Besuch in Moskau: es gilt das gebrochene Wort

Willy Wimmer, Staatssekretär a.D.

Es hat einige Zeit gedauert, bis aus den Gerüchten über eine mögliche Moskau-Reise der deutschen Bundeskanzlerin so etwas wie die Gewissheit wurde, am 20. August 2021 tatsächlich nach Moskau zu fliegen. Nachdem die deutsche Bundeskanzlerin sich einer neuen Russland-Politik des vorherigen US-Präsidenten Trump mit für Deutschland und Westeuropa irreparablen Folgen verweigert hatte, muß sich jeder in Deutschland, dem Land der länger schon hier Lebenden, fragen, welche zukunftsweisende Perspektive von diesem Besuch ausgehen könnte? In Anbetracht der Vorgaben aus Washington dürfte eine Verschärfung der Konfrontation wahrscheinlicher sein als alles andere und das richtet sich direkt gegen die nationalen Interessen des deutschen Volkes.
In Moskau muß man ohnehin mehr als ins Grübeln kommen, wenn man sich Berlin so betrachtet. An kaum einem Umstand wird das so sichtbar wie an der deutschen Unterstützung der Ukraine mit ihren nationalsozialistischen Umtrieben und Kampfformationen, die sich mit Billigung ihres Präsidenten auf diesen Ungeist zurückführen. Für Moskau wird damit der Bogen geschlagen, zu dem Verhängnis, das gut einhundert Jahre zuvor seinen Anfang genommen hatte. Heute entsteht der begründete Eindruck, daß der gesamte Westen unter Einschluss Deutschlands die Politik fortzusetzen bereit ist, die auf deutscher Seite mit dem Namen von Herrn Hitler verbunden ist und den Völkern der damaligen Sowjetunion einer unfassbaren Blutzoll auferlegt hatte. Das ist nicht die ganze Wahrheit, denn einige Jahre zuvor und in Verbindung mit dem russischen Bürgerkrieg hatte „der Westen“ mit der Invasion Russlands und dem Krieg auf russischem Staatsgebiet an mehren Fronten deutlich gemacht, die Nachfolge Napoleons und das vor Herrn Hitler antreten zu wollen.
Das deutsche Verhängnis begann 1922 mit der Ermordung des auf Zusammenarbeit mit der jungen Sowjetunion ausgerichteten Reichsaußenministers Walter Rathenau und der Förderung und konzeptionellen Unterstützung von Herrn Hitler durch den amerikanischen Militärattaché in Berlin, auf eine ebenso antisemitische wie antibolschewistische Politik angelegt. Die sowjetisch/deutsche militärische Kooperation wurde zur Freude der Initiatoren dieser Politik unter dem neuen Reichskanzler Hitler 1933 umgehend eingestellt. Es hatte sich gelohnt, was 1922 durch den amerikanischen Offizier aus Berlin in München eingefädelt worden war.

Es sollte für Moskau nicht alleine die Erinnerung an diese Entwicklung sein. Wie kein zweiter Staatschef in dieser Welt hat der russische Präsident Putin sich mit seinem Namen einer geschichtlichen Betrachtung der europäischen Lage seit gut einhundert Jahren gestellt. Seit fast zwei Jahren hat er für sein Land und ganz Europa die historischen Fehlentwicklungen, die auch zum Zweiten Weltkrieg geführt haben, mit Namen genannt. Diese Einlassungen sind in hohem Maße konsenzfördernd und bieten denjenigen in Europa, die an einer gedeihlichen Zukunft interessiert sind, ausreichende historische Handreichungen, um mit den heutigen politischen Herausforderungen fertig werden zu können. So ganz anders als andere, die nach dem Warschauer Modell ihre Sicht der Dinge festzurren wollen, ohne alles zu bedenken, was Ursache für Elend war und vielfach auch noch ist. Es war gerade der Hinweis von Präsident Putin auf die verhängnisvolle Bedeutung von "Versailles", der Aufschluss gegeben hat für die extrem gefährliche Zielrichtung der westlichen Politik gegenüber dem heutigen Russland. In dem Maße, wie das kaiserliche Deutschland auf die 14 Punkte des amerikanischen Präsidenten Wilson vertraute und letztlich im Ersten Weltkrieg gegenüber der Entente die Waffen streckte. um sich "Versailles" und eine fortdauernde britische Blockade einhandeln zu müssen, vertraute Moskau auf die westliche Zusicherung im NATO-Gipfel im Sommer 1990 und damit vor der deutschen Wiedervereinigung, die NATO aus einem Militärbündnis zu einer regionalen Sicherheitsorganisation nach der Charta der Vereinten Nationen zu transformieren und keine NATO-Ausdehnung über die Oder hinaus anstreben zu wollen, um letztlich den Putsch in der Ukraine und die Ausdehnung der NATO an die russische Westgrenze erleben zu müssen. Der "Westen" wird seit den 14 Punkten Wilsons seinem Mott gerecht: es gilt das gebrochene Wort.

Der jetzige Besuch der deutschen Bundeskanzlerin in Moskau richtet die Aufmerksamkeit des wiedervereinigten Deutschlands im Sinne seiner noch vorhandenen nationalen Interessen auf diese Fehlentwicklungen. Aber auch auf eine deutsche Bundeskanzlerin, die im Bundestagswahlkampf nichts unternimmt, um den CDU/CSU Kanzlerkandidaten Laschet mit seiner konstruktiven Haltung in Zusammenhang mit deutscher Politik gegenüber Moskau zu unterstützen. Dem AfD-Spitzenkandidaten Chrupalla werden massiv Steine durch die Bundesregierung in den Weg gelegt, wenn er eine Stimme der Vernunft aus Deutschland in Moskau zu Gehör bringen will. Bei dem Besuch der deutschen Bundeskanzlerin kann man nur hoffen, daß durch den Besuch der bereits im Verhältnis unseres Landes zu Russland angerichtete Schaden nicht noch vergrößert wird.

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