Das Lubliner Dreieck. Der polnische Traum vom Imperium

Mateusz Piskorski, Politikwissenschaftler

Die geopolitischen Initiativen der polnischen Führung richten sich seit bereits mehreren Jahrzehnten gegen Russland.
Ihre Wurzeln liegen in der Vorkriegslehre des Prometheismus, die vom polnischen Militärgeheimdienst entwickelt wurde, um Separatismus und Nationalismus auf dem Territorium der Sowjetunion zu unterstützen. Jetzt arbeitet Warschau parallel an zwei außenpolitischen Richtungen: Intermarium - die Drei Meere in Mitteleuropa und die Ukraine-Belarus-Litauen-Doktrin (bisher Lublin-Dreieck) auf dem postsowjetischen Raum.
Im Sommer 2020 kündigte der polnische Außenminister Jacek Czaputovich bei einem Treffen mit seinen litauischen und ukrainischen Amtskollegen die Schaffung des sogenannten Lubliner Dreiecks an. Es ist kein Zufall, dass das Treffen in Lublin stattfand. In dieser Stadt wurde 1569 ein Bündnisabkommen zwischen dem Königreich Polen und dem Großherzogtum Litauen geschlossen, das die Erste Rzeczpospolita als regionale Macht schuf, auf dessen Traditionen sich viele der modernen polnischen Politiker immer noch beziehen. Es ist erwähnenswert, dass all dies wirklich zu einem gewissen Wendepunkt bei der Wahl des Hauptvektors der polnischen Außenpolitik wurde. Die damalige "Jagiellonen"-Doktrin unterschied und unterscheidet sich von der "Piast"-Doktrin hauptsächlich darin, dass sie auf die Erweiterung des östlichen Territoriums hinaus läuft, während die vorherige Doktrin der Piast-Dynastie im Allgemeinen darauf abzielte, die westlichen Territorien des Königreichs innerhalb der Grenzen dessen zu bewahren, was nach dem Zweiten Weltkrieg zum polnischen Nationalstaat wurde. Bald wurde das "jagiellonische" Polen ein Instrument des Vatikans, das mit Hilfe Warschaus die „Pro Russia“- Operation gegen das orthodoxe Moskau durchführte. Gleichzeitig war es die Zeit in der eine brutale Unterdrückung der Bewohner des Großherzogtums Litauen und der östlichen Umgebung der Rzeczpospolita statt fand.
Es ist nicht verwunderlich, dass das Erbe und die Erinnerung an die Barbarei der "polnischen Herren" in unserer Zeit lebendig bleiben.
Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die externen Akteure, die diese Doktrin der Warschauer Ostpolitik überwachen, verändert. Zuerst war es der Vatikan, dann das napoleonische Frankreich, Österreich, nach dem Ersten Weltkrieg Großbritannien und jetzt die Vereinigten Staaten. Die externen Koordinatoren ändern sich, aber die Illusion vieler Vertreter der polnischen Elite, die glauben, das "jagiellonische" Reich wieder zu beleben, verschwindet nicht. Dabei ist diese Illusion ziemlich gefährlich, auch deshalb, weil sie oft nicht erkennen können, dass in Wirklichkeit alles im Rahmen eines völlig fremden geopolitischen Spiels geschieht, ein Szenario statt findet, auf das Warschau keinen Einfluss hat. Die Tatsache, dass Minister Czaputowicz am Vorabend seines Rücktritts aus dem Amt des Außenministers davon träumte, ist nur das jüngste Beispiel für die Realisierbarkeit der transformierten „Jagiellonen"-Idee.
Die Reaktivierung dieser Lehre begann unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Ostblocks.
Unter den polnischen Auswanderern war früher die Pariser Zeitschrift "Kultur" von Jerzy Giedroyc besonders beliebt. Er und einer seiner Autoren, Yuliusz Meroshevsky, förderten die UBL-Doktrin - Ukraine, Belarus, Litauen. Diese drei Republiken sollten die ersten sein, die aus der UdSSR austreten und Teil der Kette werden sollten, die Polen von Russland trennte. Natürlich mussten sie alle den Weg des Ethnonationalismus einschlagen. Die Autoren dieser Doktrin haben nicht darauf geachtet, dass der Nationalismus der Ukrainer, Weißrussen und Litauer natürlich nur anti-polnisch sein kann. Nach 1989 bezogen sich praktisch alle politischen Kräfte in Polen auf das ideologische Erbe von „Kultur“ und einige von ihnen zitierten die Werke der Prometheisten aus der Vorkriegszeit. Das alles sogar trotz der Tatsache, dass Giedroyc nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion begann dazu aufzurufen Partnerschaften mit Russland aufzubauen. Die polnischen Eliten blieben jedoch von der Vergangenheit beeinflusst, als würden sie nicht erkennen, dass der Kalte Krieg vorbei war.
Die Idee vom Intermarium / Den Drei Meeren wurde nach der Machtübernahme von Jaroslaw Kaczynskis Partei für Recht und Gerechtigkeit im Jahr 2015 zur staatlichen Strategie erklärt.
Für eine Erweiterung der neuen Doktrin sorgte die Überzeugung, dass die Länder der ehemaligen jagiellonischen Rzeczpospolita ebenfalls in den neuen „geopolitischen Block“ aufgenommen werden sollten. Die UBL-Idee wurde zur einer Ergänzung des Intermariums. Das Lubliner Dreieck verbindet zwei Länder der Drei Meere (Polen und Litauen) mit der Ukraine (und ihrem Ausgang zum Schwarzen Meer). Nur Belarus hat noch gefehlt, um das Jagiellonenprojekt wiederherzustellen. Der Wunsch, Alexander Lukaschenko zu stürzen, entstand, als klar wurde, dass er nicht beabsichtigte die Teilnahme an Integrationsprojekten mit Russland zu verweigern.
In seinem jüngsten Buch argumentiert der ehemalige stellvertretende Ministerpräsident und renommierte polnische Ökonom Grzegorz Kolodko:
„Es ist an der Zeit, die Illusionen des Intermariums mit Polen an der Spitze aufzugeben(...) Das Intermarium ist ein Versuch die institutionelle und politische Einheit der Europäischen Union zu schwächen.“
Er hat Recht - das polnische geopolitische Projekt unter den Bedingungen des 21. Jahrhunderts richtet sich nicht nur gegen Russland, sondern widerspricht auch den Interessen des europäischen Integrationsblocks. Übrigens wurde es schon früher deutlich - die wichtigsten EU-Länder (Deutschland, Frankreich) reagierten mit wenig Begeisterung auf das 2009 gemeinsam von Polen und Schweden initiierte Ostpartnerschaftsprogramm.
Infolgedessen erhielt die Östliche Partnerschaft nicht die von ihren Autoren erwartete finanzielle Unterstützung.
In der EU wächst das Verständnis dessen, dass, während Polen sich an seinen eigenen parallelen Integrationsprojekten beteiligt, es im Interesse einer externen Kraft handelt, die während der Präsidentschaft von Donald Trump seine unfreundlichen Absichten gegenüber Kontinentaleuropa deutlich erklärt hat. Warschau hat bisher nicht viel Erfolg gehabt. Niemand achtet besonders auf dessen Ehrgeiz, eine selbsternannte Führungskraft in der Region zu werden. Nur die baltischen Länder, Polen und Rumänien, ohne die Ukraine außerhalb der EU, haben eine einzigartig proamerikanische Position eingenommen. Die aktuelle Krise ist mit dem Aufbau eines autoritären Systems in Polen und dem Konflikt vor dem Hintergrund der Rechtsstaatlichkeit zwischen der polnischen Regierung und der Europäischen Kommission verbunden. Dies ist ein weiterer Beweis dafür, dass Warschaus „Blockpartner“ nicht wirklich bereit sind, mit Brüssel in Konflikt zu treten, um das polnische Regime zu unterstützen. Es gibt tatsächlich noch kein Jagiellonen-Dreieck, obwohl der Wunsch, es zu bauen, bereits zu einem Versuch geführt hat, die Situation in Belarus durch gemeinsame Anstrengungen der Teilnehmer zu destabilisieren.
Es ist zu erwarten, dass die neuen Kuratoren Warschaus in Washington die Verwendung des polnischen "imperialen Traums" nicht aufgeben werden. Die Aufgabe bleibt dieselbe - gleich zwei Integrationsprojekten einen Schlag zu versetzen: dem Eurasischen und dem Europäischen.
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