Deutsche Raketenabwehrsysteme mit KI an die Ukraine geliefert / Die dritte militärische Revolution kommt, auch wenn deutsche Politiker das nicht wollen

Von Hans-Georg Münster

Seitdem eine Künstliche Intelligenz namens ChatGPT in Deutschland anbietet, Gedichte zu verfassen, ist das ganze Land von einer beträchtlichen Unruhe erfasst worden. Etliche Politiker fordern inzwischen eine Regulierung, wenn nicht gar ein Verbot Künstlicher Intelligenz, und auch im militärischen Bereich soll ihre Nutzung drastisch eingeschränkt oder am besten auch verboten werden. Dass Deutschland die Ukraine mit dem Luftabwehrsystem Patriot beliefert hat, das bereits mit Künstlicher Intelligenz arbeitet, ist in diesem Zusammenhang aber bisher niemandem aufgefallen.

In Geschichte wurde jede neu erfundene Technik zuerst für Waffen eingesetzt, denn im militärischen Bereich ist immer genug Geld für neue Waffen vorhanden. Und so widmen sich die Rüstungsindustrien vieler Länder seit Jahren schon der Neuentwicklung und Weiterentwicklung vollautomatischer Waffensysteme, für die sich der Begriff LAWS (Lethal Autonomus Weapon Systems) gefunden hat. Solche Systeme sind in der Lage, ohne menschliche Einwirkung den gesamten Prozess bis zur Zielerreichung zu durchlaufen. Eine ganze Reihe von derartigen Systemen wird bereits von der Industrie angeboten. Besonders weit ist etwa die israelische Drohne Harpy, die völlig autonom feindliche Radarstellungen ausschalten und damit die eigenen Flugzeuge gegen die gegnerische Luftabwehr schützen kann. Mit künstlicher Intelligenz arbeiten aber auch die russische Drohne KUB-BLA sowie Drohnen aus China, Großbritannien und Frankreich. Im Luftwaffen-Bereich wird an Drohnen gearbeitet, die Kampfflugzeuge begleiten und flankieren. Greift ein feindliches Flugzeug an, stürzen sich die Drohnen vollautomatisch auf den Angreifer. Schiffe der westlichen Marinen verfügen oft über das KI-Abwehrsystem Aegis: Wird so ein Schiff angegriffen, entscheidet die KI selbständig, welche Waffen wann zur Abwehr eingesetzt werden.  

Dass deutsche Waffensysteme, darunter auch das an die Ukraine gelieferte Patriot-System, grundsätzlich zur Autonomie in den kritischen Funktionen befähigt sind und somit vollautonom tätig werden, bestätigt Frank Sauer von der Universität der Bundeswehr in München: „Das fiel bisher, salopp gesagt, bloß niemandem besonders auf. Jetzt, da Vollautonomie zunehmend auch in anderen mobilen Systemen Einzug hält, werden ihre Implikationen deutlich.“ Sauer erinnert in einem Aufsatz für die Bundesakademie für Sicherheitspolitik daran, das Autonomie übrigens nicht an einzelne konkrete Waffensysteme gebunden ist. Die Autonomie ermöglichende „Intelligenz“ könne in einem Verbund aus Waffensystemen oder in einem Schwarm verteilt sein. Daher könne zwischen autonomen und nichtautonomen Waffensystemen eigentlich nicht mehr unterschieden werden. Man werde künftigen Waffensysteme nicht ansehen können, wie autonom sie seien.

Wie recht Sauer mit seiner Einschätzung hat, wird zum Beispiel an einem Arbeitspapier des deutschen Heeres zur künstlichen Intelligenz deutlich, in dem versichert wird, man sei an LAWS-Systemen nicht interessiert, und deren Einführung sei auch nicht vorgesehen. Nach der gebräuchlichen LAWS-Definition verfügt die Bundeswehr allerdings längst über solche Systeme.

Allerdings hat die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz im militärischen Bereich jetzt ein atemberaubendes Tempo angenommen. Können die bisherigen KI-Systeme nur eng umrissene Aufgaben erfüllen wie zum Beispiel eine feindliche Radarstellung ausschalten oder angreifende Raketen abschießen, ist die heutige KI überfordert, wenn sich die Situation verändert. Es wird daher an der Entwicklung des „maschinellen Lernens (ML) gearbeitet. Das sind Systeme, die aus früheren Gefechten lernen und sich an die örtlichen Gegebenheiten und Umstände schnell anpassen, auch wenn sie in diesen Räumen noch nie im Einsatz waren. Ein weiteres Feld ist die sogenannte Schwarmtechnologie, die in einem Bundeswehr-Papier beschrieben wird. Das Papier liest sich wie ein Science-Fiction-Buch. 

Geschildert wird in dem Bundeswehr-Papier ein Einsatz in der Zukunft, bei dem zunächst die eigene Künstliche Intelligenz einen Angriff aus dem Cyberraum auf das Netzwerk einer Bundeswehr-Einheit abfangen kann. Die Einheit der Bundeswehr, die eine wichtige Infrastruktureinrichtung verteidigen soll, wird jedoch dann von feindlicher Infanterie - unterstützt durch Drohnenangriffe – angegriffen. Befohlen wird daraufhin der Einsatz eines TaUAS-Bataillons (Tactical Unmanned Aerial System). Von dem mobilen Bataillon werden 5.000 Drohnen zum Einsatz gebracht, die feindliche Kräfte erkennen und beobachten, die Kommunikation des Gegners stören und feindliche Drohnen sowie die Truppen selber unter Beschuss nehmen können. In dem Bundeswehr-Szenario gelingt es, den Feind zurückzuwerfen und die zu sichernde Stellung zu halten. „Künstliche Intelligenz, Automatisierung und Autonomie werden massiven Einfluss haben, daher sind diese Themen ein Schwerpunkt der Weiterentwicklung von Landstreitkräften ", heißt es in dem Bundeswehr-Papier.

Von der deutschen Politik sind in dieser Hinsicht allerdings keine Initiativen zu erwarten. Über zehn Jahre haben Politiker darüber gestritten, ob überhaupt kampffähige Drohnen beschafft werden sollen. Die geplante Beschaffung der Beobachtungsdrohne „Euro Hawk“ geriet zum Desaster, weil die Drohne keine Zulassung für den zivilen Luftraum bekam. Ein Euro Hawk-Exemplar kommt jetzt ins Luftwaffenmuseum in Berlin-Gatow – als sichtbarer Beleg für die mangelnde Zukunftsfähigkeit der deutschen Streitkräfte. Eine Beschaffung von Schwarmtechnologie, wie sie im Szenario der Bundeswehr beschrieben wird, erscheint vor diesem Hintergrund in Deutschland als äußerst unwahrscheinlich. Es heißt schließlich auch im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP: „Autonome Waffensysteme, die der Verfügung des Menschen entzogen sind, lehnen wir ab. Wir wollen sie weltweit ächten.“

Flankiert wird diese Haltung von einer öffentlichen Debatte, in der vor "Killerrobotern außer Kontrolle" gewarnt wird, wie die Friedrich-Ebert-Stiftung kürzlich schrieb. Das Europäische Parlament arbeitet bereits an einer Regulierung von KI. Deutsche Wissenschaftler verfassten einen gemeinsamen Appell, in dem sie ihre tiefe Besorgnis über die Entwicklung autonomer Waffensysteme zum Ausdruck bringen: „Eine Übertragung der Entscheidungsgewalt über Leben und Tod an Maschinen lehnen wir kategorisch ab“, heißt es in dem Appell. Die Kritiker sehen durch die Künstliche Intelligenz die dritte Revolution der Kriegsführung kommen. Die ersten beiden Revolutionen waren die Atombombe und die Erfindung des Schießpulvers.

Während die Debatte in Deutschland von Bedenkenträgern beherrscht wird, nehmen andere Länder von Israel über Russland bis zu den USA keine Rücksicht auf solche Einwände. In den USA ist eine der führenden Firmen im Bereich militärischer Künstliche Intelligenz L3 Harris. Dort wird heute schon im Auftrag des Pentagon daran gearbeitet, den Militärsystemen maschinelles Lernen (ML) beizubringen. Die Systeme sollen in die Lage versetzt werden, aus unübersichtlichen Mengen an Informationen die wichtigen herauszufinden, Fake News zu erkennen und die gesammelten Datenmengen schnell in wichtige Informationen für autonome Operationen umzuwandeln. L3 Harris arbeitet daran, mit seinen Systemen zum Beispiel die Absichten von Schiffen oder Flugzeugen zu erkennen, zu verfolgen und zu bewerten.

Schließlich soll die KI per Datenanalyse genau vorhersagen können, wo sich die feindlichen Schiffe, U-Boote, Flugzeuge und Einheiten hinbegeben werden. Treffen diese dann am vorhergesagten Ziel ein, ist die Abwehr bereits zur Stelle. Das wäre wirklich die Revolutionierung der Kriegsführung. 

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