrechts über Jugoslawien herfiel und die Provinz Kosovo von Serbien abtrennte. Die Provinz ist heute ein NATO-Vasallenstaat. Wenn europäische und deutsche Politiker wie Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) von der Unverletzlichkeit und Unabänderlichkeit von Grenzen sprechen, sollten sie daran erinnert werden, dass der NATO Grenzen in Europa egal sind, wenn deren Veränderung im eigenen Interessen liegt.

Es muss an das deutsche Grundgesetz erinnert werden, in dem es unmissverständlich heißt, dass der Bund Streitkräfte zur Verteidigung aufstellt. Von militärischen Abenteuern und Neo-Imperialismus ist darin nicht die Rede. Und deutsche Politiker sollten die gemeinsame Erklärung des chinesischen Staatsoberhaupt Xi Jinping und des russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Pazifik beachten, in der diese dem Westen und den USA vorgeworfen hatten, „die Machtbalance in der Region zu stören“.

Militär-Operationen im Pazifik sind Deutschland in der Vergangenheit nicht gut bekommen: Im Ersten Weltkrieg wurde das vor den Alliierten fliehende deutsche Ostasien-Geschwader in der Seeschlacht vor den Falkland-Inseln 1914 von der britischen Marine zusammengeschossen und versenkt.  

Bilder: depositphotos

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