Das Berliner Kriegstheater / Geheimdienstchefs agieren wie Schauspieler und werfen Russland Griff nach der Weltherrschaft vor

Von Hans-Georg Münster

Geheimdienste arbeiten, wie der Name schon sagt, im Verborgenen. Treten die Chefs von Geheimdiensten öffentlich auf, ist Misstrauen angebracht. Ein solches Schauspiel ließ sich am 14. Oktober im Bundestag beobachten, als sich die Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) in einer öffentlichen Anhörung vom „Parlamentarischen Kontrollgremium“ des Bundestages befragen ließen. Das Gremium, das die Nachrichtendienste kontrollieren soll, tagt normalerweise geheim in einem abhörsicheren Raum.

Diesmal war alles anders. Per Live-Übertragung im Bundestags-Stream und vor laufenden Fernsehkameras berichteten BND-Präsident Bruno Kahl, Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang sowie die Präsidentin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst, Martina Rosenberg, von einer stetig wachsenden Bedrohung durch Russland. Der Kreml sehe Deutschland, auch wegen seiner Unterstützung für die Ukraine, als Gegner, sagte Kahl. Russlands strategische Ausrichtung sei gen Westen gerichtet und ziele auf eine neue Weltordnung ab. Die MAD-Präsidentin sprach von besorgniserregenden Ausspähversuchen gegen die Bundeswehr. Verfassungsschutzpräsident Haldenwang machte auf Einflussoperationen russischer Geheimdienste aufmerksam, mit denen russische Desinformation und Propaganda in Deutschland verbreitet werde.

Die Aufführung der drei Geheimdienst-Chefs wurde noch heftiger: „Die russischen Streitkräfte sind wahrscheinlich spätestens ab Ende dieses Jahrzehnts personell und materiell in der Lage, einen Angriff gegen die NATO durchzuführen“, lautete die Prognose von Kahl, der auch wissen will, dass der russische Präsident Putin vorher rote Linien des Westens austesten und die Konfrontation weiter eskalieren lassen würde. Dass der Westen seit vielen Jahren und seit 2022 immer stärker rote Linien überschreitet, indem die Ukraine in die Lage versetzt wird, Russland direkt anzugreifen, indem NATO-Truppen in der Arktis aufmarschieren und jetzt auch noch amerikanische Atomraketen in Deutschland stationiert werden sollen, scheinen die obersten Agenten auszublenden. Dabei gehört es zu den Grundsätzen der Spionage, auch das eigene Handeln zu hinterfragen, wenn man das Handeln der Auszuspähenden verstehen will.

Man fragt sich, woher die obersten Geheimdienstchefs ihr Wissen beziehen. Die Auslandsaufklärung des BND gilt als hundsmiserabel. Schon Bundeskanzler Helmut Schmidt (1918-2015) pflegte zu sagen, er lese lieber die Berichte der großen Zeitungen als die des Bundesnachrichtendienstes. Denn die Journalisten seien besser informiert als der Geheimdienst. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die deutsche Aufklärung war zum Beispiel nicht in der Lage, mit eigenen Mitteln auch nur einen geplanten islamistischen Anschlag in der Bundesrepublik zu enttarnen. Dass Islamisten enttarnt werden konnten, ehe ihre Bomben explodierten, verdankt man den, wie es in Berlin heißt, „befreundeten Diensten“ der Nachbarländer, Israels und der USA, die Hinweise gaben.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz, wie der Inlandsgeheimdienst in Deutschland heißt, hat sich darauf spezialisiert, die konservative parlamentarische Opposition AfD zu bespitzeln, was allen demokratischen Prinzipien unwürdig ist. Das Bespitzeln der Opposition pflegen die Nachrichtendienst-Kontrolleure von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP ständig der russischen Regierung und ihrem Geheimdienst vorzuwerfen. Aber so ist das: Wer mit einem Finger auf andere zeigt, zeigt mit vier Fingern auch auf sich.

Haldenwang als Chef des Inlandsgeheimdienstes verstieg sich tatsächlich zu der Behauptung, im deutschen Bundesland Thüringen hätten Vertreter einer dort „erwiesenermaßen rechtsextremistischen Landespartei“ bei der konstituierenden Sitzung des Landesparlaments die demokratischen Prozesse „ad absurdum“ geführt. Es habe des Eingreifens des Verfassungsgerichts bedurft, diese Dinge wieder einzubremsen. Gemeint von Haldenwang war die AfD. Dass das Landesverfassungsgericht in Thüringen fast ausschließlich mit Richtern aus den anderen Parteien besetzt ist und der Sohn eines Richters sogar Mitglied der klagenden CDU-Fraktion ist, erwähnte Haldenwang natürlich nicht. Wenn der Verfassungsschutz die Demokratie schützen will, dann hätte er in Thüringen das Verfassungsgericht zu überwachen und nicht die Opposition.

Der Auftritt der Geheimdienstchefs im Bundestag war eine Inszenierung, wie man sie sonst nur im Theater erlebt. Es war eine Aktion für die Fernsehsender, ohne jede Relevanz und ohne jeden Hintergrund. Der erste Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Reinhard Gehlen, in Kriegszeiten Leiter der Abteilung „Fremde Heere Ost“, der nach dem Krieg einen erfolgreich operierenden westdeutschen Geheimdienst aufbaute, würde sich im Grabe umdrehen, wenn er erleben würde, was sein Nachfolger Kahl heute in der Öffentlichkeit anrichtet. Kahl und Kollegen wirkten wie Hampelmänner, bei denen die Regierung an den Schnüren zieht.

Hinter den Kulissen wird allerdings schon an einem neuen Stück für den Wahlkampf gearbeitet. Das Stück heißt Waffenstillstand in der Ukraine, Verhandlungen mit Russland. Überall in Berlin ist zu hören, dass die Bundesregierung von ihrer nibelungenhaften Treue zur Ukraine und deren korrupten Regierung abrücken will. Eventuell gehen zudem die USA auf Distanz, auch wenn sie Kiew wieder ein Waffenpaket im Wert von 390 Millionen Dollar zusagten. Es fiel auf, dass der amerikanische Präsidenten Joe Biden seinen Besuch in Deutschland absagte, wo er den ukrainischen Präsidenten Selenskyi und andere Regierungschefs beim „Ramstein-Gipfel“ hätte treffen sollen. Biden müsse, so die offizielle Erklärung, die Hochwasserbekämpfung und Schadensbeseitigung nach dem Hurrikan „Milton“ koordinieren. Dabei sind die US-Bundesregierung und der Präsident nicht für den Katastrophenschutz zuständig. Selbst die US-Nationalgarde wird bei Katastrophenschutz-Einsätzen von den jeweiligen Bundesstaaten befehligt. Wollten die USA kein Gruppenfoto mit Biden, Selenskyi und anderen Regierungschefs in Ramstein?

Überraschenderweise machte sich Biden eine Woche danach auf den Weg nach Deutschland. Nichts mitbekommen von der anstehenden Zeitenwende hat CDU/CSU-Fraktionschef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz. Angespornt von den Berichten der Geheimdienstchefs forderte er im Bundestag die Ausrüstung der Ukraine mit weitreichenden Waffen wie dem Marschflugkörper „Taurus“, mit dem Selenskyi Angriffe auf Moskau befehlen könnte.

Man weiß nicht, wie die Präsidentschaftswahlen in den USA im November ausgehen werden. Aber wenn die Bellizisten in Washington den Sieg davontragen und 2025 Merz Kanzler in Berlin werden sollte, dürfte sich die Lage in Europa eher verschlechtern als verbessern. Auch wenn der Vorhang im Berliner Kriegstheater demnächst fallen wird, stabil ist die Lage in Europa noch lange nicht. 

Bilder: depositphotos, BND, BfV

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