Auf dem Weg in einen eiskalten Krieg im hohen Norden

Von DR.OLIVER DORNBARDT

Als um die Jahrtausendwende das Ausmaß der Erderwärmung ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit rückte, begannen die Spekulationen über deren Konsequenzen. Einigkeit herrschte darin, dass Auswirkungen auf die Natur der Arktis-Region ganz besonders gravierend sein könnten. In wirtschaftlicher Hinsicht hingegen sprachen Kommentatoren bis vor wenigen Jahren von einem "arktischen Goldrausch", der in Zeiten wachsender Nachfrage an Rohstoffen zu Verteilkämpfen und zu einem Run auf die Rohstoff-Vorkommen im hohen Norden führen könnte. Andere spekulierten über einen arktischen Zweig der neuen Seidenstraße von Ostasien nach Europa. Die prognostizierten Verteilkämpfe um die Ressourcen in der Arktis traten nicht ein und der "eiskalte Krieg" blieb bisher aus. Aber die Militarisierung der Region schreitet voran. Die Errichtung neuer Militärbasen im Norden Norwegens und eine verstärkte militärische Übungstätigkeit sind Teil dieses Trends.
Die Arktis hat für ihre Anrainer eine nicht zu unterschätzende Bedeutung: Im Fall Russlands steht die wirtschaftliche Bedeutung im Vordergrund, denn das Land erwirtschaftet einen signifikanten Anteil seines Bruttoinlandprodukts im kaum bewohnten hohen Norden. Kanada war die Arktis für sein Selbstverständnis wichtig genug, um schon im Jahr 1909 als erstes Land Ansprüche auf arktisches Territorium zu erheben. Und Norwegens Hoheitsgebiet im Arktischen Ozean ist sechs Mal grösser, als seine Landfläche (2). Inzwischen meldeten auch nicht-Anrainer wie Schweden, Finnland, China, Japan, Südkorea und sogar Singapur ihr Interesse an der Ausbeutung der Reichtümer der Arktis an (1).
Klimawandel und Rohstoffe in der Arktis 
Nach der Jahrtausendwende kam ein "arktischer Hype" auf: Es kursierten Spekulationen, der Klimawandel, kombiniert mit der wachsenden globalen Nachfrage nach Erdöl und Erdgas könne zu einem Run auf die Ressourcen der Arktis und in der Folge zu Ressourcenkämpfen in der Region führen – mit den zu erwartenden militärischen Spannungen. In der Tat können die globale Erwärmung und das daraus resultierende Abschmelzen von großen Mengen an Eis in der Arktis dazu führen, dass bedeutende Lagerstätten wichtiger Rohstoffe überhaupt erst zugänglich werden (3). Dazu gehören nicht nur Erdöl- und Erdgas-Vorkommen, sondern auch solche von Gold, Silber, Kupfer, Molybdän, Blei, Zink, Platin und Nickel, sowie von sogenannten "seltenen Erden", die gerade in Schlüsseltechnologien vielerlei Anwendungen finden. Metalle wie Lanthan, Terbium und Dysprosium sind für eine Reihe "grüner" Technologien wie etwa Hybridmotoren und Windturbinen, aber auch für die Rüstungsindustrie von Bedeutung. Die mit Abstand größten Vorkommen an seltenen Erden weltweit sind in China zu finden (4).
Der Rückgang des arktischen Meereises öffnet auch den Zugang zu neuen Fischereigründen, die für Europa große Bedeutung erlangen könnten. Wie andernorts sind aber auch die Fischgründe der Arktis der Gefahr von Wasserverschmutzung und Überfischung ausgesetzt (5). Zusätzlich kann die Klimaerwärmung bald auch Seewege, die bislang während langer Perioden des Jahres wegen Vereisung praktisch unbefahrbar waren, nutzbar machen.
Inzwischen ist der Hype wieder etwas verflogen. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Ausbeutung der Rohstoffe der Arktis einen weiter anhaltenden Eisrückgang und eine konstante Steigerung der Weltmarktpreise für Erdöl und Erdgas bedingt (6). Nur ein stetiger Preisanstieg vermag die Bereitschaft zu vermehrten Investitionen für die Erkundung und Ausbeutung der Rohstoffvorkommen in der Arktis zu schaffen. Wie die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, sind die Preise für Erdöl und Erdgas volatil, womit für Groß-Investoren das Risiko entsteht, dass aufwändig erstellte Infrastruktur während längerer Zeiträume nicht rentabel betrieben werden kann.
Rechtliche Fragen in der Arktis
In völkerrechtlicher Hinsicht ist entscheidend, dass es sich bei der Arktisregion im Wesentlichen um ein, von fünf Staaten umschlossenes Meeresgebiet handelt.  Damit ist internationales Seerecht anwendbar: einerseits Völkergewohnheitsrecht und andererseits das UNO-Seerechtsübereinkommen von 1982 (SRÜ) (7).  Die dritte Seerechtskonferenz der UNO von 1973 – 82 war von Bemühungen um die Kollektivierung des Tiefseebodens als gemeinsames Erbe der Menschheit geprägt gewesen. Erlöse aus der Ausbeutung von Rohstoffen vom Tiefseeboden sollten inskünftig unter besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse der Entwicklungsländer verteilt werden. Ansonsten blieben viele Aspekte der Rechtsverhältnisse auf Hoher See ungeregelt, auf welcher "… alle seefahrenden Nationen mehr oder weniger tun oder lassen können, was sie wollen." (8).
Im Gegensatz zu dem, was manche Kommentatoren kolportierten, ist die Arktis aber nicht so etwas wie ein gesetzloser "Wilder Norden", sondern ein rechtlich weitgehend reglementierter Raum. Das UNO-Seerechtsübereinkommen unterteilt die Weltmeere in Hoheitsgewässer, Hohe See und Zonen ausschließlicher Wirtschaftstätigkeit durch die Anrainer. Besondere Reglungen gelten in Bezug auf den sogenannten Festlandsockel, auf ozeanische Bergrücken, auf ozeanische Gebirge und auf die Tiefwasserzone mit Wassertiefen von mehr als 2'500 m. Bemerkenswert ist, dass die USA als führende Seemacht der Welt das UNO-Seerechtsabkommen nicht unterzeichneten (9). Auch hier manifestiert sich US-amerikanischer Egoismus, der sich keine rechtlichen Fesseln anlegen lassen will.
Die Existenz unterseeischer Bergzüge und Bergrücken könnte dazu führen, dass Russland einen bis zum Nordpol reichenden Festlandsockel als seine "ausschließliche Wirtschaftszone" (AWZ) beanspruchen kann. Mit der Deponierung einer russischen Flagge in 4'000 m Tiefe am Nordpol im Jahr 2007 demonstrierte Russland seinen diesbezüglichen Anspruch denn auch deutlich. Auch Kanada, Dänemark und Norwegen stellen solche Ansprüche. Wenn ihnen stattgegeben wird, dann sind Ansprüche von Drittstaaten in dieser Region praktisch ausgeschlossen (10).
Die Anrainer des Arktischen Ozeans, das heißt Russland, Dänemark, Norwegen, Kanada und die USA schufen im Jahr 1996 den sogenannten "Arktischen Rat", in welchem die zuständigen Minister regelmäßig tagen. Im Rahmen des Arktischen Rats konnte beispielsweise die Streitfrage der Grenzziehung zwischen Norwegen und Russland einvernehmlich gelöst werden (11). Gemeinsam ist den "Arktischen Fünf" das Bestreben, eine Internationalisierung des Arktischen Ozeans zu verhindern und ihre AWZ bis an den Nordpol auszudehnen. Allerdings ist anzufügen, dass die Seegebiete, unter welchen Erdöl- und Erdgas-Vorräte vermutet werden, mehrheitlich in Zonen liegen, die eindeutig einem der Anrainer als AWZ zugeordnet werden können (12). Derzeit ist auch noch unklar, wann sich die Ausbeutung dieser Bodenschätze wirtschaftlich lohnen wird. Das gilt nicht nur für Kohlenwasserstoffe, sondern auch für Erze aller Art. Diese Faktoren verringern die Wahrscheinlichkeit eines Ressourcenkonflikts in der Arktis erheblich.
Ein weiteres ordnendes Element ist die Ilulissat Declaration der "Arktischen Fünf" aus dem Jahr 2008. Sie ist zwar kein völkerrechtlich, aber ein politisch bindendes Dokument, das gegen jegliche Internationalisierung der Arktis gerichtet ist und Ansprüche Dritter implizit zurückweist. Die "Arktischen Fünf" demonstrierten hier ihren Führungsanspruch. Dazu gehört, dass nach ihrer Auffassung nicht das UNO-Seerechtsübereinkommen die Basis für die Regelung von Streitigkeiten bilde, sondern primär die Ilulissat-Deklaration (13).
Kompliziert werden könnten rechtliche Fragen in der Arktis durch die Ansprüche, die andere Staaten auf die wirtschaftliche Ausbeutung der Arktis angemeldet haben. Während Schweden, Island und Finnland zum erweiterten Kreis der Arktis-Anrainer, den sogenannten "Arktischen Acht" gehören, sind die Anspruchsteller aus Asien wie beispielsweise China bislang noch kaum institutionell eingebunden.
Befahrbare Seewege?
Der erste Blick auf die Karte lässt die Seewege im hohen Norden, die sogenannte Nordwestpassage entlang der Küsten im Norden Kanadas, und die Nordostpassage entlang der Küste Sibiriens, als attraktive Alternativen zu den Seewegen im Süden erscheinen. In der Tat würden diese Routen die Reisezeiten zwischen Europa und Asien um einen Drittel reduzieren (14). Diese Aussichten bewegten das Europäische Parlament im Jahr 2009, die EU-Kommission aufzufordern, Verhandlungen mit der russischen Regierung aufzunehmen, damit freie Schifffahrt und freies Transitrecht gewährleistet seien (15).
Für eine ganzjährige, kommerziell relevante Nutzung der Seewege in der Arktis reichte der Rückgang des Polareises aber bislang nicht. Die Schifffahrt in der Nordwest- und der Nordost-Passage erreichte deshalb nicht den Umfang, der sie als ernsthafte Konkurrenz zu bestehenden Schifffahrtswegen erscheinen ließe. Zu widrig sind Klimabedingungen und Lichtverhältnisse in diesen Gewässern. Das könnte sich in den nächsten zehn Jahren aber ändern (16).
Russland ist die derzeit führende Pioniernation der Schifffahrt im vereisten Polarmeer. Seine Eisbrecher-Flottille ist unabdingbare Voraussetzung für die sichere Nutzung der Seewege in der Arktis, einschließlich der Suche und Rettung auf See, aber auch für die Versorgung entlegener Küstenorte und zukünftiger Bohrinseln. Russland hat in Kanada einen Verbündeten gefunden, wenn es um die Frage von Gebühren für die Nutzung der Seewege entlang seiner Küsten geht. Die USA hingegen betrachten diese Seewege als Teil der internationalen Gewässer, die entsprechend kostenfrei befahrbar sein müssen (17).
In Zeiten des Kalten Kriegs war die Nordostpassage militärisch abgeschirmt gewesen. Mit dem Aufkommen eines neuen Kalten Kriegs könnten solche Zustände wieder einkehren (18).
Soziale Fragen und Umweltschutz
Dass Flora und Fauna an Land wie im Wasser in der Arktis besonders empfindlich gegen Verschmutzung sind, darf als allgemein bekannt gelten. Die Prognosen der Forscher für die konkreten Auswirkungen des anhaltenden Klimawandels sind eher pessimistisch: Sie erwarten, dass sich mit den Umweltbedingungen auch die Lebensbedingungen der Bewohner der Arktis verschlechtern werden. Die Gründe des Klimawandels im hohen Norden sind aber nicht in der Region selbst zu suchen, sondern wurden andernorts geschaffen. Zwar ist die Arktis für die Bevölkerung der Anrainerstaaten insgesamt nur von untergeordneter Bedeutung, denn in dieser Region von 20 Millionen qkm Fläche leben gerade einmal 4 Millionen Menschen. Aber die Ureinwohner und die zugezogene Bevölkerung der Arktisregion betrachten diese gleichermaßen als Heimat, mit welcher Pläne für ihr Leben verknüpft sind (19). Inwieweit sie in der Lage sind, die nationale Politik ihrer Länder in ihrem Sinne zu beeinflussen, ist derzeit noch kaum absehbar. Die geschichtlichen Erfahrungen der Ureinwohner sind aber mehrheitlich wenig ermutigend. Auch die sozialen Folgen, die eintreten, wenn einstmals abgeschiedene und schwierig erreichbare Küstenstädte plötzlich an wichtigen Seewegen liegen, sind noch kaum abzuschätzen (20).
Die Arktis als Frontgebiet im Krieg
Mit der Arktis bringt der Kenner der Geschichte des Zweiten Weltkriegs vor allem die Nordmeer-Geleitzüge zwischen Großbritannien und der Sowjetunion, sowie die Wetterbeobachtung in Verbindung (21).
Im Kalten Krieg war der Arktische Ozean Operationsgebiet strategischer U-Boote mit Nuklearraketen aus Ost und West. Im Unterschied zu dem, was viele Europäer heute noch glauben, verlief die Hauptfront des Kalten Krieges nicht in Europa, sondern in der Arktis. Das ist eine Folge der ganz einfachen Tatsache, dass die kürzeste Verbindung zwischen dem Innern der Sowjetunion und der USA über den Nordpol verlief. Diese Zeiten scheinen nun mit der Rückkehr eines Kalten Kriegs wieder zurückzukehren.
Noch vor wenigen Jahren hatten Experten eher auf einen Konflikt in der Arktis getippt, als auf Kooperation. Ihre Vorhersagen trafen bislang nicht ein (22). Nach dem Ausbruch des Konflikts in und um die Ukraine im Jahr 2014 beendete die NATO aber alle Programme militärischer Zusammenarbeit mit Russland. Das kann negative wirtschaftliche Auswirkungen für die Arktis-Region nach sich ziehen, denn Investitionen in Rohstoffgewinnung und Schifffahrt im Arktischen Ozean bedingen ein Mindestmaß an militärischer Sicherheit: Kein Reeder möchte seine vollbeladenen Tanker durch ein potenzielles Kriegsgebiet fahren lassen.
Im Zusammenhang mit dem befürchteten Ressourcenkonflikt kamen vor Jahren in Norwegen Befürchtungen auf, dass die NATO in solch einem Fall ihren Bündnispartner im Stich lassen könnte (23). Dafür gibt es derzeit allerdings keine Anzeichen.
Seit einigen Jahren fliegen die russischen Fernfliegerkräfte wieder Patrouillen mit Atom-Bombern der Typen Tupolev-160 und Tupolev-95 über der Arktis. Das ist Teil der sogenannten nuklearen Triade, welche die Zweitschlagfähigkeit Russland im Falle eines Atomkriegs gewährleisten soll. Eine ähnliche Zweitschlagfähigkeit erhalten sich auch die USA. Der hohe Norden ist für Russland deshalb von Bedeutung, weil einzig er einen ungestörten Zugang russischer Kriegsschiffe und Militärflugzeuge zum Atlantischen Ozean erlaubt. Überall sonst sind die russischen Flugzeuge gezwungen, über Meerengen zu fliegen, wo ihr Erscheinen einfach vorhersagbar ist. In Kreisen der russischen Fernfliegerkräfte sind die Flüge von der Halbinsel Kola aus am Nordkap vorbei hinaus auf den offenen Atlantik als der "Flug ums Eck" bekannt.
Neue Militarisierung der Region
Neuerdings erhalten aber Befürchtungen über eine (Neu-) Militarisierung der Arktis Auftrieb (24). Noch im Jahr 2009 hatten Sorgen über eine zunehmende Militärpräsenz in der Arktis eine Entschließung des Europäischen Parlaments ausgelöst, welche darauf abzielte, eine Konfrontation im hohen Norden zu vermeiden und eine Kooperation im Sicherheitsbereich zu entwickeln. Die bei dieser Gelegenheit erhobene Forderung, eine Nutzung der geologischen Ressourcen der Arktis für einen Zeitraum von 50 Jahren auszusetzen, wird wohl aber ein unerfüllter Wunsch bleiben (25).
Die USA beabsichtigen, ihre militärische Präsenz in der Region zu verstärken, einen Eisbrecher zu bauen und mehrere Marine-Stützpunkte im hohen Norden zu errichten. Aber es bleibt nicht bei Absichtserklärungen: Ein Indikator für die zunehmende Militarisierung der Arktis ist die gesteigerte Übungstätigkeit, die insbesondere seit Beginn dieses Jahres zu beobachten ist. Dazu gehört die gemeinsame Übung US-amerikanischer Bomber des Typs B-1 mit norwegischen F-16 Jagdflugzeugen am 25. September: Ausgehend von der Eielson Air Force Base in Alaska flogen die amerikanischen Atom-Bomber über den Arktischen Ozean eine Flugroute von 6'100 Seemeilen Distanz ab, welche sie über den Nordpol hinweg führte. Dabei schützten die norwegischen Jagd-Flugzeuge wohl die Luftbetankung der Bomber über dem Arktischen Ozean (26).
Die Distanz von 6'100 Seemeilen entspricht ziemlich genau der doppelten Distanz zwischen der Eielson Air Force Base und den Häfen der russischen Nordflotte auf der Halbinsel Kola. Die Atomwaffen-tauglichen B-1 Bomber machten offenbar einen Probeanflug auf diese Basen.  Vielleicht ist es Zeit für eine vertragliche Regelung solcher Flüge über der Arktis. Die Verhandlungsplattformen wären vorhanden, sei es in Form der OSZE oder in Form der "Arktischen Fünf".
Der neue Kalte Krieg bekam im Frühjahr dieses Jahres auch eine maritime Komponente: Anfang Mai fuhr eine Gruppe amerikanischer und britischer Kriegsschiffe in die Barentssee, um zum ersten Mal seit Mitte der 1980er Jahre dort wieder gemeinsam zu üben. Norwegen entschied sich, auf eine Teilnahme an dieser Übung zu verzichten (27). In der ersten Septemberwoche fand dann eine gemeinsame Übung der britischen, US-amerikanischen und norwegischen Marine in der Barentssee, 115 km von der russischen Küste entfernt statt. Die britische Admiralität, welche die Führung der Übung innehatte, ließ verlauten, die Entsendung der, aus drei Schiffen bestehenden Task Force nach Norden “demonstrates the commitment of the UK and its allies to freedom of access and navigation in the region.”. Interessant ist, dass Großbritannien, das weder Arktis-Anrainer ist, noch den "Arktischen Acht" angehört, die Federführung in der Übung hatte. Unmissverständlich klar drückte es der britische Daily Telegraph aus: Die Übung sei durchgeführt worden, um russische Dominanz zu blockieren ("…block Russian dominance"). Die Task Force wurde dabei von der russischen Nordflotte überwacht. Zu Zwischenfällen kam es nicht (28). Weder war die Freiheit der Seefahrt durch Russland je bestritten worden., noch war je eine russische Dominanz gegeben (29).
Aktivitäten Chinas
Neuerdings erregen auch Chinas Aktivitäten in der Arktis-Region das Misstrauen der NATO:
"In short, the Arctic is part of China’s global space power projection (and associated economic benefits) the implications of which are not well understood today. NATO would be well-advised to understand, and carefully monitor, this risk environment, including its scale and underlying motives." liess sich das Prague Security Studies Institutekürzlich vernehmen (30).
In der Tat initiierte China im Jahr 2010 das sogenannte " Gaofen-Projekt". Dabei handelt es sich um eine Reihe von Erdbeobachtungssatelliten, die unter anderem auch die Überwachung der Schifffahrtsrouten im Arktischen Ozean ermöglichen sollen (31): Dies stellt ein wichtiges Element zur Gewährleistung der Sicherheit der Schifffahrt in rauen Gewässern dar. Es soll noch in diesem Jahr abgeschlossen werden und umfasst Radar-Stationen im schwedischen Kiruna, in Karholl auf Island, sowie in Ny-Ålesund und Longyearbyen auf Spitzbergen. China plant die Einrichtung weiterer Stationen in Finnland (Sodankyla) und Grönland (Nuuk) (32).
Das weckte nun offenbar das Misstrauen der USA. Vertreter des amerikanischen Außenministeriums warnten kürzlich in scharfen Worten vor chinesischen und russischen Versuchen, die Interessen der westlichen Verbündeten im hohen Norden in Frage zu stellen. Den Hintergrund dieser Aussage bildet das, im Norden Norwegens offenbar weit verbreitete Misstrauen gegen die großen internationalen Akteure, die USA auf der einen Seite, Russland und China auf der anderen.
"China now recognizes the importance of Kirkenes, securing a western terminus on the Northern Sea Route, and they are up there and trying to, again, win over the people of northern Norway” sagte der ehemalige US-Botschafter in Norwegen Kenneth J. Braithwaite in einer Anhörung, die ihn als neuen US-Marineminister bestätigte (33).
In der Finnmark lebt fast die Hälfte aller norwegischen Samen (Sámi), der Ureinwohner des hohen Nordens. Die Bewohner der Finnmark im Norden Norwegens entwickelten nach 1944 ein gutes Verhältnis zur Sowjetunion, denn es war die Rote Armee gewesen, welche die Provinz von den Deutschen befreit hatte. Das machte sie in den Augen westlicher Nachrichtendienste verdächtig: Viele Bewohner der Finnmark wurden offenbar nachrichtendienstlich überwacht, denn sie wurden als eine potenzielle "fünfte Kolonne" der Sowjets in Norwegen betrachtet. Die neue Art von Rhetorik der US-Regierung, die sich in den Worten von Braithwaite manifestiert, kann die norwegisch-amerikanischen Beziehungen belasten und für Norwegen als Nation problematisch werden (34). Es wäre der Sicherheit Norwegens kaum zuträglich, wenn in der Finnmark das nächste Minderheiten-Problem Europas kreiert würde.
Neue militärische Infrastruktur der USA im hohen Norden
Die tiefen Fjorde Norwegens wurden bereits während des Zweiten Weltkriegs von der deutschen Kriegsmarine als Basen für Angriffe auf die alliierten Geleitzüge aus Großbritannien in die Sowjetunion genutzt. Nahe der Stadt Tromsø lag zeitweise das deutsche Schlachtschiff "Tirpitz" vor Anker. Der, nördlich des Polarkreises gelegene Hafen von Tromsø wurde in den vergangenen Monaten so ausgebaut, dass er US-amerikanische U-Boote der Seawolf-Klasse aufnehmen kann (35). Die Seawolf-Klasse wurde ursprünglich gebaut, um sowjetische U-Boote mit ballistischen Raketen unter dem Packeis der Arktis zu jagen. Eines der U-Boote der Seawolf-Klasse wurde speziell für die Bedürfnisse von Sonderoperationskräften wie zum Beispiel der Navy Seals umgebaut, die von U-Booten aus gegen fremde Küsten operieren sollen (36). Der Ausbau einer Basis in Nordnorwegen und der Einsatz der Seawolf U-Boote könnte von Russland als Bedrohung seiner Zweitschlagfähigkeit angesehen werden, die im heutigen Umfeld allgemein als Stabilitätsfaktor betrachtet wird.
Fazit
Die hohen Erwartungen an die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Arktis erfüllten sich in den vergangenen Jahren ebenso wenig wie das medial erzeugte Bild von einem unausweichlich bevorstehenden Ressourcenkonflikt in der Region (37). In den vergangenen Jahren war das Verhältnis der "Arktischen Fünf" untereinander eher von der gemeinsamen Wahrnehmung ihrer Interessen und einvernehmlicher Regelung offener Fragen geprägt. Daran konnten auch die Kriege in Georgien 2005 und in der Ukraine seit 2014 bislang nicht viel ändern.
Die zunehmende Tätigkeit des Westens und der Ausbau von militärischer Infrastruktur im hohen Norden weckt Erinnerungen an den Ausbau der militärischen Infrastruktur der NATO in Osteuropa und lässt erwarten, dass auch im hohen Norden die Spannungen ähnlich zunehmen werden. Insgesamt sind die Aktivitäten von Briten und US- Amerikanern wohl kein Beitrag zur Stabilität in der Arktisregion.
Die Berührungspunkte der Arktisanrainer und ihre gemeinsamen Interessen stellen aber auch eine Chance dar. Im Zuge der zunehmenden militärischen Übungstätigkeit wäre vielleicht die Zeit reif für eine vertragliche Regelung von Patrouillenflügen von Bombern über dem Arktischen Ozean und von Patrouillenfahrten von Atom-U-Booten in diesen Gewässern. Grundsätzlich gelten die sicherheits- und vertrauensbildenden Instrumente der OSZE auch in der Arktis, denn sämtliche Mitglieder des Arktischen Rats sind auch OSZE-Teilnehmerstaaten. Es waren in der jüngsten Vergangenheit aber namentlich die USA gewesen, welche diese Instrumente schwächten. Und an der institutionellen Schwächung der OSZE hatten nicht zuletzt Kanada und Norwegen einen bedeutenden Anteil. Wenn im Arktischen Rat keine einvernehmlichen Regelungen im Sicherheitsbereich erzielt werden können, dann wohl nirgends. Pragmatismus wäre jetzt das Gebot der Stunde.
Anmerkungen:

  1.  Siehe Planungsamt der Bundeswehr: Future Topic, Klimawandel und Sicherheit in der Arktis nach 2014; hat die friedliche und kooperative internationale Arktispolitik eine langfristige Zukunft? S. 21 und Golo Bartsch: Die Governance der Arktis, Akteure, Institutionen und politische Perspektiven im tauenden Hohen Norden, Hagen, 2011, S. 30, 38

  2.  Siehe Planungsamt der Bundeswehr S.3. 

  3.  Zum Umfang des Klimawandels siehe: Ingo Winkelmann, Klimawandel und Sicherheit in der arktischen Region, Diskussionspapier Forschungsgruppe Globale Fragen, Stiftung Wissenschaft und Politik, Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit, Berlin 2009.

  4.  https://newsv1.orf.at/090904-42205/

  5.  Siehe Bartsch S. 18f. 

  6.  Planungsamt der Bundeswehr, S. 10. 

  7.  https://www.umweltbundesamt.de/themen/nachhaltigkeit-strategien-internationales/arktis/rechtlicher-institutioneller-rahmen-der-arktis/das-seerechtsuebereinkommen-der-vereinten-nationen#seerechtsubereinkommen-sru

  8.  Christoph Humrich: Souveränitätsdenken und Seerecht: Regionalisierung von Meerespolitik in der Arktis als neue Staatsräson, S. 1. 

  9.  Für die Details der verschiedenen Zonen siehe: Alexander Proelss Gebietsstreitigkeiten in der Arktis – Ist eine friedliche Beilegung mittels Abgrenzung erreichbar? in: Lozán, J.L., H.Grassl, D.Notz & D.Piepenburg: WARNSIGNAL KLIMA: Die Polarregionen. Wissenschaftliche Auswertungen, Hamburg 2014, S. 361f und Bartsch, S. 22-24. Vgl. auch Deutsche Forschungsgesellschaft, Polarforschungsagenda 2030, Status und Perspektiven der deutschen Polarforschung, Kap IV.3.2.

  10.  Proelss, S. 362f. Siehe auch https://www.fr.de/wissen/fluch-segen-schmelze-11625247.html

  11.  Planungsamt der Bundeswehr S. 12.

  12.  Winkelmann, S. 4 (Ausmass der Eisschmelze) und S. 7, Abb. 2; Bartsch S. 17; Vgl. Polarforschungsagenda 2030 zu Klimawandel, Kap IV.1, Vorkommen mineralischer Rohstoffe, Kap IV.1.2.; Vorkommen von Energierohstoffen, Kap IV.1.3.; Biologische Rohstoffe: Fisch, Kap IV.1.4.

  13.  Humrich, S. 16f. 

  14.  Bartsch S. 24-16. 

  15.  Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem internationalen Vertrag zum Schutz der Arktis, 30. März 2009, online verfügbar unter https://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+MOTION+P6-RC-2009-0163+0+DOC+XML+V0//DE.  

  16.  Planungsamt der Bundeswehr, S. 11 und Bartsch, S. 14-16. 

  17.  Bartsch, S. 28f. Zu rechtlichen Fragen rund um die Nordwest-Passage siehe auch Winkelmann, S. 12 f. 

  18.  Winkelmann S. 16. 

  19.  Planungsamt S. 3 und Polarforschungsagenda 2030, Kap. IV.2.2.

  20.  Polarforschungsagenda 2030, Kap IV.2.2. und Abb. IV.2.4.

  21.  Planungsamt, S. 3.

  22.  Planungsamt, S. 5. 

  23.  Winkelmann S. 9.

  24.  Winkelmann S. 8. 

  25.  Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem internationalen Vertrag zum Schutz der Arktis, 30. März 2009.

  26.  https://www.af.mil/News/Article-Display/Article/2365614/b-1b-lancers-cross-arctic-circle-to-train-with-nordic-allies/ und https://www.airforcetimes.com/news/your-air-force/2020/09/30/b-1s-cross-the-north-pole-to-train-with-norwegians/.  

  27.  https://www.highnorthnews.com/en/international-exercise-barents-sea-norway-wants-assert-its-defense-capacity-arctic

  28.  https://tass.com/defense/1198617

  29.  https://breakingdefense.com/2020/09/us-nato-warships-exercise-off-russias-arctic-coast/; https://www.telegraph.co.uk/news/2020/09/10/royal-navy-leads-four-nation-arctic-mission-block-russian-dominance/

  30.  https://spacewatch.global/2020/09/spacewatchgl-opinion-arctic-space-challenge-for-nato-emerging-from-chinas-economic-and-financial-assertiveness/

  31.  Siehe http://www.cnsa.gov.cn/english/n6465652/n6465653/c6801815/content.html

  32.  https://spacewatch.global/2020/09/spacewatchgl-opinion-arctic-space-challenge-for-nato-emerging-from-chinas-economic-and-financial-assertiveness/.

  33.  https://www.highnorthnews.com/en/northern-norway-may-become-piece-geopolitical-game

  34.  Ebd. 

  35.  https://breakingdefense.com/2020/09/norway-expands-key-arctic-port-for-more-us-nuke-sub-visits/.

  36.  https://www.globalsecurity.org/military/systems/ship/ssn-21.htm

  37.  Siehe Planungsamt der Bundeswehr S. 7.

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