Von Hans-Georg Münster
In der Arktis herrscht eisiges Schweigen. Angrenzende NATO-Länder und neutrale Staaten haben den Kontakt zu Russland im „Arktischen Rat“ abgebrochen. Da nicht mehr miteinander geredet wird, könnte vielleicht schon bald zu anderen Mitteln gegriffen werden, zumal der Westen massiv aufrüstet, was als Reaktion auf entsprechende Maßnahmen Russlands begründet wird. Wegen des Konflikts in der Ukraine verweigern alle anderen Mitglieder des Arktischen Rates die Teilnahme an Veranstaltungen der russischen Präsidentschaft. Die Erwartung des russischen Außenministers Lawrow, „dass Russlands Vorsitz im Arktischen Rat dazu beitragen wird, die regionale Zusammenarbeit weiter zu stärken“ und die „Heimat Arktis für heutige und zukünftige Generationen zu bewahren“, dürfte sich nicht erfüllen.
Die Diplomaten der NATO- und neutralen Länder stellten den Dialog mit Russland mit Hinweis auf den Ukraine-Konflikt ein: „Die Kernprinzipien der Souveränität und territorialen Integrität, die auf dem Völkerrecht beruhen, haben lange Zeit die Arbeit des Arktischen Rates untermauert, eines Forums, in dem Russland derzeit den Vorsitz führt. Angesichts der eklatanten Verletzung dieser Prinzipien durch Russland werden unsere Vertreter nicht zu Treffen des Arktischen Rates nach Russland reisen“, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung von Kanada, Dänemark (mit Grönland), Finnland, Island, Norwegen, Schweden und den Vereinigten Staaten. Die sieben Länder verurteilten „Russlands Invasion der Ukraine und stellen schwerwiegende Hindernisse für die internationale Zusammenarbeit fest, einschließlich in der Arktis, die Russlands Vorgehen verursacht hat“. Wie man wieder in einen Dialog eintreten könnte, wird in der Erklärung nicht erwähnt. Russlands Präsidentschaft dauert bis zum Jahr 2023; danach wird Norwegen die Präsidentschaft übernehmen. Vergessen sind offenbar Ankündigungen wie die des dänischen Außenministers Jeppe Kofod, der 2021 noch mit Blick auf die bevorstehende russische Präsidentschaft gefordert hatte: „Konflikte in anderen Teilen der Welt dürfen unseren friedlichen Dialog und die Zusammenarbeit in der Region nicht überschatten… Russland hat bisher einen konstruktiven und pragmatischen Ansatz für die Arbeit des Arktischen Rates.“ (1)
Davon ist jetzt keine Rede mehr. Die Militärs geben den Ton an, und militärisch tut sich auch eine Menge. Voller Freude erklärte der amerikanische Generalmajor Peter Andrysiak, Kommandeur der US-Armee in Alaska, die Arktisstrategie der US-Armee sei in Bewegung und mache Fortschritte: „Unsere Fähigkeit effektive und ausgedehnte Operationen in der Arktis durchzuführen, erfordert viel mehr als nur ein paar Ausrüstungsgegenstände“, so der Generalmajor. Besonders setzen die USA auf die Zusammenarbeit mit den norwegischen Streitkräften. Im Mai 2022 sollen US-Streitkräfte aus Alaska erstmals zu einem Manöver nach Norwegen kommen. Für NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg stellt Russlands Krieg in der Ukraine einen Wendepunkt auch für die Arktis dar. Der hohe Norden sei ein Gebiet von entscheidender Bedeutung für alle Verbündeten, erklärte Stoltenberg. Eine starke NATO-Präsenz sei der beste Weg, um Stabilität zu gewährleisten
Dafür wird gesorgt. Norwegen erhöhte den Verteidigungsetat um drei Milliarden Kronen (308 Millionen Euro). Genau wie Deutschland ist auch Norwegen dabei, den Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt auf den von der NATO geforderten Wert von zwei Prozent zu erhöhen. Während der Anteil in Norwegen 2014 noch bei rund 1,4 Prozent lag, stieg dieser Anteil bereits 2020 und damit vor dem Ukraine-Konflikt auf 1,9 Prozent. Die großen militärischen Investitionen betreffen F-35-Kampfflugzeuge aus den USA und deutsche U-Boote im Wert von 4,4 Milliarden Euro. „Auch wenn ein russischer Angriff auf Norwegen sehr unwahrscheinlich ist, müssen wir erkennen, dass wir einen Nachbarn im Osten haben, der immer gefährlicher und unberechenbarer wird“, erklärte der norwegische Verteidigungsminister Ott Roger Enoksen.
Auch Dänemark, das 2021 noch den friedlichen Geist in der Arktis beschworen hatte, rüstet inzwischen massiv auf. Geplant ist unter anderem die Stationierung unbemannter Drohnen auf Grönland, wo es bisher faktisch keine Luftraumüberwachung durch Dänemark gab. So wie Russland stillgelegte Radarstationen und andere Stützpunkte aus der Zeit Kalten Krieges wieder in Betrieb nahm, will Dänemark eine 2007 geschlossene Radarstation auf den Färöer-Inseln wieder eröffnen. Damit soll die lückenlose Überwachung russischer Seestreitkräfte auf einer Linie von Grönland über Island und Färöer bis nach Großbritannien wieder möglich werden. Erstmals soll auch den indigenen Bewohnern von Grönland angeboten werden, Militärdienst auf der Insel zu leisten. Bisher unterhielt das dänische Militär keine Ausbildungskompanie auf Grönland.
Derzeit gibt es in der Arktis nur eine 200 Kilometer lange Grenze zwischen dem NATO-Staat Norwegen und Russland. Sollte das bisher neutrale Finnland der NATO beitreten, würde sich diese Grenze zwischen dem westlichen Bündnis und Russland um 1.340 Kilometer verlängern und eine massive weitere Aufrüstung nach sich ziehen. Notwendig wären Investitionen in Grenzsicherungsanlagen und die Stationierung weiterer NATO-Truppen wie schon im Baltikum und in Norwegen zu beobachten. Das ebenfalls neutrale Schweden überlegt auch, der NATO beizutreten, hat aber keine gemeinsame Grenze mit Russland
In Norwegen wird bereits heftig die Propaganda-Trommel gerührt. Die Internet-Zeitschrift „The Barents Observer“ berichtete beispielsweise, in Norwegen wachse die Angst vor (russsischen) Saboteuren, Spionen und Einflussnahmen. Daher wolle die Regierung 10,5 Millionen Euro bereitstellen, um Spione zu jagen, hybride Bedrohungen zu bekämpfen und mehr Personal im Norden zu haben. Durch die Geschehnisse in der Ukraine werde ein erhöhtes Risiko in der Region gesehen, zitierte die Zeitung einen norwegischen Polizeioffizier (2).
Auch die Manöver-Tätigkeit in der Arktis wird unvermindert fortgesetzt. In Norwegen fand im März das Manöver „Cold Response“ (Kalte Antwort) statt, mit dem die Abwehr eines Angriffs fremder Truppen geübt werden sollte. Die Bundeswehr war zur Übung „Eiskristall“ in Norwegen. Geübt wurde der infanteristische Kampf unter extremen Wetterbedingungen
Im Dröhnen von Panzermotoren, Flugzeug- und Helikopterturbinen gehen die leisen Töne unter. So warnte das amerikanische Fachmagazin „Foreign Policy“ kürzlich, die zunehmende militärische Aktivität in der Region erhöhe das Risiko eines Missverständnisses oder des Übergreifens eines Konflikts von außen auf die Arktis insbesondere in Ermangelung einer offiziellen Sicherheitsbehörde. Solche Sicherheitsstrukturen könnte der der Arktische Rat bieten, seine Arbeit liegt aber auf Eis.
(1) Interview in Neue Osnabrücker Zeitung vom 19. Mai 2021
(2) The Barents Observer vom 20. April 2022
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