Der erste Verlierer des Ukraine-Krieges heißt Deutschland / Marschflugkörper Taurus ist die Lunte für den Weltenbrand

Von Hans-Georg Münster

Wer genau hinhört und auch auf Zwischentöne achtet, wird Änderungen in der Berliner amtlichen Rhetorik feststellen. An die Stelle der dumpfen Kriegspropaganda sind leisere Töne getreten. Das hat drei Gründe: das Ausbleiben militärischer Erfolge der Ukraine, die Lieferung von Streubomben durch die USA an die Ukraine und der auch aufgrund des Konflikts schnell voranschreitende wirtschaftliche Niedergang Deutschlands. Zweitrangige Politiker treiben aber weiter ein gefährliches Spiel mit weitreichenden Waffen, die sie der Ukraine geben wollen.

Wichtige Hinweise auf die sich wandelnde Stimmung gingen von der Sommer-Pressekonferenz von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aus. Zwar sprach Scholz weiter von einer „Zeitenwende“ seit Beginn der militärischen Handlungen in der Ukraine. Auch versteifte er sich auf Einhaltung des angeblich seit Jahrzehnten gültigen Grundsatzes, dass es keine Grenzveränderungen geben dürfe. Dabei hatte die NATO 1999 mit dem von ihr angezettelten völkerrechtswidrigen Jugoslawien-Krieg unter Beteiligung Deutschlands selbst für Grenzänderungen gesorgt, indem sie die serbische Provinz Kosovo von Serbien abtrennte und zu einem eigenständigen Staat machte – ganz zu schweigen von den Grenzveränderungen zu Lasten Deutschlands nach den Weltkriegen.

Scholz erwähnte die bisherigen deutschen Unterstützungsleistungen für die Ukraine, die er auf 17 Milliarden Euro bezifferte. Die Zahlungen dürften in Wirklichkeit viel höher sein, weil Deutschland sein Sozialsystem für die ukrainische Bevölkerung vollständig geöffnet hat. Wer in Kiew krank wird, fährt mit dem Flixbus nach Deutschland und lässt sich dort behandeln – kostenlos. Von den insgesamt 5,5 Millionen Beziehern von Sozialhilfe in Deutschland sind nach dem jüngsten Monitoring der Bundesagentur für Arbeit 707.770 Ukrainer.

Auch von der Europäischen Kommission in Brüssel fließen große Geldströme an die Ukraine, die von Deutschland zu etwa 20 Prozent mitfinanziert werden müssen. Ende Juli gab die EU-Kommission 1,5 Milliarden Euro für das korrupte Regime in Kiew frei. Die 1,5 Milliarden sind Teil eines Hilfsprogramms von 18 Milliarden Euro, damit der ukrainische Staat auch unter Kriegsbedingungen am Laufen gehalten werden könne, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. In Wirklichkeit fließen diese Gelder in die Taschen der ukrainischen Oberschicht; bei der Bevölkerung kommt fast nichts an, und von einer Wiederherstellung zerstörter Infrastruktur kann auch keine Rede sein. Die als Darlehen ausgewiesenen Gelder soll die Ukraine ab 2033 zurückzahlen. Es gehört wenig Phantasie zu der Vorhersage, dass Kiew nie etwas zurückzahlen wird – so wie auch andere Pleitestaaten wie Simbabwe ihre Schulden nie beglichen haben.

Trotz der massiven Waffenlieferungen und der Ausbildung ukrainischer Soldaten bleiben die militärischen Erfolge der ukrainischen Streitkräfte aus. Die „Gegenoffensive“ findet seit etlichen Wochen größtenteils in den Schlagzeilen der Zeitungen statt. Die „Neue Zürcher Zeitung“, eine der wenigen seriösen Quellen innerhalb der deutschsprachigen Medien, stellte fest, dass die ukrainischen Streitkräfte die für eine Offensive notwendige personelle Übermacht von 3:1 „nicht annähernd“ hätten aufbringen können. Während bei den russischen Truppen ein geschicktes Zusammenspiel der Kräfte auffalle, seien die Ukrainer „nicht fähig, größere Angriffe zu koordinieren“. Trotz Schulung durch NATO-Ausbilder fehle es dafür an Erfahrung (1).

Der frühere Bundeswehr-Oberst Wolfgang Richter macht ein ganz anderes Problem durch die westlichen Militärhilfen aus. Da jedes Land liefere, was es gerade übrig habe, fehle es überall an Ersatzteilen und Reparaturkenntnissen: „Im Grund genommen ist es für einen Logistiker ein Albtraum, wenn man sieht, wie viele unterschiedliche Systeme im Einsatz sind.“ Und sollte es der Ukraine tatsächlich gelingen, weit hinter die heutigen Frontlinien vorzustoßen, entsteht ein neues Problem: „Große Flanken tun sich auf und müssen geschützt werden (2).“ Der an der Bundeswehr-Universität München tätige Professor Carlo Masala, in der Vergangenheit einer der größten Kriegstrommler, sieht es jetzt schon als Erfolg an, dass die ukrainische Armee „an der ersten Verteidigungslinie der der russischen Armee steht. Allerdings muss man sagen: Bis Melitopol, also bis zum Asowschen Meer, sind es noch 115 Kilometer (3).“

Diese Einschätzungen werden offenbar in vielen westlichen Stäben geteilt, und das ist wohl auch ein Grund dafür, dass die USA Streubomben an die Ukraine lieferten. Diese sind zwar weltweit geächtet, aber das Osloer Abkommen von 2010 zur Nichtanwendung solcher Bomben haben die USA, Russland und die Ukraine nicht unterschrieben. Andererseits sind die Unterzeichnerstaaten wie Deutschland laut Abkommen gehalten, alles Mögliche zu tun, um andere Länder vom Streubomben-Einsatz abzuhalten. So besagt Abschnitt 1 (c) des Abkommens, dass die Vertragsstaaten „niemanden bei einer den Vertragsstaaten verbotenen Aktivität unterstützen, dazu ermutigen oder veranlassen“ dürfen. Auf entsprechende Fragen, ob die Bundesregierung in Washington gegen die Lieferung solcher Systeme aktiv geworden sei, reagierte der Bundeskanzler auf seiner Pressekonferenz gereizt. Erst stellte Scholz fest, Deutschland habe keine Streumunition. Und sagte dann: „Die souveräne Entscheidung anderer Staaten“ habe er nicht zu kommentieren: „Die USA haben eine Entscheidung getroffen, die nicht unsere ist“, so der Bundeskanzler, dem anzusehen war, wie unangenehm ihm das Thema war.

Hier werden Risse in der westlichen Allianz deutlich und auch in der Berliner rot-gün-gelben Koalition. Besonders für die grüne Regierungspartei ist das Verbot von Streumunition Teil ihrer Seele – genauso wichtig wie das Verbot von Waffenlieferungen in Spannungsgebiete. Mussten die Grünen schon bei den Waffenlieferungen die Position wechseln, so muss jetzt der Wechsel bei der Haltung zu Streubomben folgen. Ein großer Teil der grünen Basis will diese Wendungen schon lange nicht mehr mittragen. Aus der einstigen Friedens- ist längst ein Bellizisten-Verein geworden, der immer tiefer in den Konflikt hineinschliddert und sich dabei eine große Mitschuld aufbürdet. In allen Umfragen sind die Grünen inzwischen weit von früheren Ergebnissen entfernt. Inzwischen warnt sogar der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages davor, dass Deutschland Gefahr laufen könne, Kriegspartei zu werden (4).

Dies droht besonders dann, wenn die Bundesrepublik Waffen mit großer Reichweite wie den bei der Bundeswehr vorhandenen Marschflugkörper Taurus liefern würde. Damit könnte die ukrainische Armee Ziele in Russland selbst erreichen. In den letzten Tagen gab es bereits Berichte über ukrainische Drohnen-Angriffe auf einen Flughafen in der Nähe von Moskau und damit weit entfernt vom ukrainischen Staatsgebiet, auf das sich der Einsatz der vom Westen gelieferten Waffen angeblich beschränken soll. Taurus-Maschflugkörper wären ebenfalls in der Lage, Ziele bei Moskau zu erreichen und könnten sogar Streubomben dort absetzen. Wenn das geschehen würde, könnte ein Weltenbrand ausgelöst werden. Das Streichholz für die Lunte, die den Weltenbrand auslösen könnte, ist von Berliner Politikern der zweiten Reihe längst entzündet worden. Ihnen erscheint das Risiko einer Ausweitung der Kriegshandlungen auf Deutschland vernachlässigbar. So ein Fall ist der CDU/CSU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter: „Es muss der Ukraine zugestanden werden, auch militärische Ziele auf russischem Gebiet anzugreifen.“ Kiesewetter befürwortet Lieferungen von Taurus an die Ukraine – genau wie die Vorsitzende des Bundestags-Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP). Es werde Zeit, „dass das Kanzleramt endlich grünes Licht gibt, der Ukraine auch Marschflugkörper Taurus zur Verfügung zu stellen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum das nicht schon längst erfolgt ist (5).“

Doch noch zögert Berlin, das bereits brennende Streichholz an die Lunte zu halten und möglicherweise einen Weltenbrand auszulösen. Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums verwies darauf, dass Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) zu Taurus klargestellt habe, „dass es keine Lieferung geben wird“. Es ist auch zweifelhaft, ob sich Berlin noch weiter in den Konflikt hineinziehen lassen und ob Scholz eventuell sogar eine Regierungskrise in Kauf nehmen will, die ihn schnell sein Amt kosten könnte. Die Grünen sind innenpolitisch durch eigene Fehler geschwächt, die rechte Opposition AfD wächst und wächst in den Umfragen.

Es sind nicht nur die hohen Kosten der Hilfsmaßnahmen und Waffenlieferungen an die Ukraine, die Deutschland zu schaffen machen. Durch die massiv gestiegenen Energiekosten – eine Folge der ohne Not gekappten preiswerten Lieferungen von Kohle, Öl und Gas aus Russland und den kompletten Verzicht auf den großen russischen Markt – ist das Wirtschaftswachstum faktisch zusammengebrochen. Nach einer Veröffentlichung des Internationalen Währungsfonds liegt Deutschland beim Wachstum auf dem letzten Platz aller Industrieländer. Erwartet wird in diesem Jahr ein Rückgang der Wirtschaft um 0,3 Prozent. Selbst das vom Westen boykottierte Russland liegt mit einem erwarteten Wirtschaftswachstum von 1,5 Prozent weit vor der Bundesrepublik, die mit ihrer Transformation zur klimaneutralen Wirtschaft angeblich Maßstäbe für die Welt setzen will. In Wirklichkeit liefert sie nur den Beweis für das Scheitern eines Ökowirtschafts-Modells mit wahnhaften Zügen und will die Folgen der falschen Außenpolitik nicht sehen. Denn Deutschland ist der erste Verlierer des Ukraine-Konflikts.

(1) https://www.nzz.ch/international/ukraine-acht-erkenntnisse-aus-der-gegenoffensive-gegen-russland-ld.1748897

(2) https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ukraine-gegenoffensive-russland-krieg-oberst-richter-100.html

(3) https://www.zdf.de/nachrichten/politik/masala-militaerexperte-gegenoffensive-ukraine-krieg-russland-100.html

(4) https://www.bundestag.de/resource/blob/957632/44633615ad0618f5cd38c35ad0a30fe4/WD-2-023-23-pdf-data.pdf

(5) CDU-Politiker Kiesewetter: „Es muss der Ukraine zugestanden werden, militärische Ziele in Russland anzugreifen“ (rnd.de)

Bilder: depositphotos wikipedia
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