Von Jan Tscherny
Der bereits seit geraumer Zeit schwelende Konflikt im Donbass, der kohlenreichen Industrieregion im Donezbecken des ostukrainischen-russischen Grenzgebietes, scheint sich in eine neue heiße Phase auszuweiten. Viele Experten sprechen angesichts der momentanen Situation bereits von einer geplanten Großoffensive Russlands gegen die Ukraine. Die von beiden Seiten immer wieder erhobenen Beschuldigungen schürten nicht nur die Aggressionen, sondern sind auch stetiger Ausdruck einer dauerhaften Angst vor einem Krieg, an dem eigentlich niemand ein wirkliches Interesse haben kann.
Große Manöver und Truppenbewegungen an der Grenze
Seit einigen Tagen haben sich die Truppenbewegungen im ostukrainischen Grenzraum massiv verstärkt. Die von russischer Seite großflächig angelegten Manöver sorgen für erhebliche Spannungen auf internationale Ebene. Besonders die im Donbass stationierten pro-russischen Separatistenverbände haben hierbei ihre Gefechtsbereitschaft erhöht. In einigen Regionen kam es nach Angaben von ukrainischen Nachrichtensendern zum vereinzelten Granatenbeschuss auf Grenzstellungen der ukrainischen Armee.
Der österreichische Politiker Dr. Norbert van Handel meint, dass „Europa dringend einen direkten Kontakt mit Russland aufnehmen müsste.“
Und erklärt weiterhin, „denn wir können die Probleme in Belarus und in der Ukraine nur dann lösen, wenn wir Präsident Putin zu Gesprächen einladen, um von ihm aus - und vor allem mit ihm - die Situation zu entflechten. Zu endgefährlichen, wenn man so will. Alles andere wäre negativ.“
Wenige Tage zuvor hatte der Pressesprecher des russischen Präsidenten Dmitri Peskow erklärt, dass sein Land keinerlei Absichten hege, in die Ukraine einzumarschieren.
Peskow machte die ukrainische Regierung für die momentane Verschärfung der Situation im Donbass verantwortlich. Russland habe mit großer Sorge feststellen müssen, dass die Verantwortlichen in Kiew die Vereinbarungen von Minsk buchstäblich ignorieren würden. Nur durch eine strikte Rückkehr der ukrainischen Seite zu den Beschlüssen der Minsker Friedenserklärung könne die Sicherheit in der Region wieder gewährleistet werden, so Peskow. Gleichzeitig warnte Russland im Besonderen die USA davor, einen Krieg zu provozieren, indem sie Berater sowie militärisches Gerät zur Unterstützung der ukrainischen Armee entsenden.
Dauerhafte Verstöße gegen das Abkommen von Minsk
Die deutliche Reaktion aus Moskau gegenüber einer Unterstützung durch die USA, NATO und deren westlichen Verbündeten für die ukrainische Regierung beruht vor allem auf einer Eskalation der Lage, die bereits Wochen zuvor mit dem Einsatz einer Kampfdrohne ausgelöst wurde. Die ukrainische Armee hatte die in der Türkei entwickelte Drohne vom Typ „Bayraktar“ gegen eine Artilleriestellung der russischen Separatisten eingesetzt und damit einen offensichtlichen Bruch des Minsker Abkommens öffentlich gemacht. Der nach Bewertung der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) ohnehin äußerst brüchige Waffenstillstand sei mit derartigen Zuwiderhandlungen kaum umsetzbar.
Etliche US-Regierungsvertreter und Militärexperten teilen mittlerweile die Auffassung, das Russland durchaus eine Invasion des ukrainischen Territoriums erwäge und leiteten inoffiziell entsprechende Warnungen an die europäischen Verbündeten weiter. Das Verteidigungsministerium in Kiew untermauerte zuletzt diese Annahme und berief sich dabei auf Erkenntnisse, dass auch nach Abschluss des Großmanövers noch etwa 90.000 russische Soldaten, bestehend aus Einheiten der 41. Armee, in einem Sektor von etwa 250 Kilometern Entfernung zur Grenze, verblieben sind. Der ukrainische Präsident Volodymyr Selenskyi ging in einem Presseinterview sogar noch weiter und warf Russland konkrete Pläne für einen Staatsstreich in seinem Land vor, welchen er auf den Zeitraum Anfang Dezember dieses Jahres datierte.
Während NATO und Ukraine den russischen Präsidenten Putin dringend zum Einlenken aufrufen, wies Moskau alle Vorwürfe zurück. Es bestehe keinerlei Interesse Russlands daran, einen Krieg gegen Kiew zu führen. Die offensichtliche Krise sei durch das Handeln der ukrainischen Regierung sowie die militärischen Aktionen im Schwarzen Meer herbeigeführt worden.
„Es hat überhaupt keinen Sinn, wenn Europa Stellung bezieht und lächerliche Sanktionen - wirtschaftsschädliche Sanktionen - wegen irgendwelcher Dinge verhängt, die nach Meinung Europas in Russland nicht laufen. Es ist ein Unsinn, das darf nicht passieren. Wir müssen Putin, der an sich ein ruhiger und vernünftiger Präsident ist, mit ins Boot holen und mit ihm diese Probleme lösen. Gegen Russland werden wir sie nie lösen können“ – unterstreicht van Handel.
Präsident Putin selbst verwies gegenüber Medienvertretern darauf hin, dass jegliches Agieren - auch von militärischer Seite - eine interne Angelegenheit Russlands darstellen würde. Bei einem Telefonat mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, Charles Michel, habe er die Lage in Donbass erörtert und betont, dass es keine Alternative zum Abkommen von Minsk gäbe. Putin untermauerte dabei die Notwendigkeit einer Beendung der Diskriminierung der russischsprachigen Bevölkerung durch die Regierung in Kiew und das sofortige Einstellen aller anhaltenden Provokationen.
Quellen: NTV, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Stuttgarter Zeitung, RP-Online, Focus, Stern, Spiegel, ORF, Die Zeit, DWN, Neue Züricher Zeitung, Onvista, OSZE, CNN
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