Aus der Niederlage einen Sieg machen: Deutschland feiert den Afghanistan-Einsatz

Von Hans-Georg Münster

In Ägypten gibt es ein Militärmuseum zum Jom-Kippur-Krieg aus dem Jahr 1973. Damals überquerten ägyptische Truppen in einem Überraschungsangriff den Suezkanal und drangen etliche Kilometer tief in die damals von Israel besetzte Sinai-Halbinsel ein. Das Museum zeigt Waffen, Uniformen, Fotos und Landkarten von den ägyptischen Truppenbewegungen in Richtung Sinai. Nur den israelischen Gegenangriff wenige Tage später, der die Angreifer weit hinter die eigenen Linien zurückwarf und mit einer desaströsen Niederlage der Ägypter endete, zeigt das Museum nicht. Die Niederlage wird ausgeblendet.

An die ägyptische Märchenerzählung im Museum fühlt sich erinnert, wer in Berlin die Diskussion über das Ende des Einsatzes der Bundeswehr und weitere NATO Truppen in Afghanistan verfolgt. Nach dem 20 Jahre dauernden Einsatz waren die letzten deutschen Soldaten aus Afghanistan in diesen Tagen nach Deutschland zurückgekehrt. Im Ergebnis war der Einsatz sinnlos. Weder konnten die westlichen Truppen Afghanistan befrieden oder zum Aufbau einer parlamentarischen Demokratie beitragen noch den internationalen islamischen Terrorismus wirkungsvoll bekämpfen.

Dennoch scheint man in Berlin eher an eine Siegesfeier als an die eigentlich notwendige Debatte über den Sinn oder besser den Unsinn von Einsätzen der unzureichend ausgerüsteten Bundeswehr im fernen Ausland zu denken. So fordert die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, allen Ernstes die Abhaltung eines „Großen Zapfenstreichs“ vor dem Reichstagsgebäude. Ein Großer Zapfenstreich mit Truppenaufmarsch, Trommelwirbeln und Marschmusik, der sonst aus Anlass des Abschieds von Verteidigungsministern oder hohen Generälen stattfindet, würde in diesem Zusammenhang wie eine Siegesfeier wirken.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt will einen Festakt für die deutschen Afghanistan-Kämpfer im Bundestag ausrichten lassen. „Mit den letzten deutschen Soldatinnen und Soldaten ist einer der herausforderndsten Auslandseinsätze in der Geschichte der Bundeswehr zu Ende gegangen. Die Truppe hat Dank, Anerkennung und Wertschätzung der Gesellschaft verdient“, sagte Dobrindt, der allerdings kein Wort darüber verlor, dass es Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) nicht für nötig gehalten hatte, die letzten Afghanistan-Heimkehrer am Flughafen zu empfangen und ihnen damit Dank und Anerkennung zuteil werden zu lassen. Statt dessen wird jetzt an große Feiern gedacht, die letztlich nur der Selbstinszenierung der politischen Klasse dienen würden.

Allerdings ist auch von den deutschen Politikern niemand so einfältig, den Afghanistan-Einsatz als erfolgreich beendete Mission zu bezeichnen. Die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) meint zwar, möglicherweise sei das Ziel reicht worden, das der internationale islamistische Terrorismus nicht mehr von Afghanistan ausgehe. Allerdings sagt sie auch: „Wenn wir das Ziel formulieren, wir wollten Demokratie und Rechtsstaat nach Afghanistan bringen und allen Menschen nach unserer Vorstellung von Freiheit und Frieden eine Perspektive bieten, dann ist dieses Ziel sicher nicht erreicht worden.“ Auch Kramp-Karrenbauer bezeichnet es immerhin als „Fehler, dass wir den Eindruck vermittelt haben, wir könnten im Rahmen des Nation-Building aus Afghanistan schnell einen Staat nach europäischem Vorbild machen“.
In den 20 Jahren des Einsatzes sind 59 Soldaten der Bundeswehr ums Leben gekommen, davon 35 durch Feindeinwirkung. Die zugegebenen Kosten des Einsatzes belaufen sich auf 12,156 Milliarden Euro.

Immerhin sind die Verluste dieses sinnlosen Abenteuers nicht so hoch wie die Verluste früherer Besatzungstruppen wie zum Beispiel der Roten Armee der UdSSR beziehungsweise von britischen Truppen im 19. Jahrhundert. Diese Erfahrungen hätten auch Berlin eine Lehre sein und von vornherein zum Verzicht auf die Mission in Afghanistan führen müssen, da dieses Land militärisch nicht zu bezwingen ist. Stattdessen verstieg sich der inzwischen verstorbene damalige Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) zu der Behauptung, Deutschland werde auch am Hindukusch verteidigt. Die Niederlage der NATO-Truppen beweist, dass Strucks These falsch war.

In einer von historischen Erfahrungen entwurzelten Zeit wurden von nur noch oberflächlich denkenden und agierenden Politikern die Lehren der Vergangenheit vergessen. Längst vergessen ist auch eine Ballade des deutschen Dichters Theodor Fontane, der angesichts der Niederlage der britischen Kolonialarmee von 1842 das „Trauerspiel von Afghanistan“ dichtete:

„Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
Vernichtet ist das ganze Heer,
mit 13.000 der Zug begann,
einer kam heim aus Afghanistan.“

Bilder: Depositphotos u.a scan

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