Bürgerbriefe und Führungsqualitäten

Von Dr. Oliver Dornbardt
(Ironischer Gastkommentar)

Bürgerbriefe an Minister sind nichts Außergewöhnliches, ganz besonders nicht in der Schweiz, die ja viel von direkter Demokratie hält. Konsequenterweise kann es sich ein Schweizer Minister, Bundesrat genannt, wohl kaum leisten, einen Bürgerbrief unbeantwortet zu lassen. Die Qualität von Bürgerbriefen ist natürlich von der Regierung nicht zu beeinflussen. Was sie daraus aber macht, kann zum Gradmesser für die Qualität ihrer Regierungsarbeit werden.
Ein solcher Bürgerbrief erreichte kürzlich Verteidigungsministerin Viola Amherd
"Sehr geehrte Frau Amherd,
sehr geehrte Damen und Herren,
Erfreut habe ich vergangene Woche von Ihrer Initiative gelesen bei der Beschaffung von Zivilfahrzeugen für das VBS künftig auf nachhaltigen Elektroantrieb zu setzen. Obschon es im Verhältnis zum gesamten Fahrzeug- und Maschinenpark der Armee zu Zeit [sic!]  nur ein «Tropfen auf den heissen Stein» ist, ist es zumindest ein Zeichen, ein Anfang und ein Versprechen.
Nachdem ich heute von einem WK-Absolvierenden gehört habe, dass diese aktuell Motorfahrzeuge, im Auftrag und Wissen der Vorgesetzten, während Stunden und Tagen laufen lassen, «nur» um auf dem sowieso fragwürdigen Wachdienst nicht zu frieren, bin ich aber schon wieder etwas erstaunt und konsterniert.
Nachhaltigkeit und Klimaschonendes Handeln sollte in der Armee heute wo irgendwie möglich Alltag sein. Und dies nicht nur in einer Medienwirksamen [sic!]  Beschaffungskampagne wo es mit Steuergeld leicht fällt etwas Klimaschutz zu betreiben."

Zusammengefasst: In einer Übung in einer kalten Winternacht im Gebirge beschließt ein Gefreiter oder allenfalls Unteroffizier, ab und zu den Motor seines Geländefahrzeugs zu starten, weil die Fahrzeugbatterie den Betrieb des Funkgeräts und der Heizung des Fahrzeugs auf die Dauer nicht stützt. Und er unterlässt es, seinen Kompaniechef und die vorgesetzten Kommandeure bis hin zum Chef des Generalstabs über diesen Entschluss in Kenntnis zu setzen. Diesen wiederum entgeht die Tatsache, dass in einem Geländefahrzeug nachts über längere Zeit der Motor läuft. Damit muss sich nun die Ministerin auseinandersetzen.
Damit die Größenordnung des Problems klar wird: Der Verbrauch des Automotors in jener Nacht entspricht in seiner Größenordnung wohl einer Minute Flugbetrieb mit einem modernen Kampfflugzeug. Eine F/A-18 beispielsweise verbraucht in weniger als zwei Flugstunden 6´000 kg Flugpetrol. Wenn es der Leitung des schweizerischen Verteidigungsministeriums wirklich um Treibstoffverbrauch und CO2-Aussstoss ginge, müsste sie den Hebel bei Panzern und Flugzeugen ansetzen.
Gut unterrichtete Kreise berichten hingegen, dass etwas besseres Personalmanagement im schweizerischen Verteidigungsministerium manche Dienstreise und manchen Autokilometer überflüssig machen würde. Aber darüber schweigt Frau Minister wohl lieber; das ist wohl auch besser so.
Die mangelnde Relevanz des Themas hielt die Verteidigungsministerin aber nicht davon ab, eine Antwort zu verfassen, die einem Rückenschuss gegenüber der Armeespitze gleichkommt, welche wie ein Haufen von Schulbuben aussieht:
"Sehr geehrter Herr …
Besten Dank für Ihre Mail vom 6. Februar 2021. Ihr Hinweis erlaubt mir, umgehend ein eindeutiges und unverständliches Fehlverhalten unterbinden zu lassen.
Das Vorwärmen und das Heizen von stehenden Fahrzeugen mit dem Motor im Leerlauf ist einerseits ökologisch schädlich: Es steigert den Treibstoffverbrauch unnötigerweise stark. Andererseits schadet es den Motoren sehr. Und schliesslich ist es gemäss Artikel 33 der Verkehrsregelverordnung und Artikel 30 der Strassenverkehrsverordnung bei Strafe eindeutig verboten (Busse von Fr. 60.-).
Ich habe die Armeeführung angewiesen, dieses unsinnige Fehlverhalten in der ganzen Armee unverzüglich zu unterbinden. Ich verlange von den erwachsenen Schweizer Bürgern, gerade auch wenn sie in der Armee Dienst leisten, jederzeit ein verantwortungsvolles Verhalten. Und ich verlange, dass Nachhaltigkeit und klimaschonendes Handeln in der Armee nicht Schlagworte und Lippenbekenntnis bleiben, sondern konsequent gelebt werden.
Ich danke Ihnen nochmals für Ihren wertvollen Hinweis!
Freundliche Grüsse

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Viola Amherd"
Als ob der Chef des Generalstabs und die Befehlshaber der Teilstreitkräfte einen Einfluss darauf hätten, ob ein einsamer Fernmeldepionier nachts im Gebirge einen Motor anwirft. Frau Minister glaubt wohl, sie beweise dadurch Führungsstärke. Das Gegenteil ist der Fall.
Derartiges Verhalten ist dem erfahrenen Ausbilder und Kommandeur durchaus nicht unvertraut, denn es ist ein klassischer Anfängerfehler junger Chefs, unbeabsichtigt ihren Unterchefs in den Rücken zu fallen, wenn Kritik an sie herangetragen wird. Einem jungen Fähnrich oder Unterleutnant würden wir solch einen Anfängerfehler verzeihen. Es ist jedoch überraschend zu erfahren, dass an der Spitze der Schweizer Armee offenbar nicht einmal die Führungserfahrung eines Zugführers vorhanden ist. Aber in einer Armee ohne militärische Bedrohung spielt das wohl auch keine Rolle. 

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