Derzeit keine Sicherheit in Europa mit den USA

Von Willy Wimmer

Die Dinge laufen auseinander. Das machen in diesen Tagen die sicherheitspolitischen Äußerungen des französischen Präsidenten Macron und der deutschen Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer deutlich. Präsident Macron macht es überdeutlich. Sein Ziel besteht darin, für französische Kriege sich deutscher Soldaten zu versichern. Bei Frau Kramp-Karrenbauer handelt es sich wohl um einen vorgezogenen „Biden-Kotau“ im Stil einer frühzeitigen Bewerbungsrede für höhere NATO-Aufgaben, wenn der stromlinienförmige derzeitige Amtsinhaber als Generalsekretär die Zeit für gekommen halten sollte.
Die öffentlichen Erklärungen beider Persönlichkeiten sind in gewisser Weise aus der Zeit gefallen.
Das ergibt sich aus dem Umstand, daß am Reißbrett nichts mehr in Angriff genommen werden sollte, wenn zu Hause die Hütte brennt. Und sie brennt in sicherheitspolitischer Hinsicht lichterloh. Warum? Die Antwort auf diese Frage findet man in Washington. Die blitzartige Ablösung des bisherigen amerikanischen Verteidigungsministers Esper und das offenkundige Unterlaufen präsidentieller Vorgaben nicht nur in Afghanistan und dem Irak in Sachen Abzug zeugen davon, daß sich der Militärapparat der USA mit eigenen Zielvorgaben selbstständig gemacht hat. Das ist nicht irgendetwas. Das entzieht unserer eigenen Sicherheit den Boden.
Warum? Dafür muß man sich nur den Sommer 2020 jenseits von Corona im Luftraum nahe der russischen Grenze ansehen. Nach Presseberichten häuften sich die Scheinangriffe westlicher Flugzeuge auf russische Ziele. Wie brandgefährlich diese Vorgehensweise ist und war, kann man auf allen Fernsehkanälen dann in Erfahrung bringen, wenn Berichte aus der Zeit des Kalten Krieges gesendet werden. Wie oft sind wir in Europa nur deshalb am Kriegsausbruch vorbeigeschaut, weil u. a. Offiziere Mut und gleichzeitig Verantwortungsbewusstsein an den Tag gelegt hatten? Nur auf diesem Weg konnten wir vor dem Schlimmsten bewahrt bleiben.
Gerade auf diesem Feld erhöhen sich wegen der Vorkommnisse im amerikanischen Militär und den Abläufen in Washington die Risiken gewaltig. Oft genug sind durch willentlich herbeigeführte Vorfälle Kriege ausgelöst oder mutwillig begründet worden. Ein Militärapparat, der am gewählten Präsidenten in USA vorbei das macht, was er will, ist eine Allgemeingefahr. Vor allem in Europa dann, wenn mächtige Gruppen in den USA, nach Aussagen von Frau Nuland in Zusammenhang mit der Ukraine, Milliarden Dollar in die Destabilisierung anderer Staaten gesteckt haben und ein „return on investment“ erzwingen wollen. Vorfälle dieser Art sind uns aus der jüngeren Geschichte auch in anderen Zusammenhängen bekannt. Beim Putsch gegen Gorbatschow wurde ein Mechanismus in Gang gesetzt, der jetzt in Washington droht. Bei unklaren Machtverhältnissen ist jede Seite daran interessiert, sich der Loyalität von Truppenkontingenten zu vergewissern.
Das wurde aus Moskau heraus gegenüber der in Deutschland seinerzeit stationierten „Westgruppe der Truppen“ versucht. Man hatte in Moskau nicht damit gerechnet, daß man sich im Hauptquartier in Wünsdorf „dumm“ stellte und einfach „nicht zu erreichen war“. Es ist in hohem Maße und in Anbetracht der tatsächlichen Entwicklung ungewiß, das auch bei amerikanischen Kommandeuren erleben zu können. Sollen wir zuwarten, bis sich das auf den Straßen von Kaiserslautern dann zeigt, wenn amerikanische Einheiten gegeneinander stehen?
Die Entwicklung gerät ohnehin in Bewegung und die Bundesregierung läßt überhaupt nicht erkennen, wie sie diese einschätzt. Das gilt vor allem für Afrika, denn der durch Präsident Trump angekündigte Abzug von Spezial-und sonstigen Kräften aus Afrika läßt nicht nur die Frage danach spannend werden, welche Auswirkungen das auf die französischen Dauerkriege in dieser
Region hat? Wird Frankreich nachziehen oder versuchen, sich mit weiteren deutschen Truppen geradezu zu polstern? Wird das amerikanischen Afrika-Kommando in Stuttgart die Zelte abbrechen, wenn es in Afrika nichts mehr gibt, das kommandiert werden müßte? Begehrlichkeiten, die sich an die deutsche Adresse richten könnten, gibt es wahrlich genug. Es gibt aber auch Konstanten, die man wahrhaben sollte. Auch die nach den französischen Nuklearwaffen, die ausschließlich dafür vorgesehen sind, wie wir seit Präsident Mitterand wissen, der letzten Verteidigungslinie Frankreichs, aber keinem Verbündeten zu dienen. Man mag sich nicht vorstellen, wo das dann in Anbetracht der Reichweite stattfinden könnte. Anlass genug, mit dem französischen Partner einiges zu besprechen. Dazu zählt auch die Frage, ob es ohne Dauerkriege rund ums Mittelmeer oder in Afrika auch geht? Vor allem deshalb, weil die überwiegende Mehrheit des deutschen Volkes der Ansicht ist, dafür nicht zur Verfügung zu stehen. Alle Planungen, auch auf EU-Ebene, die das für Potentiale vorsehen, aber der deutschen Öffentlichkeit keinen „reinen Wein“ einschenken, sind des Teufels.
Stattdessen soll sich Berlin lieber darum kümmern, die eigenen Soldaten aus Afghanistan und dem Irak sicher nach Hause zu bringen. Das war im Falle Afghanistan schon die Frage, als deutsche Truppen noch nicht in Nord-Afghanistan eingetroffen waren. Die Vereinigten Staaten ziehen ab und lassen uns und die anderen im Regen stehen. Unsere Soldaten auch, die die Funktion von Hilfstruppen nach amerikanischen Überlegungen haben? Es ist für Berlin höchste Zeit, sich die Unterstützung Moskaus zu versichern. Das war am Anfang des verlustreichen Einsatzes in Afghanistan ein sehr erprobtes Modell. Jetzt gibt es auf deutscher Seite jeden Grund, das Schicksal deutscher Truppen nicht auf Gedeih und Verderb von unsolidarischem Verhalten in Washington abhängig zu machen. Washington macht deutlich, wie wenig es deutschem Wunschdenken verpflichtet ist. Wo bleibt der Satz, nach dem man dort gemeinsam rausgeht, wo man gemeinsam reingegangen ist?
Auf die deutsche Verteidigungsministerin darf man in diesem Zusammenhang nicht hoffen.
Ihre Rede zur Sicherheitspolitik in dieser Woche war „Karo einfach“ und ein Nullum gegenüber den Herausforderungen. Mehr Geld für Bedrohungen, die durch unsere Politik erst geschaffen worden sind? Dem ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt müßte man in Berlin noch heute verpflichtet sein, wenn er die Reduzierung der NATO nur auf den NATO-Vertrag, ohne den Militärapparat, forderte. Transatlantisch sollte nur konsultiert werden, aber das auf Dauer. Oder ist die Hürde der Dominanz: „die Amis rein, die Russen raus, die Deutschen unten“ nicht umzustoßen? Selbst auf die Gefahr hin, daß ganz Europa daran erstickt, wenn auf Dauer die angelsächsische Dominanz das eigentliche Ziel jeden Handeln darstellt und Rußland durch eine neue Mauer ausgeschlossen werden muß? Moskau hat in diesen Wochen auf den Vertrag aus dem Jahr 1991 hingewiesen, der Moskau und heute Berlin zur guten Zusammenarbeit verpflichtet. Statt Ergebenheitsadressen nach Washington zu senden, sollte Berlin es wieder mit deutscher und europäischer Politik versuchen. Warum nicht Moskau in ein transeuropäisches und transglobales Bündnis einzubeziehen, das diesen Namen auch verdient. In Rußland gilt der alte Satz, nur über zwei Verbündete zu verfügen: die Armee und die Flotte. Deutscher Sicherheit ist dann gedient, wenn sich die russischen Interessen nicht derart zuspitzen. Lieber Gott, laß einen Genscher in Berlin nachwachsen.

Bilder: depositphotos, screenshots, Bundesarchiv
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