Bundeswehr auf dem Weg ins Eis

Von Hans-Georg Münster

Offiziell beschwört die deutsche Regierung mit Blick auf die Arktis die Bedeutung von Diplomatie, Harmonie und friedlichem Zusammenleben. So heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag: „Die Bundesregierung setzt sich für den Erhalt der Arktis als konfliktarme Region ein.“ Gleichzeitig sei aber zu beobachten,  dass mehrere Staaten ihre Interessen in der Arktis zunehmend auch militärisch absichern würden. Damit wachse  das Potenzial für nichtkooperatives Verhalten in der Arktis, „das die ökonomische, ökologische und sicherheitspolitische Stabilität der Region gefährdet und damit auch deutsche Sicherheitsinteressen berührt“. Doch im Hintergrund wird deutlich: Auch die deutsche Regierung möchte im Konzert der Großmächte USA, Russland und China mitspielen und plant eine arktisgerechte Aufrüstung der Bundeswehr in größerem Umfang.
Schon seit längerem ist klar, dass die ruhige Zeit im nördlichsten Teil des Erdballs, als im „Arktischen Rat“ russische und amerikanische Offiziere freundschaftlich nebeneinander saßen, vorbei ist. „Die friedliche Arktis gerät unter Druck“, schrieb etwa die dänische Tageszeitung „Der Nordschleswiger“. Dänemark gehört wegen der von der Regierung in Kopenhagen verwalteten Insel Grönland zu den direkten Anrainerstaaten der Arktis. Angesichts des derzeitigen Temperaturanstiegs werden nicht nur für Grönland, sondern auch für den gesamten Arktisraum bessere wirtschaftliche Perspektiven erwartet. Ein Schmelzen von Eisflächen in größerem Umfang könnte zudem die Schifffahrtswege von Fernost nach Europa stark verkürzen. In greifbare Nähe scheint auch der Abbau von Bodenschätzen zum Beispiel auf Grönland und das Erschließen von Ölfeldern sowie von Fischgründen zu rücken.
In der dänischen Presse wird zuerst auf die russische Aufrüstung hingewiesen. Von einem Stützpunkt auf dem St.-Josef-Land aus könnten russische Bomberflugzeuge die „Thule Air Base“ der Amerikaner auf Grönland erreichen. Die Airbase sei ein zentraler Baustein des US-Frühwarnsystems für einen Atomkrieg, heißt es in der Zeitung „Der Nordschleswiger“.  Allerdings haben auch die USA in letzter Zeit militärische Anstrengungen unternommen, um ihre Präsenz in der Arktis zu verstärken. So wurde das Kommando der Zweiten Flotte wieder aufgestellt und soll sich vor allen auf die Arktis konzentrieren. Grönland wird von den USA inzwischen regelrecht umschmeichelt, nachdem Präsident Donald Trump mit seiner Ankündigung, den Dänen die Insel abkaufen zu wollen, viel Porzellan zerschlagen hatte. So eröffnete die Regierung in Washington nach 70-jähriger Unterbrechung wieder ein Konsulat in der grönländischen Hauptstadt Nuuk. Zwölf Millionen Dollar spendierten die USA für Bildungs- und Tourismusprojekte der Insel.
Ungeachtet dessen setzt die amerikanische Regierung auch verbal ihre Aufrüstung fort. US-Außenminister Mike Pompeo griff Russland bei einer Tagung des Arktischen Rates im Jahr 2019 wegen dessen „Hochrüstung in der Arktis“ und China für dessen „aggressives Auftreten“ in der Region scharf an. Der frühere US-Botschafter in Norwegen, Kenneth Braithwaite (heute US-Minister für Marine), erklärte, die Chinesen und Russen sein überall im hohen Norden, vor allem die Chinesen. Damit spielte er besonders auf die chinesischen wirtschaftlichen Interessen an. So versucht Peking, sich auf Grönland Abbaugebiete für seltene Erden zu sichern, um sein Monopol für einige dieser seltenen Erden zu erhalten.
Die deutsche Regierung setzt in offiziellen Verlautbarungen auch auf Verhandlungen und diplomatische Kontakte und will die „Einbindung der Arktisregion in ein System multilateraler Stabilität erreichen, um Konflikte durch vorbeugende Vertrauensbildung, Kooperation und Koordination bereits im Vorfeld zu vermeiden.“ Kritik an diesen wohlklingenden Worten kommt jedoch von der Bundeswehr-Universität in München. Dort gibt es ein Pilotprojekt Metis, das die diplomatischen Ansätze kritisch beurteilt: „Für den Fall des Scheiterns eines solchen Ansatzes fehlt es allerdings an Alternativplänen.“
Diese Alternativpläne werden in der Bundeswehr-Universität entwickelt. Metis empfiehlt ein Bündel von Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene, die die sicherheitspolitischen Implikationen des Klimawandels berücksichtigen und so zum Erhalt einer stabilen Sicherheitsordnung beitragen sollen. „Primäres Ziel dabei ist, nichtkonforme Akteure oder unilaterale Aktivitäten einzudämmen beziehungsweise abzuschrecken“.
Vorgeschlagen wird von der Bundeswehr-Universität auf nationaler Ebene der Aufbau einer „Arktischen Brigade“ der Bundeswehr sowie die Aufstellung von „maritimen Einsatzgruppen“ in enger Zusammenarbeit mit Dänemark und Norwegen. Auf europäischer Ebene sollen mehrere Eisbrecher beschafft werden, die in EU-Regie betrieben werden sollen. Aus den bestehenden EU-Battlegroups könnten zwei bis drei bestehende oder neu zu gründende Battlegroups für den Einsatz in der Arktis ausgerüstet werden, empfiehlt Metis. Auch auf der Kommandoebene sollen Erweiterungen vorgenommen werden. Metis propagiert die Aufstellung eines „European Arctic Command“ im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (GSVP) oder eines „NATO Arctic Command“, „um im Konfliktfall die europäischen und transatlantischen Interessen im Norden wahren zu können“.
Parallel dazu drängt die Bundeswehr auf eine bessere Ausstattung für Einsätze in Regionen mit besonderen klimatischen Bedingungen wie der Arktis. Gerät und Waffen der Bundeswehr müssten robuster werden, verlangt  Generalinspekteur Eberhard Zorn. Offenbar hat die Bundeswehr inzwischen ihre Erfahrungen beim westlichen Großmanöver „Trident Juncture“ (2018) ausgewertet. Dort waren hochmoderne elektronische Geräte nicht mehr einsatzbereit, da das meteorologische Phänomen der Nordlichter die Elektronik stark störte. Zorn verweist auf die Modernisierung der russischen Streitkräfte und verlangt, NATO und EU dürften die Arktis nicht aus dem Blick verlieren. „Durch das klimabedingte Abschmelzen der Polkappen ist die Nordroute befahrbar. Sowohl für die russische Marine als auch für die russische und asiatische Handelsschifffahrt“, so Zorn.
Mit Blick auf arktische Einsätze will die Bundesregierung im Sommer 2021 an einer multinationalen Rahmenvereinbarung über die Herstellung und Lieferung von „Überschneefahrzeugen“ der neuesten Generation teilnehmen. Außerdem plant die Bundeswehr, das Mehrzweckkampfschiff 180 (MKS) als Allrounder mit einer Eisklasse auszustatten, um polare Gewässer befahren zu können.
Zugleich werden die Manöver im hohen Norden auch nach dem Ende von „Trident Juncture“ fortgesetzt. Im Jahr 2020 sei die Teilnahme an mehreren Übungen internationaler Partner im Arktisraum in Kooperation mit Schweden Norwegen und Island geplant, heißt es in der Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Linksfraktion. Aus Deutschland sollen Einheiten der Luftlandebrigade 1, der Gebirgsjägerbrigade 23 eines Panzergrenadierbataillons und des Seebataillons kommen. Diese Einheiten sowie das Lufttransportgeschwader 62 beteiligten sich bereits im März 2020 an der norwegischen Übung „Cold Response 2020“. Auch 2019 hatte es eine Reihe von Übungen mit deutscher Beteiligung im hohen Norden gegeben: In einer Antwort auf eine Parlamentsanfrage nennt die Regierung eine Beteiligung der Bundeswehr an den Manövern „Arctic Challenge“ (Norwegen, Schweden, Finnland), „Dynamic Mongoose“ (Norwegen), „Joint Arctic Training“ (Norwegen) und „Nanook-Nunalivut“ (Kanada).
„Die Bundeswehr hat im arktischen Schnee nichts verloren, plädiert der europapolitische Sprecher der oppositionellen Linksfraktion im Bundestag, Andrej Hunko. Seine Warnungen dürften zu spät kommen.
Bilder @depositphoto , nato

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