Der Blick zurück gibt Anlass zu besorgniserregenden Prognosen für den beginnenden neuen Kalten Krieg.

Von Gerd Brenner, Oberst d.G.

Schon während und besonders nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Großbritannien und in den USA die Diskussion über Sinn und Unsinn der alliierten Bombenangriffe auf Deutschland geführt. Diese Diskussionen sind keineswegs rein akademisch und nur für Historiker von Bedeutung. Der Blick zurück gibt Anlass zu besorgniserregenden Prognosen für den beginnenden neuen Kalten Krieg.

Die Auffassungen über den effektivsten Einsatz von Luftstreitkräften wurden nach dem Ersten Weltkrieg maßgeblich vom Italiener Giulio Douhet, vom Amerikaner Billy Mitchell und vom Briten Hugh Trenchard geprägt. Diese drei Klassiker erfreuen sich auch heute noch großer Beliebtheit in Militärakademien westlicher Staaten. In der Generalstabsakademie der russischen Armee hingegen sind ihre Werke von untergeordneter Bedeutung (1). Douhet, Mitchell und Trenchard formulierten ihre Theorien nicht zuletzt vor dem Hintergrund ihrer eigenen historischen Erfahrungen.

Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte Douhet seine Erfahrungen im italienisch-türkischen Krieg von 1911 in Libyen gemacht, als Flugzeuge erstmals in der Kriegsgeschichte für Aufklärung, Feuerleitung, Transport und Bombardierung von Erdzielen eingesetzt wurden (2). Die Wiederholung des jahrelangen Stellungskriegs und der gewaltigen Materialschlachten des Ersten Weltkriegs schien allen drei Klassikern zurecht als untaugliche Methode für die Führung eines neuen Kriegs. Der Sturz der Monarchien durch innere Revolten als Folge der militärischen Niederlage, sowie der Zerfall des Habsburger- und des Zarenreichs mag ihre Vorstellungen vom Ende eines zukünftigen Kriegs geprägt haben. Darüber hinaus war sich der Brite Trenchard sicherlich der verheerenden Auswirkungen der britischen Seeblockade gegen Deutschland bewusst, weshalb er die Operationen von Luftstreitkräften gerade auch als Ergänzung einer erneuten Seeblockade der Royal Navy betrachtete. Im Denken aller drei Theoretiker blieb den Landstreitkräften nunmehr die Aufgabe der Besetzung des gegnerischen Territoriums und der Beseitigung letzter Nester des Widerstands in "mopping-up" Operationen.

Die Trenchard Doktrin

Aufgrund der gemachten Erfahrungen im Luftkrieg nach 1914 gründete die britische Regierung am 1. April 1918 mit der Royal Air Force (RAF) die erste selbstständige Luftwaffe der Welt. Es war in der Folge sicherlich auch dem Wirken Trenchards zuzuschreiben, der die RAF von 1919 bis 1929 kommandierte, dass diese zu Kriegsbeginn 1939 in hohem Masse zur Führung eines Bombenkriegs gegen das nationalsozialistische Deutschland bereit war. Die nach ihm benannte Doktrin aus dem Jahr 1928 wies der Zerstörung der gegnerischen Rüstungsindustrie und der Transportwege von Rüstungsgütern aller Art zur Front mit Fernbombern eine höhere Bedeutung zu, als der direkten Feldschlacht mit den gegnerischen Landstreitkräften. In den frühen Dreißigerjahren begannen deshalb Entwicklung und Aufbau einer Flotte schwerer Bomber mit großer Reichweite. Die schnelle Einsatzfähigkeit der britischen Bomberflotte zu Beginn des Zweiten Weltkrieges beruhte auf den weitreichenden Planungen jener Zeit (3).

Aus politischer Rücksichtnahme wurden die britischen Bomberkräfte in der Phase des "Drôle de guerre", des Sitzkriegs vom September 1939 bis Mai 1940 praktisch nicht eingesetzt (4). Nach dem 10. Mai 1940, dem Beginn des deutschen Westfeldzugs und gleichzeitig dem Amtsantritt des Kabinetts Churchill, verschärfte Großbritannien die Luftkriegführung, ohne allerdings durchschlagende Erfolge zu erzielen.

Kontroversen um die Wirksamkeit der RAF

Von Mitte 1941 bis Mitte 1942 stand Großbritannien an allen Fronten unter Druck: Die Britische Armee stand im Kampf mit den Deutschen und Italienern in der Wüste Nordafrikas. Insbesondere die 8. Britische Armee benötigte die Unterstützung des Royal Air Force mehr denn je. Die Royal Navy versuchte verzweifelt, die Konvois im Atlantik vor den deutschen U-Booten zu schützen und brauchte dringend die Hilfe von Langstrecken-Bombern. Die begrenzten Ressourcen des Empire zwangen zu einer sorgfältigen Beurteilung der Möglichkeiten der Teilstreitkräfte und ihrem Beitrag zum Gesamterfolg.

Durch die ausbleibenden Erfolge des Bomber Command der RAF sahen sich die Kritiker des Luftkriegs, allen voran Sir Henry Tizard vom Aeronatical Research Committee in ihrer Auffassung bestätigt, dass der einzige Vorteil des strategischen Bombenkriegs darin bestehe, Ressourcen zur Verteidigung Deutschlands zu binden. Tizard war der Auffassung, dass dieses Ziel mit einer weitaus kleineren Bomberflotte erreicht werden könne. Da war es besonders störend, dass für den Krieg gegen den "Willen des Volkes", das sogenannte "Morale Bombing", keine wissenschaftliche Basis vorhanden war, welche es erlaubt hätte, die Wirkung dieser Form von Krieg zu quantifizieren (5). Dadurch kam die britische Regierung unter Zugzwang, die Auswirkungen des Luftkriegs zu studieren. Auslöser hierfür war der Bericht des David Bensusan-Butt vom 18. August 1941, welche die praktische Wirkungslosigkeit der bisherigen Bombenangriffe der RAF schonungslos aufdeckte. Bensusan-Butt legte dar, dass gerade einmal ein Drittel der Bomber überhaupt näher als 5 Meilen ans Ziel gelangt sei, und dass nur ein Bruchteil der Bomben in der Nähe des Ziels explodierten. Eine, auf Präzision des Bombenwurfs ausgelegte Strategie war somit unrealisierbar (6). Auch ein eilig erstellter Gegenbericht des Directorate of Bombing Operations der RAF vom 22. September des selben Jahres konnte nicht verhindern, dass dieses Thema im britischen Unterhaus aufgegriffen wurde, am prominentesten in einer Rede des Abgeordneten und Nobelpreisträgers für Medizin, Professor Archibald Hill am 24. Februar 1942 (7).

Vorerst hielt die britische Regierung an der Bombenkampagne fest, denn Bombenangriffe waren in der damaligen Lage das einzige Mittel, das den Krieg an seinen Ursprung, nämlich das nationalsozialistische Deutschland zurücktragen konnte. Deshalb betrachtete die britische Regierung dieses Mittel als wichtig zur Aufrechterhaltung der Moral der britischen Zivilbevölkerung. Sie sollten den Verbündeten auch die Entschlossenheit Großbritanniens demonstrieren und das Vertrauen in britische Streitkräfte wiederherstellen. Das britische Kabinett betrachtete den Luftkrieg gegen Deutschland auch als Zeichen der Unterstützung zugunsten der Sowjetunion, welche die Hauptlast des Landkrieges gegen das nationalsozialistische Deutschland und seine Verbündeten trug.

Wissenschaftler und Paviane

Wissenschaftliche Beratungsausschüsse waren schon vor dem Krieg in jedem der drei Teilstreitkräfte Großbritanniens entstanden, als die Wiederbewaffnung nach der Zwischenkriegsphase auf ziemlich unorganisierte Weise begann. Mit dem Fortschreiten des Krieges wurde die Rolle der operativen Analyseeinheiten zunehmend organisiert. Zu den beteiligten Personen gehörten einige der brillantesten Köpfe der damaligen Zeit, einige von ihnen Nobelpreisträger: John Desmond Bernal, Solly Zuckerman, Henry Tizard, Archibald Hill, Reginald Jones, Patrick Blackett, Bernard Lovell, Robert Watson-Watt, Mark Oliphant und natürlich Frederick Lindemann, der wissenschaftliche Berater von Winston Churchill.

Mit der Entwicklung praktisch einsetzbarer Radargeräte und ihren konzeptionellen Beiträgen zum Aufbau der Kette von Radar-Posten leisteten Archibald Hill, Bernard Lovell, der Schotte Robert Watson-Watt und der junge Australier Mark Oliphant einen kaum zu unterschätzenden Beitrag an den Erfolg der RAF in der Luftschlacht über England im Herbst 1940. Der Physiker Reginald Jones entwickelte ein Verfahren zur Störung des deutschen Navigationssystems für Bomber. 

Patrick Blackett, der wissenschaftliche Berater des Anti-Aircraft Command der RAF, zog die Zahlen des Berichts der RAF vom September 1941 in Zweifel und kam zu ähnlichen Schlüssen wie schon Bensusan-Butt. Er empfahl vor allem den Einsatz der Bomberflotte gegen die deutschen U-Boot-Werften. In einer Kriegsphase, in welcher die deutsche U-Boot-Flotte das britische Empire an den Rand der Kapitulation trieb, mag das nicht erstaunen. Die nach dem Krieg angestellten Untersuchungen der British Bombing Survey Unit sollten ihm recht geben. 

Die Diskussion in Großbritannien nahm zwischendurch solch gehässige Formen an, dass die Regierung sich gezwungen sah, Richter J. Singleton vom High Court mit der Sichtung der verschiedenen Argumente zu beauftragen und sein Urteil abzugeben. Der Singleton-Bericht vom 22. September 1942 kam zu keinem schlüssigen Urteil bezüglich der Wirksamkeit des Bombenkriegs. Am 30. Oktober 1942 forderte der Erste Seelord eine objektive Analyse der Bomberoffensive, die von einem Komitee von Spezialisten aus verschiedenen Disziplinen durchgeführt werden sollte. Der Chef des Luftwaffenstabs, Air Vice Marshal Charles Portal hielt dies jedoch für unnötig (8). 

Ein anderer Wissenschaftler, der aus Südafrika stammende Zoologe und Anthropologe Solly Zuckerman, untersuchte im Auftrag von John Desmond Bernal die Auswirkungen von Bombenangriffen auf den menschlichen Organismus. Zuckerman hatte sich in den Jahren vor dem Krieg durch die vergleichende Anatomie von Menschen und Affen einen Namen gemacht und war vom Londoner Zoo beauftragt worden, die Gründe für die ungewöhnlich hohe Sterblichkeit unter den Pavianen im Zoo zu untersuchen. In den späten Dreißigerjahren freundete sich Zuckerman mit Frederick Lindemann an. In den Diskussionen der Vorkriegszeit wuchs Zuckermans Interesse an politisch-militärischen Fragen. Die Zusammenfassung der wichtigsten Thesen in seinem Werk "Science in war" wurde zur Grundlage des "operational research", welches in Großbritannien im Zweiten Weltkrieg zu großer Bedeutung kommen sollte. 

In einer ersten Phase stellte Zuckerman seine Untersuchungen mittels Tierversuchen an, indem er Paviane der Wirkung von Sprengladungen aussetzte. Dabei beschränkte sich sein Interesse keinesfalls auf rein anatomische Aspekte, sondern er untersuchte auch das soziale Verhalten derjenigen Tiere, welche die Explosionen überlebt hatten. Bald schon aber gab ihm die deutsche Bomberkampagne gegen Großbritannien Gelegenheit, die Auswirkungen von Bombenexplosionen auf Menschen direkt zu untersuchen. Zuckerman erarbeitete eine Systematik, nach welcher Bombenopfer zu untersuchen und die Erkenntnisse zu melden waren. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse bestätigten die Ergebnisse der Tierversuche: Es war primär die Druckwelle von Explosionen, welche schwere Verletzungen der inneren Organe zur Folge hatte, welche ihrerseits oftmals den Tod herbeiführten.

Zuckerman erweiterte erneut sein Forschungsgebiet, indem er dazu überging, die Auswirkungen der deutschen Bombenangriffe auf die Psyche der Bevölkerung, namentlich von Kindern und von Arbeitern in zwei der meistbetroffenen Städte Großbritanniens zu untersuchen: Hull und Birmingham. Zuckerman glaubte, dass präzises Wissen um die Wirkung von Bombenangriffen einer öffentlichen Panik entgegenwirken würden – und damit genau demjenigen Effekt, auf den Douhet und Mitchell bauten, wenn sie vom Krieg gegen den Willen der Bevölkerung sprachen (9).

In ihrem Bericht "Quantitative study of the total effects of air-raids", kurz auch Hull and Birmingham Survey genannt, der am 8. April 1942 publiziert wurde, konstatierten Bernal und Zuckerman, dass es weniger der Verlust von Familienmitgliedern und Freunden war, welche die Psyche der Menschen am schwersten belastete, sondern der Verlust ihrer Wohnungen und Häuser. Hingegen fanden sie keine Hinweise darauf, dass diese Bombenangriffe die Moral der Bewohner von Hull und Birmingham gebrochen hätten.

"There is no evidence of breakdown of morale for the intensities of the raids experienced by

Hull or Birmingham." (10)

Umso erstaunlicher mag es erscheinen, dass Lindemann, der über den Stand der Forschungsarbeiten Zuckermans und Bernals laufend unterrichtet wurde, am 30. März 1941, das heißt gerade einmal eine Woche vor dem Erscheinen des Hull and Birmingham Survey dem Kabinett das sogenannte Dehousing Paper unterbreitete, das in Bezug auf Deutschland genau das empfahl, was Görings Luftwaffe in Großbritannien nicht gelungen war: die Moral der Bevölkerung zu brechen. Und dieses Papier wiederum bildete die Grundlage für die Area Bombing Directive vom 14. Februar 1942 mit welcher das flächendeckende Bombardement von 58 Städten in Deutschland angeordnet wurde (11). Im Nachhinein sieht es so aus, als ob der, von der Wirksamkeit von Bombenangriffen absolut überzeugte Lindemann kurz vor dem Erscheinen des Hull and Birmingham Reports noch rasch Fakten schaffen wollte (12).

Bomben auf Deutschland

Der spätere Oberkommandierende des Bomber Command der RAF, Arthur Harris machte seine eigenen Erfahrungen mit dem Einsatz von Bomben im Irak, wo die Briten in den Zwanzigerjahren den Widerstand der lokalen Bevölkerung durch Terrorangriffe auf Städte und Dörfer brachen. Diese Vorgehensweise wiederholten sie später im Nahen Osten, wo Harris an der Niederschlagung lokaler Aufstände beteiligt war. Sein Urteil über die Völker der Region fasste er kurz zusammen:

"The only thing the Arab understands is the heavy hand" (13)

Dieser Auffassung blieb Harris auch treu, nachdem er am 22 Februar 1942 zum Oberkommandierenden des Bomber Command der RAF ernannt worden war. In der Person des Oberbefehlshabers der RAF, Air Vice Marshal Charles Portal, hatte Harris einen Vorgesetzten, der seine Auffassungen über den Einsatz von Bomben gegen die Zivilbevölkerung teilte. Charles Portal begleitete Premierminister Winston Churchill auf alle alliierten Konferenzen, namentlich auch auf die Konferenz von Casablanca, wo die alliierte Bomberoffensive gegen das nationalsozialistische Deutschland beschlossen wurde (14). Mit der sogenannten Area Bombing Directive ließ Portal dem Bomber Command freie Hand zum Bombardement deutscher Städte mit dem Ziel, die Moral der deutschen Bevölkerung und besonders der Industriearbeiter zu brechen.

"It has been decided that the primary objective of your operations should be focused on the morale of the enemy civil population and in particular the industrial workers" (15)

Tags darauf präzisierte er in einem Brief an Harris, dass es weniger um die Industriebetriebe gehe, als um die Wohngebiete in deren Umfeld. 

"I suppose it is clear that the aiming points are to be the built-up areas, not, for instance the dockyards or aircraft factories…This must be made quite clear if it is not already understood" (16)

Gemischte Bilanz des Bombenkriegs

Auch nach dem Krieg blieben Briten und Amerikaner ihrem Wusch nach gründlicher Aufklärung der Wirkung ihrer gemeinsamen Bomberoffensive treu. Der US Strategic Bombing Survey vom 30. Oktober 1945 (17) und der Bericht der British Bombing SurveyUnit von 1946 kamen zu einer gemischten Bilanz des strategischen Bomberkriegs. Während der Oil Plan des US-Generals Carl Spaatz zur Zerschlagung der Erdöl-Industrie, die systematischen Angriffe auf Produktionsbetriebe für Munition, Lastwagen und U-Boote tatsächlich einen strategischen Effekt erzielten, verfehlten die Angriffe auf Betriebe der Flugzeug-, der Panzer-, der Stahl- und der Kugellager-Produktion die erhoffte Wirkung. Insbesondere zeitigte aber das Morale-Bombing bzw. das Dehousing nicht die Wirkung, welche die Theoretiker der Zwischenkriegszeit als die wichtigste und unmittelbarste betrachtet hatten: Den Zusammenbruch der deutschen Kampfmoral und die daraus resultierende Beseitigung des Regimes Adolf Hitlers. Der Schlussbericht der British Bombing Survey Unit kam sogar zur Erkenntnis, dass die fehlgeleitete Betonung der Bedeutung der zivilen Moral den Krieg unnötig verlängert habe (18).

Die Idee, durch Bombenangriffe die Moral der Bevölkerung Deutschlands so nachhaltig zu treffen, dass diese ihre Regierung zu einer Kapitulation zwingen werde, widersprach der Forderung nach bedingungsloser Kapitulation, welche das Entstehen einer neuen Dolchstoßlegende zu verhindern suchte. Das Morale-Bombing des Arthur Harris hätte wohl genau die Entstehung einer neuen solchen Legende gefördert. Die Erwartung, dass es möglich sein werde, die deutsche Bevölkerung gegen das nationalsozialistische Regime zu mobilisieren, fußte wohl auch auf einer Unterschätzung des Repressionsapparats von Gestapo und SS im Dritten Reich.

Besorgter Ausblick in die Zukunft

In den letzten Jahren zeigten Luftstreitkräfte in lokalen Kriegen wiederholt die harte Hand des Westens: In Libyen unterstützten westliche Kampfflugzeuge den Aufstand verschiedener libyscher Stämme gegen Muammar al-Gaddafi. Das lief faktisch auf eine Regime-Change-Operation hinaus. Im Rahmen der Interventionen des Westens im Irak, in Afghanistan und andernorts wurden Luftstreitkräfte immer wieder zur Unterdrückung von Aufständen einheimischer Stämme (englisch Counterinsurgency) eingesetzt. In Syrien sind Kampfflugzeuge neben Sondereinsatzkräften derzeit fast das einzige Mittel, das der Westen noch einsetzen kann. Und es stellt sich die Frage, wie genau strategische Bomber des Typs B-52 vom Persischen Golf aus den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan unterstützen sollen (19). 

Wenngleich nach den furchtbaren Massakern, welche Bomberflotten im Zeiten Weltkrieg auf allen Kriegsschauplätzen anrichteten, das direkte Bombardieren der Bevölkerung völkerrechtlich geächtet wurde, fanden Airpower-Theoretiker der Nachkriegszeit neue Methoden, um auf die Bevölkerung einzuwirken. Der US-amerikanische Luftwaffenoberst Warden, dessen Theorie der "Fünf Ringe" zum Maßstab für die Planung der Luftoperationen im Irak 1991, der Luftangriffskampagne gegen Serbien 1999 und der Luftoperationen des Zweiten Irakkriegs 2003 wurden, nennt explizit die Bevölkerung als eine der Zielkategorien (20). 

Es ist zu befürchten, dass ein neuer Kalter Krieg in einem multipolaren Umfeld zu einer Unmenge an Stellvertreterkriegen führt, in welchen sich rasch wechselnde Koalitionen gegenseitig bekämpfen. Luftstreitkräfte werden das, am schnellsten über weite Distanzen zu verlegende Mittel der Kriegführung bleiben. Bomber und Jagdbomber können dank Luftbetankung über große Entfernungen eingesetzt werden und erzielen direkte Wirkung am Boden. Die geringe Verlusttoleranz westlicher Gesellschaften und die Abneigung gegen lang andauernde Kriege werden dazu führen, dass westliche Staaten bewaffnete Konflikte rasch mit überwältigender Feuerkraft zu beenden wünschen. Im Licht der Diskussionen im Zweiten Weltkrieg stellt sich dann die Frage, was westliche Luftstreitkräfte aufs Korn nehmen, wenn es keine Fabriken und Raffinerien zu zerstören gibt. Die allgegenwärtige Präsenz von Kameras und der weltweite Zugang zu elektronischen Medien verbieten zwar direkte Angriffe auf die Bevölkerung, aber die Toleranz westlicher Gesellschaften gegenüber "Kollateralschäden" ist erfahrungsgemäß hoch. Wer immer sich dem Willen westlicher Regierungen widersetzt, wird die harte Hand zu spüren bekommen.
 

Anmerkungen:

  1.   Der Verfasser ist selbst Absolvent der Militärakademie des Generalstabs der Streitkräfte der russischen Föderation. Die UdSSR entwickelte keine Doktrin des strategischen Luftkriegs und baute keine nennenswerte Bomberflotte auf. Noch heute sind die russischen Fernfliegerkräfte einerseits eher als Mittel der nuklearen Triade zur Abschreckung und andererseits als Mittel konzipiert, das einem Aggressor Fähigkeit und Motivation zur Fortsetzung eines Krieges nehmen soll, während parallel dazu am Boden und zur See der status quo ante wiederhergestellt wird. Die Luftwaffe der Roten Armee hatte in der Person von Alexander Iwanowitsch Pokryschkin zwar einen einsatzerfahrenen Entwickler von Taktiken in der Luftverteidigung, aber ansonsten fehlte es der, in Fragen der Landkriegführung durchaus innovativen Roten Armee an Theoretikern des strategischen Luftkrieges. Dies ist umso erstaunlicher, als dass die Luftwaffe bereits im Jahr 1932 eine eigenständige Teilstreitkraft der Roten Armee geworden war. Siehe: Die Luftwaffe der Sowjetunion, unter besonderer Berücksichtigung der geschichtlichen, materiellen und operativen Faktoren, in: Allgemeine schweizerische Militärzeitschrift, Nr. 127 (1961), Heft 9, S. 410-415, online verfügbar unter https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=asm-004:1961:127::995

  2.   Siehe Philip S. Meilinger: The Paths of Heaven: The Evolution of Airpower Theory: The School of Advanced Airpower Studies, New Dehli 2000, S. 3, online verfügbar unter https://books.google.ch/books?id=pb5KxjjN64gC&pg=PP1&redir_esc=y#v=onepage&q&f=false.  

  3.   Der Volltext des Trenchard Memorandum on The War Object of an Air Force, May 1928 findet sich bei Jeremy Thin: The Pre-History of Royal Air Force Area Bombing, 1917-1942, Christchurch (NZ) 2008, Appendix 6, S. 141–144, online verfügbar unter https://ir.canterbury.ac.nz/bitstream/handle/10092/1740/thesisfulltext.pdf;jsessionid=1B443A84BAC41BCBC2B93A18ED7CAFEB?sequence=1#page=141. Vgl. auch Malcolm Smith: A Matter of Faith, British Strategic Air Doctrine before 1939. In: Journal of Contemporary History. Jg. 15, Nr. 3 (Juli 1980), S. 423–442, online auszugsweise verfügbar unter https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/002200948001500303

  4.   Siehe Jeremy Thin: The Pre-History of Royal Air Force Area Bombing, 1a.a.O., S. 99ff.

  5.   Siehe William Saunders: The Fallibility of Judgement: Analyzing the influence of Technology in Failures of British Military Strategic Decision-Making, Advanced Command and Staff Course Number 18, Joint Services Command & Staff College, Shrivenham 2015, S. 23 online verfügbar unter https://www.raf.mod.uk/what-we-do/centre-for-air-and-space-power-studies/documents1/the-fallibility-of-judgement-analysing-the-influence-of-technology-in-failures-of-british-military-strategic-decision-making/.

  6.   Der Butts Report ist online einsehbar unter https://etherwave.files.wordpress.com/2014/01/butt-report-transcription-tna-pro-air-14-12182.pdf. Vgl. William Saunders: The Fallibility of Judgement, a.a.O., S. 26. Siehe auch Longmate, Norman: The Bombers: The RAF offensive against Germany 1939-1945, Michigan, 1983, S. 121-126, 133. 

  7.   Siehe Protokoll der Debatte im House of Commons, MINISTERIAL CHANGES, HC Deb 24 February 1942 vol 378 cc27-176, online verfügbar unter https://api.parliament.uk/historic-hansard/commons/1942/feb/24/ministerial-changes#column_128 , sowie generell https://www.nobelprize.org/prizes/medicine/1922/hill/biographical/. Zum Gegenbericht der RAF siehe Longmate, Bombers, S. 122. 

  8.   Siehe William Saunders: The Fallibility of Judgement, a.a.O., S. 26. Vgl. Terry Copp: The Bomber Command Offensive: Army, Part 11. In: Legion – Canada's Military History Magazine, 1. September 1996, online verfügbar unter https://legionmagazine.com/en/1996/09/the-bomber-command-offensive/. Vgl. auch Longmate, Bombers, a.a.O., S. 126.

  9.   Siehe Ian Burney: War on fear: Solly Zuckerman and civilian nerve in the Second World War, University of Manchester, 2012, online verfügbar unter https://journals.sagepub.com/doi/pdf/10.1177/0952695112470350; Martin L. Levitt: The psychology of children: Twisting the Hull-Birmingham survey to influence British aerial strategy in World War II, Philadelphia, o.J., online verfügbar unter https://psycharchives.org/bitstream/20.500.12034/165/1/203-829-1-PB.pdf; vgl. Children’s essays reveal the effects of Blitz bombing in Hull, online unter https://unboundueaarchives.wordpress.com/2017/12/02/childrens-essays-reveal-the-effects-of-blitz-bombing-in-hull/

  10.   Zu den wichtigsten Schlussfolgerungen des Berichts siehe Ian Burney: War on fear, a.a.O.

  11.   Zum Dehousing Paper siehe Alexander B. Downes: Targeting Civilians in War, London/Ithaca, o.J., online verfügbar unter https://books.google.de/books?id=TWEEW8SBvEAC&pg=42&q=dehousing#v=onepage&q=dehousing&f=false. Siehe auch Paul J. Goda: The Protection of Civilians from Bombardment by Aircraft: The Ineffectiveness of the International Law of War, Santa Clara University School of Law, Santa Clara, CA, 1966, S. 103, online verfügbar unter https://core.ac.uk/download/pdf/149264561.pdf, sowie https://amp.en.google-info.cn/10572094/1/dehousing.html; Zur Area Bombing Directive siehe Richard G. Davis: Bombing the European Axis Powers, a Historical Digest of the Combined Bomber Offensive 1939–1945, Maxwell Air Force Base, Alabama, April 2006, besonders S. 51f.

  12.   Vgl. William Saunders: The Fallibility of Judgement, a.a.O., S. 26. Er zitiert hierfür Patrick Blackett: " Never have I encountered such fanatical belief in the efficacy of bombing".

  13.   Siehe James S. Corum, Wray R. Johnson: Airpower in Small Wars, Fighting Insurgents and Terrorists (Modern War Studies), Kansas 2003, S. 65, online auszugsweise verfügbar unter https://books.google.ie/books?id=5ZHfAAAAMAAJ&dq=%22sooner+or+later+it+will+have+to+be+applied%22+harris&q=%22sooner+or+later+it+will+have+to+be+applied%22+#search_anchor

  14.   Siehe den Artikel von Denis Richards im Oxford Dictionary of National Biography, online unter  https://www.oxforddnb.com/view/10.1093/ref:odnb/9780198614128.001.0001/odnb-9780198614128-e-31561;jsessionid=78567A54F7166D15013EFF829EB25E75?docPos=1. In die Auffassungen Portals gibt der britische Historiker Frederick Taylor Einsicht, in einem Interview mit dem deutschen "Spiegel": The Logic Behind the Destruction of Dresden, in: Spiegel international, 13.02.2009, online verfügbar unter https://www.spiegel.de/international/germany/post-war-myths-the-logic-behind-the-destruction-of-dresden-a-607524.html

  15.   Zitiert nach Paul J. Goda: The Protection of Civilians from Bombardment by Aircraft, a.a.O., S. 103. 

  16.   Zitiert nach William Saunders: The Fallibility of Judgement, a.a.O., S. 28.

  17.   The Strategic Air War Against Germany, 1939-1945: Report of the British Bombing Survey Unit, London, Portland 1998, online verfügbar unter https://books.google.ch/books?id=qCeg7fyWGWIC&pg=RA1-PA6&redir_esc=y#v=onepage&q&f=false, Zusammenfassung unter https://cgsc.contentdm.oclc.org/digital/collection/p4013coll8/id/4323/. Der US Strategic Bombing Survey, ist online verfügbar unter https://www.airuniversity.af.edu/Portals/10/AUPress/Books/B_0020_SPANGRUD_STRATEGIC_BOMBING_SURVEYS.pdf

  18.   Siehe Ian Burney: War on fear, a.a.O., S. 68. 

  19.   Siehe https://defence-blog.com/news/u-s-air-force-sent-more-b-52h-bombers-to-support-withdraw-troops-from-afghanistan.html

  20.   Siehe John Warden: The Enemy as a system, in: Airpower Journal, Spring 1995, Vol IX, Nr. 1, S. 40-55, online verfügbar unter https://www.airuniversity.af.edu/Portals/10/ASPJ/journals/Volume-09_Issue-1-Se/1995_Vol9_No1.pdf

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