Der Sinn eines neuen Gipfeltreffens im Normandie-Format ist mehr als fraglich

Da kommt der Verdacht auf, die Ukraine habe ein Abkommen unterzeichnet, ohne sich wirklich daran halten zu wollen

Von Rudolf Guljaew

Über fünf Jahre Erfahrung im Konflikt in der Ostukraine zeigen, dass Minen und Blindgänger eine der Hauptursachen für Opfer unter der lokalen Bevölkerung darstellen. Mit der Verschärfung der Spannungen im Konfliktgebiet im Osten der Ukraine, die in den letzten Wochen zu beobachten war, geht auch der zunehmende Einsatz von Minen einher, den beide Seiten praktizieren. Und die tragischen Folgen bleiben nicht aus.

Seit Beginn des Monats Mai beobachtete die Special Monitoring Mission to Ukraine der OSZE, dass auf beiden Seiten der Kontaktlinie neue Minenfelder angelegt wurden, wie zum Beispiel am 5. Mai in der Entflechtungszone von Petrovskoe/Petrivske südlich von Donetsk. Dort verlegten die ukrainischen Regierungstruppen nicht weniger als 350 Panzerminen innerhalb der Entflechtungszone, wo sich eigentlich weder Truppen, noch militärische Einrichtungen oder gar Waffen befinden dürften. Gleichentags entdeckte die SMM weitere 209 Minen außerhalb der Entflechtungszone. Zwei Tage zuvor hatte die SMM unweit von Mariupol 71 Panzerminen entdeckt (1). Wann es sich dabei um den gebräuchlichsten Typ, die Panzermine TM-62 handelt, dann wurden hier respektable Logistik- und Arbeitsleistungen erbracht, denn jede von diesen Minen wiegt ohne Verpackung um die 10 kg. Wer schon einmal Minen von Hand verlegt hat, dem ist klar, dass es sich hierbei um eine Aktion von mehreren Stunden Dauer handelte, während derer die Verlege-Mannschaften vor gegnerischer Beobachtung und vor Beschuss geschützt werden mussten. Dazu kommt der Aufwand für die genaue Dokumentation der Lage von Minen, damit nicht plötzlich eigene Truppen in einem Minenfeld stecken bleiben. Es liegt auf der Hand, dass das Ganze keine spontane Handlung einer übervorsichtigen Truppe war, sondern eine von langer Hand geplante Aktion.
Der jüngste schwere Unfall mit einer Mine ereignete sich am 14. Mai südlich von Donetsk, als eine junge Frau am Checkpoint der ukrainischen Regierungstruppen bei Novotroitske offenbar auf eine Mine trat und als Folge davon ihren linken Fuß verlor (2). Beide Seiten setzen an Checkpoints gerne Minen an, um ein Umgehen des Checkpoints zu verhindern. Dieser Fall ist der Beweis, dass die ukrainische Armee an diesem Checkpoint Antipersonenminen einsetzte, denn eine Panzermine wie die TM-62 mit ihren 7.5 kg Sprengstoff hätte die Frau zweifellos getötet – und all jene, die sich in einem Umkreis von 30 m befanden.
Ottawa-Konvention
Das Übereinkommen über das Verbot des Einsatzes, der Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung, kurz auch "Ottawa-Konvention" genannt (3), verpflichtet die Vertragsstaaten bis spätestens vier Jahre nach Ratifizierung des Vertrags alle gelagerten Antipersonenminen zu vernichten. Es wurde seit 1997 von 164 Ländern ratifiziert. Die Ukraine ratifizierte das Abkommen im Jahr 2005 (4). Panzerminen sind von diesem Abkommen nicht betroffen, aber es gibt natürlich immer wieder einmal Diskussionen, wie Panzerminen mit Aufhebeschutz zu bewerten seien, das heißt solche, die detonieren, wenn man sie aufhebt. Im Minsker Memorandum vom 19. September 2014 verpflichteten sich die Konfliktparteien, das Verlegen von Minen jeder Art zu unterlassen und bestehende Minenfelder zu räumen (5). Dieses Abkommen blieb bislang weitgehend toter Buchstabe, nicht nur was Minen betrifft.
Am 15. Mai, einen Tag nach dem tragischen Zwischenfall von Novotroitske, wurde eine Antipersonenmine des Typs MON-200 in der Nähe eines Checkpoints der ukrainischen Regierungstruppen bei Popasna gesehen (6). Die war dort offenbar schon seit Ende April installiert, denn am 25. April berichtete die SMM: 

"On the same day, at a checkpoint of the Ukrainian Armed Forces on the eastern outskirts of Popasna (government-controlled, 69km west of Luhansk), the SMM saw for the first time four green wooden boxes on the ground with “MON-90” written on them in Cyrillic. In one of the boxes, which was open, the SMM saw an anti-personnel mine (MON-90)." (7)
Das Problem der MON-Minen ist nicht neu im Konflikt im Donbass. Eine Antipersonenmine MON-100 wurde schon am 8. November 2018 nahe eines ukrainischen Checkpoints 1.4 km westlich von Verkhnoshyrokivske, gemeldet:

" MON-100 anti-personnel type, fastened to a tree about 1.5m from the ground." (8)

Und am 28. März 2018 verlangte die SMM von den ukrainischen Regierungstruppen die Räumung von zwei MON-50 und einer MON-200 auf einer Straße bei Yasynuvata (9).
Sporadisch meldet die SMM auch den Einsatz von Anti-Personenminen auf Seiten der Volksmilizen, wie zum Beispiel am 20. Dezember 2015, als zwei Personen durch eine MON-50 ums Leben kamen, als sie bei Stanytsia Luhanska versuchten, ein Minenfeld zu durchqueren (10).
Variabler Charakter der MON-Minen
Die Reihe der MON-Minen wurde noch in der Sowjetunion nach dem Vorbild der US-amerikanischen Claymore Mine entwickelt und hergestellt. Es existieren derzeit vier verschiedene Typen, die sich primär durch die Größe unterscheiden. Die kleinste davon, die MON-50 schleudert nach Detonation des Sprengstoffs circa 500 Stahlkugeln horizontal in Richtung des Gegners und wirkt auf circa 50 m tödlich (11). Die MON-90 enthält schon 2000 Stahlkugeln, die bis auf eine Distanz von 90 m auch ungepanzerten Fahrzeugen gefährlich werden können. Ähnlich der US-amerikanischen Claymore Mine werden diese Minen nicht vertikal verlegt, sondern horizontal aufgestellt (12). Die MON-50 und MON-90 ruhen auf zwei Paaren faltbarer Beine und können mit einem Stolperdraht versehen werden, sodass das Opfer die Explosion der Mine selbst auslöst. Damit entsprechen die MON-Minen der Definition einer Mine gemäß der Ottawa-Konvention. Es ist aber auch möglich, die Mine an ein Zündkabel anzuschließen, sodass ein Beobachter die Explosion auslösen kann. Diese Art des Einsatzes fällt nicht unter das Ottawa-Abkommen und ist somit völkerrechtlich grundsätzlich erlaubt.

Bild: Aufgestellte MON-50 Antipersonenmine (13)
Noch wirkungsvoller sind die MON-100 (14) und die MON-200-Minen (15), die eine so große Menge an Sprengstoff und Stahlzylindern enthalten, dass sie selbst leicht gepanzerten Fahrzeugen gefährlich werden können. Ob die gepanzerten Geländewagen der Special Monitoring Mission to Ukraine der Detonation einer MON-200 standhalten könnten, ist zu bezweifeln.
Politische Folgen
Im Ständigen Rat der OSZE vom 30. April erntete der Botschafter der Ukraine, Yevhenii Tsymbaliuk, einen Heiterkeitserfolg, als er erklärte, die anderen Holzkisten, welche die SMM am 25. April sah, seien mit Büchern gefüllt gewesen. Es wäre zu begrüßen gewesen, wenn er anstatt dessen erklärt hätte, weshalb sich Minen der MON-Reihe immer noch im Bestand der ukrainischen Streitkräfte befinden, und ob sämtliche Mechanismen zur Selbstauslösung des Sprengkörpers aus dem Arsenal der ukrainischen Armee entfernt wurden. Eigentlich müsste die Zeit von der Ratifikation des Ottawa-Abkommens bis heute gereicht haben, um die Minen zu vernichten. Die Ukraine ersuchte bislang nicht um eine Verlängerung der gesetzten Fristen. Da kommt der Verdacht auf, die Ukraine habe ein Abkommen unterzeichnet, ohne sich wirklich daran halten zu wollen. Und es wäre an der Zeit, auch von den Volksrepubliken Donetsk und Lugansk die Einhaltung der Ottawa-Konvention einzufordern, selbst wenn diese dies als Etappe zur diplomatischen Anerkennung interpretieren würden. Denn im Fall des Konflikts im Donbass haben Minenunfälle weit mehr als nur eine humanitäre Seite: Solange unterzeichnete Abkommen toter Buchstabe bleiben, ist der Sinn eines neuen Gipfeltreffens im Normandie-Format mehr als fraglich.


Siehe Daily Report Nr. 108, 07.05., Seite 4f, online unter https://www.osce.org/special-monitoring-mission-to-ukraine/451816?download=true

  1. Siehe Daily Report Nr 117, 18.05.2020, Seite 4, online unter https://www.osce.org/special-monitoring-mission-to-ukraine/452695?download=true

  2. Wortlaut der Konvention unter https://www.apminebanconvention.org/fileadmin/APMBC/other_languages/german/MBC/APMBC-Text-ge.pdf

  3. https://www.bpb.de/272727/analyse-landminen-in-der-konfliktregion-im-donbass-gefahren-und-perspektiven

  4. Vgl https://www.ostinstitut.de/documents/publikationen/Luchterhandt_Die_Vereinbarungen_von_Minsk_%C3%BCber_den_Konflikt_in_der_Ostukraine_aus_v%C3%B6lkerrechtlicher_Sicht%20_OL_2_2019.pdf

  5. Siehe Daily Report der SMM Nr. 115, 15.05.2020, Seite 4, online unter  https://www.osce.org/special-monitoring-mission-to-ukraine/452464?download=true

  6. Siehe Daily Report der SMM Nr. 98, 25.04.2020, Seite 6, online unter https://www.osce.org/special-monitoring-mission-to-ukraine/450829?download=true

  7. Siehe Daily Report der SMM vom 14.11.2018, online unter https://www.osce.org/special-monitoring-mission-to-ukraine/402968; https://www.osce.org/special-monitoring-mission-to-ukraine/402554

  8. https://www.osce.org/special-monitoring-mission-to-ukraine/376597

  9. https://www.osce.org/ukraine-smm/211971

  10. https://bulletpicker.com/landmine_-apers_-mon-50.html

  11. https://bulletpicker.com/landmine_-apers_-mon-90.html

  12. https://www.lexpev.nl/images/mon50setting.jpg

  13. https://bulletpicker.com/landmine_-apers_-mon-100.html

  14. https://bulletpicker.com/landmine_-apers_-mon-200.html

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