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Gebrochenes Tabu

Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr hat die Demokratische Volksrepublik Korea (DPRK) am 9. September 2016, dem Nationalfeiertag Nordkoreas, einen unterirdischen Kernwaffentest auf seinem Testgelände in der Provinz Nord-Hamgyong durchgeführt. Die Auswertung der aufgezeichneten seismischen Signale des nationalen Datenzentrums für die Überwachung des umfassenden Kernwaffenteststoppvertrages CTBT, das von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) in Hannover betrieben wird, zeigen eine Raumwellenmagnitude zwischen 5,1 und 5,3. Dies entspricht in etwa einer Detonationsstärke von ca. 25±7,5 Kilotonnen TNT-Äquivalenten.[i] Sollte sich eine Magnitude von 5,3 bestätigen, so wäre dies der bisher stärkste Nuklearwaffentest (siehe Tabelle 1) Nordkoreas gewesen. 

 Prof. Dr. Götz Neuneck, stellvertretendem Wiss. Direktor und Leiter IFAR

Götz Neuneck ist Physiker und promovierte an der Universität Hamburg im Fachbereich Mathematik zum Dr. rer. nat. Von 1984-1987 arbeitete er über Strategiefragen, Militärtechnologien und Rüstungskontrolle bei der Arbeitgruppe Afheldt in der Max Planck Gesellschaft in Starnberg bei München. Seit 1989 ist er Wissenschaftlicher Referent am IFSH und Leiter der Interdisziplinären Forschungsgruppe Abrüstung, Rüstungskontrolle und Risikotechnologien. Mitglied des Vorstandsrates der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), Vorsitzender der Arbeitsgruppe "Physik und Abrüstung" der DPG und Pugwash-Beauftragter des Verbandes Deutscher Wissenschaftler (VDW) sowie Mitglied des Council der Pugwash Conferences on Science and World Affairs.

 Im Rahmen des von der CTBT-Organisation betriebenen und zu 90 Prozent fertiggestellten weltweiten International Monitoring System (IMS) konnten in der unmittelbaren Umgebung 25 seismische Stationen Messsignale auffassen und mit großer Genauigkeit das Epizentrum lokalisieren.[ii] Nach Aussagen der CTBTO war die Detonationsstärke etwas größer als die der Vorgängertests. Allerdings war die Explosionsstärke der letzten drei Tests von ähnlicher Größe, daher ist es sehr wahrscheinlich, dass ein ähnlicher Sprengkopftyp ein weiteres Mal getestet wurde. Den endgültigen Beweis, ob es sich um einen Kernwaffentest gehandelt hat, wird die internationale Gemeinschaft erst erlangen, wenn es dem IMS gelingt, radioaktive Spuren der Explosion zu messen. Es bleibt dennoch äußerst plausibel, dass es sich hier um eine weitere unterirdische Nuklearexplosion gehandelt hat.

 Weltweit wurde dieser Test verurteilt und auf die Nichteinhaltung des internationaler Tabus von Nukleartest und Normen verwiesen. US-Präsident Obama sprach von einer „schweren Bedrohung der regionalen Sicherheit und des internationalen Friedens und der Stabilität“ und kündigte „ernste Konsequenzen“ an.[iii] Außenminister Steinmeier bestellte ein weiteres Mal den nordkoreanischen Botschafter in Berlin ein. Auch das russische und das chinesische Außenministerium verurteilten den Test und riefen zur Mäßigung und der Wiederaufnahme der „Sechs-Parteiengespräche“ auf. Sowohl der UN-Generalsekretär als auch der Generalsekretär der IAEA sowie der Chef der CTBT-Organisation meldeten sich zu Wort und verwiesen auf den Bruch diverser UN-Resolutionen durch Nordkorea.[iv] 

Schon Tage vor dem Test waren durch Satellitenaufnahmen Aktivitäten an mehreren Tunneleingängen des Testgeländes Punggye-ri beobachtet worden.[v] Die nordkoreanische Regierung gab nach dem Test an, dass ein Sprengkopf getestet wurde, der kompakt genug sei, um auf eine „strategische Rakete“ montiert zu werden.[vi] Die möglicherweise nun erlangte „Standardisierung“ ermögliche Nordkorea die Produktion von „kleineren, leichteren und verschiedenartigen nuklearen Sprengköpfen“.[vii] Das „DPRK Nuclear Weapons Institute“ hatte erklärt, dass Nordkorea nun in der Lage sei transportfähige Sprengköpfe herzustellen. Wie stets wurde dieser Kernwaffentest auch zuvor von Raketentests begleitet.[viii] Seit Februar 2016 hat Nordkorea ca. 30 ballistische Raketen mit einer Reichweite von 200 km und mehr abgefeuert. In diesem Jahr haben auch bereits einige aufsehenerregende Tests von Mittelstreckenraketen stattgefunden. So wurde am 24. August 2016 eine U-Boot-gestützte Rakete (KN-11) abgeschossen. Sie legte dabei eine Entfernung von ca. 500 km zurück. Weitere Tests von Mittelstreckenraketen fanden bereits im Mai und Juni (Musudan, 2.500-4.000 km) sowie Juli, August und September (No-Dong, ca. 1.000 km) statt. Nicht alle Tests waren erfolgreich und Nordkorea setzt alles daran, seine Fähigkeiten im besten Licht darzustellen. Mit einem Mittelstreckenpotenzial kann Nordkorea im Stationierungsfall mögliche Ziele in Südkorea, Japan und eventuell auch US-Streitkräfte auf Guam bedrohen. Die Entwicklung einer Interkontinentalrakete (ICBM), die die USA erreichen kann, dürfte jedoch noch einige Zeit brauchen.

Tabelle 1: Kernwaffentests in Nordkorea 

Vor diesem Hintergrund stellt sich nun die Frage, ob Nordkorea Nuklearsprengköpfe aus unterschiedlichen waffenfähigen Materialien (Plutonium, hochangereichertem Uran) herstellen und auf seinen getesteten Mittelstreckenraketen stationieren wird. Bisher wurden die Kernwaffentests von 2006, 2009 und 2013 eher als symbolische Akte interpretiert, u.a. um die USA wieder an den Verhandlungstisch zu bringen und weitere Zugeständnisse zu erhalten. Auch wollte Nordkorea durch die Tests signalisieren, dass es einen Angriff der USA mit seinem (wenn auch unbekannten) Nuklearpotenzial abschrecken  kann. Nun dürfte sich die Situation in Nordostasien zuspitzen, da die meisten Staaten in der Region damit rechnen müssen, dass Nordkorea nuklearwaffenfähige Mittelstreckenraketen stationieren wird. Allerdings hat Nordkorea immer wieder durch bearbeitete Propagandafotos und zweifelhafte Statements, wie z.B. im Januar 2016 die Behauptung, eine Wasserstoffbombe getestet zu haben, die eigenen Fähigkeiten übertrieben dargestellt, um ernst genommen zu werden.

 

Mögliche Folgen und Reaktionen?

Seit Langem wird versucht, mit diplomatischen Mitteln die nukleare Rüstung einschließlich der Beschränkung von Raketentests zu erreichen und das militärische Nuklearprogramm Nordkoreas zu beenden.[ix] Die Kombination aus weltweiter Verurteilung, verschärften Sanktionen, Embargos und die fortschreitende Isolation hat allerdings nicht die gewünschte Wirkung gezeigt. Nach dem letzten Nukleartest im Januar hatten die USA entschieden, ihr Terminal High Altitude Area Defense (THAAD) Missile Defense System zum Schutz Südkoreas und der US-Truppen in Südkorea zu stationieren.[x] Trotz erheblicher lokaler Proteste hat die südkoreanische Regierung dem inzwischen zugestimmt. Die USA verfügen zur Zeit über fünf THAAD-Batterien, von denen eine weitere in Guam stationiert ist.[xi] Die Stationierung der THAAD-Raketenabwehrkomponente provoziert China, da die Volksrepublik fürchtet, dass diese Abwehrkapazität sein relativ kleines strategisches Arsenal unterminieren könnte. Wenn die nordkoreanische Raketenentwicklung schnell voranschreitet, wird eine THAAD-Abwehrbatterie nicht ausreichen, sodass ein weiterer Wettlauf zwischen Offensivraketen und Defensivsystemen vorprogrammiert ist. 

Ein weiteres Konfliktfeld ist das ausstehende Inkrafttreten des Umfassenden Kernteststoppabkommens CTBT, dem sich seit 1996 183 Staaten angeschlossen haben. Der Vertrag, der inzwischen auch über eine gut funktionierende Verifikationsinstanz, die CTBT Organisation in Wien, verfügt kann nicht in Kraft treten, solange nicht die folgenden acht Staaten den CTBT ratifiziert haben: die USA, China, Israel, Ägypten, Pakistan, Iran, Nordkorea, Indien und Pakistan. Um die internationale Norm eines weltweiten Kernwaffenteststopps zu stärken, sollte dieser Prozess so schnell wie möglich aktiver betrieben werden. Zwar wird dies Nordkorea nicht unmittelbar beeindrucken, aber die Festigung einer überprüfbaren Norm wird den Druck auf die wenigen Länder, die nicht ratifiziert haben, erhöhen. Eine geplante UN-Resolution wäre ein erster Schritt, aber die Ratifikation durch die USA, Israel und China würden dieses Unterfangen deutlich voranbringen.

Das Dossier Nordkoreas wird nun eine Top-Priorität für die neue US-Regierung bilden. Schon im amerikanischen Wahlkampf wird das Thema eine größere Rolle spielen, da man Präsident Obama und auch seiner ehemaligen Außenministerin Clinton vorwerfen wird, zu nachlässig gegenüber Nordkorea gewesen zu sein.

 

[i]         Siehe die Erklärung der BGR unter http://www.seismologie.bgr.de/sdac/erdbeben/kernexplosion/ nkorea_20160106_deu.html.

[ii]        Siehe die Erklärung der CTBTO unter https://ctbto.org/press-centre/press-releases/2016/ctbto-executive-secretary-lassina-zerbo-on-the-unusual-seismic-event-detected-in-the-democratic-peoples-republic-of-korea/.

[iii]       Statement by the President on North Korea’s Nuclear Test, September 9, 2016. Siehe: https://www.whitehouse.gov/the-press-office/2016/09/09/statement-president-north-koreas-nuclear-test

[iv]        Nach dem Nukleartest hat der UN-Sicherheitsrat die Resolution 2270 verabschiedet, die u.a. Schiffsinspektionen erlaubt und ein Embargo von Flugzeugtreibstoff und seltenen Mineralien verhängt. Siehe: Security Council Imposes Fresh Sanctions on Democratic People’s Republic of Korea, Unanimously Adopting Resolution 2270 (2016) Siehe: http://www.un.org/press/en/2016/sc12267.doc.htm.

[v]        Joseph S. Bermudez and Jack Liu: New Activity Near All Three Portals at the Punggye-ri Nuclear Test Site, 8. September 2016, 38 North, http://38north.org/2016/09/punggye090816/.

[vi]       Siehe das Statement des DPRK Nuclear Weapon Institute unter https://nkleadershipwatch.wordpress.com/2016/09/09/dprk-conducts-fifth-nuclear-test/

[vii]       Hierzu heißt es: The standarization of the nuclear warhead will enable the DPRK to poduce at will and as many as it wants a variety of smaller, lighter and diversified nuclear warheads of higher strike power with a firm hold on the technology for producing and using various fissile materials” Quelle: Fußnote 6.

[viii]      Eine Zeitleiste der nordkoreanischen Tests findet sich unter: http://38north.org/2016/08/missiletimeline082416/

[ix]       Eine Chronologie findet sich unter: http://legacy.armscontrol.org/factsheets/dprkchron.

[x]        Die THAAD Batterie soll 220 km südöstlich von Seoul in Seongju stationiert werden.

[xi]       Eine THAAD Batterie besteht aus einem TPY-2 X-Band Radar, einem Führungszentrum und einigen Startgeräten, die bis zu 8 Abfangraketen beherbergen können. Die Abfanghöhe liegt zwischen 40 und 200 km.

 

 

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