Von Hans-Georg Münster
Noch 2019 hatte die Bundesregierung in ihren Leitlinien der deutschen Arktispolitik versichert: „Jedwede Militarisierung der Arktis lehnt die Bundesregierung ab.“ Die deutsche Haltung hat sich längst um 180 Grad gedreht, Berlin beteiligt sich massiv an der fortschreitenden Militarisierung der Arktis durch den Westen. Zuletzt nahmen im Juli 2023 sechs deutsch Eurofighter-Kampfflugzeuge, zwei Transportflugzeuge sowie Logistiktruppen auf Island an der Luftwaffen-Übung „Rapid Viking 23“ teil. In den Jahren zuvor hatte es keine solche Manöver gegeben. Die letzte Übung auf Island fand im Jahr 2012 statt. Während in den Publikationen der Bundeswehr noch von Dialog mit den Anrainerstaaten und anderen Akteuren in der Arktis die Rede ist, will man in Wirklichkeit von Dialog nichts mehr wissen, sondern beteiligt sich an der Militarisierung der Region – angefeuert von den USA, denen jeglicher Dialog mit Russland zuwider ist.
In deutschen Medien wie „Perspektive online“ (1) ist ganz offen die Rede davon, dass die Bundeswehr auf Island für den Krieg trainiert. Das Medium hat offenbar ein Gespräch mit den Bundeswehr-Kommandoführer Marco Brunhofer geführt und schreibt davon, man wolle die Soldaten kriegsfähig machen und übe im isländischen Luftraum das Eingreifen im Kriegsfall.
Die Bundeswehr hat ohnehin ihr Engagement in der Arktis massiv verstärkt. Allein in diesem Jahr nahmen deutsche Einheiten neben Rapid Viking an mehreren weiteren Manövern in der Arktis teil. Genannt werden in einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion (2) „Dynamic Mongoose (Norwegen), Missile Firing Exercise (Norwegen), Joint Warrior (Großbritannien), Joint Arctic Training (Norwegen) und Joint Viking (Norwegen). Die Aufstellung ist nicht einmal vollständig, weil nicht auf das Manöver „Arctic Forge“ 2023 hingewiesen wird, an dem rund 10.000 Militärangehörige aus den NATO-Staaten USA, Dänemark Deutschland, Norwegen, den Niederlanden und aus dem Vereinigten Königreich teilnahmen.
Nachdem die Bundesregierung bereits eine weitere Aufrüstung mit 227 schneetauglichen Kettenfahrzeugen des Typs CATV des Herstellers Hägglund für knapp eine Milliarde Euro beschlossen hatte, gibt sie jetzt erstmals zu, dass die bereits im Bestand der Bundeswehr befindlichen schneetauglichen Kettenfahrzeuge regelmäßig im Norden Norwegens und Kanadas erprobt werden. So seien diese Systeme zum Beispiel durch Teilnahme an der multinationalen NATO-Übung „Cold Response“ sowie an anderen Übungen „laufend unter widrigsten klimatischen Bedingungen in Gebrauch“. Damit hat die Bundesregierung eingeräumt, dass sie sich aktiv an der Militarisierung der Arktis beteiligt.
Die USA üben in letzter Zeit starken Druck auf NATO-Mitglieder aus, wegen des Ukraine-Krieges noch vorhandene Kontakte zu Russland einzustellen und keine neuen Kontakte zu suchen. Wohl auch deshalb sind von Norwegen, das vor einigen Monaten den Vorsitz im Arktischen Rat von Russland übernahm, keine Aktivitäten im Sinne einer besseren Kooperation in der Arktis zu erwarten. Alexander B. Gray, früher stellvertretender Assistent des Präsidenten und Staatschefs des Nationalen Sicherheitsrats des Weißen Hauses, fordert von den Verbündeten schärferes Vorgehen gegen Russland: „Es darf nicht zugelassen werden, dass Russland nahezu ungestraft auf den Färöer-Inseln operiert oder durch seinen Einfluss auf Grönland oder Spitzbergen die strategische Kommunikation der NATO gefährdet“, schrieb Gray in einem Beitrag für „Foreign Policy (2).Den Amerikanern missfällt vor allem die weiter bestehende Zusammenarbeit zwischen den Färöer-Inseln und Russland im Fischereibereich. Schiffe von den unter dänischer Verwaltung stehenden Färöer-Inseln, die aber nicht wie das Mutterland zur EU gehören, betreiben in der russischen Barentssee weiter Fischfang, weil die EU-Sanktionen gegen Russland für sie nicht gelten. Russische Schiffe dürfen im Gegenzug in den Färöer-Gewässern fischen und auch die Häfen anlaufen. Diese seit Jahrzehnten andauernde Zusammenarbeit stört die Amerikaner: „Russische Schiffe wurden glaubhaft der Spionage und sogar der Sabotage beschuldigt, unter anderem von Unterseekabeln in der Nordsee. Die Unfähigkeit Kopenhagens, in dieser Angelegenheit wirksam zu intervenieren, hat dazu geführt, dass die NATO-Partner an der Nordflanke des Bündnisses anfällig für asymmetrische russische Taktiken sind“, argumentiert Gray, dessen Stimme im Bündnis großes Gewicht hat. Er ist heute „Senior Fellow“ für nationale Sicherheitsfragen beim American Foreign Policy Council. Gray wirft Dänemark auch vor, Grönland nicht eng genug an die NATO anzubinden. Der Regierung von Kanada unterstellt er, zu wenig für militärische Aktivitäten in der Arktis auszugeben. Das Land verfüge nicht über Fähigkeiten, Moskaus Remilitarisierung der Arktis entgegenzutreten. Stattdessen lasse sich Kanada auf phantasievolle Diskussionen über eine indopazifische Strategie ein, die die Vereinigten Staaten und die NATO in der westlichen Hemisphäre verwundbar machen würden.
Die USA setzen jetzt darauf, das ein arktisches Kommando bei der NATO eingerichtet wird - eine weitere Maßnahme, durch die aus dem Kalten Krieg in der Arktis ein heißer werden könnte.
(2) Drucksache 20/7096 (bundestag.de)
(3) Neue Gefahren durch den Ukraine-Krieg: Nordflanke der NATO hat zu viele Schwachstellen (merkur.de)
Bilder: depositphotos
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