Berlin in Nibelungentreue zu Kiew / Die neue grüne Liebe zu Amerika / US-Einrichtungen finanzieren das grüne Umfeld / Korruptionsgeflecht in der Berliner Regierung

Von Hans-Georg Münster

Sie ist wieder da, die Nibelungentreue. Sie stammt aus alten deutschen Sagen, und der Begriff bekam in der Politik eine besondere Bedeutung, als Reichskanzler Bernhard von Bülow 1909 das Verhältnis des deutschen Kaiserreiches zur österreich-ungarischen Doppelmonarchie als Nibelungentreue beschrieb. Neben anderen Dingen war diese Nibelungentreue in einer Zeit zunehmender Isolierung Deutschlands in Europa der Grund für den apokalyptischen Ritt in die Katastrophe des Ersten Weltkriegs. Schaut man in diesen Tagen auf Berlin, kommt wieder das Gefühl auf, dass aus der verhängnisvollen deutschen Geschichte nichts gelernt wurde. Diesmal gilt die deutsche Nibelungentreue der Ukraine: Es dürfe keine Zweifel daran geben, dass Deutschland „fest an der Seite der Ukraine“ stehe, versicherte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei einem Besuch in Kiew, wo er Ausfuhrgenehmigungen für Leopard 1-Panzer und für weiteres Kriegsgerät zur Ausstattung von mindestens drei Bataillonen ankündigte. „Wir sind im Plan“, lobte Pistorius. 

Auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) betonte bei einem Besuch in Paris, Frankreich und Deutschland stünden eng an der Seite der Ukraine. Die Ukraine gehöre „zur europäischen Familie“, so der Kanzler. Er ignorierte offenbar, dass der französische Präsident Emmanuel Macron in Peking bei der chinesischen Regierung differenziertere Töne von sich gab, als dort die Rede auf Kiew kam. Der gallische Hahn ist traditionell sehr wendefähig, lauten Lehren aus der Geschichte, die die Bundesregierung offenbar vergessen hat.

Die Nibelungentreue zur Regierung in Kiew wird in Berlin von einem wahren Trommelfeuer von Journalisten begleitet, die jeden Aufruf gegen Waffenlieferungen entweder als ein Werk von Parteigängern Putins oder von faschistischen Kräften niederschreiben. So wurden ein von Hunderttausenden unterzeichneter Aufruf der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer sowie ähnliche Aufrufe von Wissenschaftlern und Künstlern erst als dummes Geschwätz abgekanzelt und gerieten dann schnell in Vergessenheit. Inzwischen stellte ein Kolumnist des Nachrichtenmagazins Spiegel, Thomas Fischer, in einem Aufsatz die Frage: „Gibt es irgendeinen vor dem Wahrheitsgebot bestehenden Grund, dass über den Konflikt der Ukraine mit Russland ausschließlich Ukrainer und amtlich beglaubigte Russenhasser berichten sollten, um die Wahrheit zu enthüllen?“

Statt sachlicher Antworten gab es auf die Frage des Kolumnisten nur wutentbrannte Kommentare einiger Journalisten, was die alte Volksweisheit bestätigt, dass getretene Hunde bellen. Tatsächlich hätten objektiv berichtende frühere deutsche Journalisten wie Peter Scholl-Latour oder Gabriele Krone-Schmalz (frühere ARD-Korrespondentin in Moskau) ein wesentlich differenzierteres Bild des Konflikts gezeichnet, während in den heutigen täglichen Propagandaergüssen in den deutschen Nachrichten einzelne Sabotageanschläge auf russischem Territorium bereits als die „Gegenoffensive der Ukraine tief in Russland" dargestellt werden. Das ist etwa so, als wenn der Angriff halb verhungerter deutscher Wehrmachtssoldaten im März 1945 von der noch besetzen britischen Kanalinsel Jersey aus auf die französische Hafenstadt Granville als Beginn eines neuen deutschen Frankreichfeldzuges dargestellt worden wäre. 

Die übergroße Mehrheit der deutschen Journalisten ist dem grünen Milieu zuzurechnen, das jedoch eine drastische Veränderung erfahren hat. Stammten die Gründungsväter der Grünen noch aus der amerikafeindlichen Anti-Vietnamkriegs- und Anti-NATO-Bewegung, so hat sich der Wind mit Beginn der Amtszeit des demokratischen US-Präsidenten Joe Biden um 180 Grad gedreht. Die Grünen sind heute eine amerikahörige Partei, deren Führung mit ihrem Einfluss auf Medien und über in zahlreichen politischen Vorfeldorganisationen und NGOs (Nichtregierungsorganistionen) verankerte Gesinnungsgenossen die öffentliche Meinung in Deutschland komplett beherrschen. Hätte der Grünen-Politiker Jürgen Trittin, der durchaus der nächste Bundespräsident werden könnte, während der Amtszeit des republikanischen Präsidenten Donald Trump gesagt, die bilateralen Beziehungen Deutschlands zu den USA befänden sich in einer „Honeymoon-Phase“, seine grünen Parteifreunde hätten ihn für verrückt erklärt. Ende des letzten Jahres konnte Trittin via Pressedienst des Deutschen Bundestages sogar verbreiten, die USA seien das Land, dem Deutschland so viel verdanke: wirtschaftlich, sicherheitspolitisch und seine freiheitlich-demokratische Staatsform. Und wenn Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) die Hauptstädte der Welt bereist und anderen Regierungen wie zuletzt der in China erklärt, wie Menschenrechte einzuhalten sind, dann entsteht der Eindruck, es mit einer Kinderpuppe zu tun zu haben, die die einstudierten Phrasen des State Departments in Washington in schlechtem Englisch wiederholt. 

Die Leistungen der USA sind unbestritten. Sie hatten im Kalten Krieg aber auch den strategischen Zweck, die Bundesrepublik nicht in die (lange von der SPD geforderte) Neutralität abgleiten zu lassen. Was Trittin bewusst ausblendet und Baerbock vermutlich nicht einmal weiß, ist eine andere historische Wahrheit. Der Schlüssel zur Lösung der deutschen Frage lag in Moskau, und Helmut Kohl konnte ihn 1989/90 aus dem Kreml abholen und die staatliche Einheit Deutschlands wiederherstellen. Dankbarkeit ist zwar keine politische Kategorie, aber deshalb müssen nicht gleich alle Tischtücher durchschnitten und Gesprächskontakte abgebrochen werden. Der die Beziehungen zu den USA pflegenden deutsch-amerikanischen Parlamentariergruppe gehören neben Trittin über 100 Bundestagsabgeordnete an; eine deutsch-russische Parlamentariergruppe existiert nicht einmal. Dabei sind Gespräche immer der erste Schritt hin zu einem Ende von Kampfhandlungen. Waffenlieferungen verlängern sie. 

Aber wie war es möglich, dass ein Land wie Deutschland sich außenpolitisch auf einen intellektuellen Schmalspurkurs begibt und seine wichtigsten Interessen, wie eine sichere Energieversorgung zu bezahlbaren Preisen, vergisst? Die Antwort auf diese Frage findet sich in Amerika. Große amerikanische Stiftungen wie die „Open Society Foundation“ des Milliardärs George Soros haben ihre Strategie in den letzten Jahren geändert und gehen jetzt aggressiver vor. Das Schlüsselwort heißt „Impact Investing“, was bedeutet, dass zum Beispiel Klimaschutzinitiativen wie in Berlin die „Agora Energiewende“ oder Greenpeace mit Millionenbeträgen unterstützt werden. Deutsche Organisationen, die sich für die Aufnahme von noch mehr Flüchtlingen, für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine sowie für Energieunabhängigkeit von Russland (was einer Importförderung von LNG-Erdgas aus USA gleichkommt) aussprechen, werden mit Millionenbeträgen unterstützt. Viele dieser Stiftungen und Institute meiden die Öffentlichkeit und ankern direkt bei den Zielorganisationen in den Bestimmungsländern an. Zu den wenigen bekannten Einrichtungen gehört das Aspen-Institut in Deutschland, eine Denkfabrik aus den USA, die das Ziel hat, „die transatlantische Gemeinschaft und das Ideal einer freien und offenen Gesellschaft“ zu fördern. Große Teile der deutschen politischen und wirtschaftlichen Elite sind in der „Atlantik-Brücke“ organisiert. Dort sorgt der frühere Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) dafür, dass das Image von Uncle Sam gepflegt wird. 

Wie weit das pro-amerikanische Spinnennetz in Berlin reicht und wie engmaschig es ist, wurde in den letzten Tagen in einem der Außenpolitik benachbarten Politikbereich deutlich. Im Wirtschaftsministerium von Minister Robert Habeck (Grüne) wurde ein Korruptionsnetzwerk mit Günstlingswirtschaft zwischen Verwandten aufgedeckt, das alles hat, was deutsche Medien sonst bei Putin und seinen Freunden in Moskau vermuten würden, aber nicht bei den Grünen in Berlin. Gäbe es solche Korruptionsfälle in Ungarn oder Polen, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wäre schon persönlich eingeschritten. Aber wenn es um Deutschland geht, ist die EU blind, und die Berliner Justiz will die „grüne Korruption“ (so der bayerische Ministerpräsident Markus Söder) bisher nicht sehen. So sollte ein guter Freund und Trauzeuge von Habecks Staatssekretär Patrick Graichen (Grüne) einen hochbezahlten Posten in einer staatsgeförderten Energiewendeeinrichtung bekommen. Verwandte dieses Staatssekretärs sind bei „Agora Energiewende“ oder anderen den Grünen nahestehenden Stiftungen und Organisationen tätig, die Aufträge von der Regierung erhalten. Die Stiftungen und Organisationen sind wiederum die Personalreserve für die laufende grüne Unterwanderung der Ministerien. Und hier schließt sich der Kreis: Der von US-Konzernen wie HP finanzierte „Climate Emergency Fund“ des Amerikaners Hal Harley hat in Berlin mindestens 12,5 Millionen Euro für Agora Energiewende und andere den Grünen nahestehende Organisationen zur Verfügung gestellt. Harley und Graichen sind bestens miteinander bekannt. Was hier zu erleben ist, ist das geschilderte „Impact Investing“. Die Zielsetzung von Harleys „Climate Emergency Fund“, die Dekarbonisierung, deckt sich mit einem wichtigen Ziel der US-Politik, womit wieder die Außenpolitik ins Spiel kommt. 

Dekarbonisierung heißt letztlich nichts anderes, als auf die Lieferung von Kohle, Öl und Gas aus Russland zu verzichten. Der grüne Minister Habeck ist dabei, in Deutschland zur Verwirklichung dieses Ziels eine Pflicht zum Einbau von Wärmepumpen durchzusetzen, Gas- und Ölheizungen will er verbieten. Ausgerechnet jetzt kauft der amerikanische Konzern „Carrier Global“ die Wärmepumpensparte des bedeutenden deutschen Herstellers Viessmann. Der Aktienkurs des US-Unternehmens hat sich in den letzten zwei Jahren mehr als verdoppelt, was die Vermutung nährt, dass schon länger an der Wärmepumpen-Pflicht geplant wurde und Think Tanks an der amerikanischen Ostküste und in Berlin gemeinsame Sache machen. Während die deutsche Regierung den von China beabsichtigten Kauf eines Terminals im Hamburger Hafen weiter verzögert, ließ Kanzler Olaf Scholz den Ausverkauf deutscher Heizungstechnik an „Carrier Global“ sogar noch als „gute Nachricht“ bezeichnen. Ausdruck der amerikahörigen deutschen Politik ist auch, dass vor allem US-Anbieter LNG-Gas über die schnell errichteten Terminals an Nord- und Ostsee liefern und sich eine goldene Nase zu Lasten des deutschen Steuerzahlers verdienen.

Geleakte Dokumente aus Computern des Pentagons, die ein schlechtes Bild auf die Zustände in der ukrainischen Regierung und auch in der ukrainischen Armee werfen, haben in der internationalen Publizistik, nicht aber in deutschen Medien, für große Aufregung gesorgt. Der amerikanische Publizist Stephan M. Walt schrieb nach Sichtung der Dokumente, es sei unwahrscheinlich, dass die schlecht ausgerüsteten und schlecht trainierten ukrainischen Streitkräfte, die sich jetzt für eine Frühjahrsoffensive rüsten würden, weitreichende Erfolge gegen die russische Verteidigung erzielen würden: „Was die Ukraine braucht, ist Frieden und keinen langwierigen Zermürbungskrieg gegen einen bevölkerungsreicheren Gegner.“
Diese und andere Warnungen wurden und werden in Berlin in den Wind geschlagen. So ist das mit der Nibelungentreue. 1919 endete sie für Deutschland in Versailles und für Österreich-Ungarn mit dem Untergang. Und jetzt?

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