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Der Katar-Knoten

Nachdem die meisten westlichen Nachbarn Katars diplomatische Beziehungen zu dem Land abgebrochen haben, wurde es verdächtig ruhig, wie bei der besagten Ruhe vor dem Sturm. Saudi Arabien, ebenso wie Bahrain, Jemen, Ägypten verkündeten, dass Katar am 15. Mai die Website der Informationsagentur QNA gehackt und im World Wide Web eine Erklärung zur Unterstützung des Irans platziert hätte. Das war der offizielle Grund für den Abbruch der diplomatischen Beziehungen. 

Dr. Gabriel Burho, Politologe, Autor bei World Economy

Prof. Dr. Alexander Sosnowski, Journalist

Danach folgte die Anschuldigung Katar hätte den Terroristen über eine Milliarde Dollar Lösegeld für die Freilassung von Mitgliedern der königlichen Familie bezahlt. Als Reaktion darauf beschuldigte Katar seine Opponenten der Faktenfälschung.

Alle Länder der Region haben ihre Armeen, wie auf Kommando, in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Katars Bevölkerung stürmte in Erwartung eines baldigen Krieges in die Läden und deckte sich mit Vorräten ein. Die USA erinnerten sich plötzlich, dass sie einen technisch hochgerüsteten Armeestützpunkt in dem kleinen Land haben und verkündeten, sie seien bereit in dem Konflikt zu vermitteln, Trump lud sogar den Emir von Katar nach Washington ein. Moskau, das vom Westen schon fast routinemäßig einer Hackerattacke und der Provokation des Konflikts beschuldigt wurde, kommentierte kühl, dass nur eine diplomatische Lösung des Konflikts in Frage käme. 

Eine verhängnisvolle Stille kehrte ein, während derer nicht nur die Länder des Nahen Ostens versuchten verschiedene Varianten der weiteren Entwicklung durchzuspielen und mögliche Verluste auszurechnen. 

  • Die USA, die die Koalition im Kampf gegen den IS anführen, sind nicht in der Lage gleichzeitig Stellungen in Syrien zu bombardieren, den IS und auch noch Katar unter Druck zu setzen, der gerade der Unterstützung der Terroristen beschuldigt wird. Washington sorgt sich um den oben bereits erwähnten Stützpunkt, den es keinesfalls verlieren möchte. Und noch mehr - Katar kauft ganze 36 F15-Flugzeuge bei den USA ein und „zahlt dafür insgesamt zwölf Milliarden Dollar“. (https://www.welt.de/wirtschaft/article165555922/USA-liefern-Katar-36-F-15-Kampfflugzeuge.html). Ein Deal, der auch für die Supermacht Amerika nicht gerade unbedeutend ist. Umso mehr, da der aktuelle US-Präsident eine radikal merkantilistische Amerika First (und hier vor allem die amerikanische Wirtschaft) Politik vertritt.
  • Russland kann keinen Krieg gegen Katar zulassen, weil das unweigerlich den Iran mit hineinzieht, der dadurch wieder zum Ziel der westlichen Koalition werden würde. Und Iran ist für Moskau ein Trumpf, der nicht für irgendwelche sonstigen Zwecke zum Tauschgeschäft angeboten wird.
  • Israel ist wenig darüber begeistert, dass hinter Katar die schon fast Atommacht Iran steht, allerdings könnte ein Krieg in der Region das Kräfteverhältnis rund um Israel selbst verändern. Es wird Katar nicht benutzen, um den Iran anzugreifen, weil in diesem Fall die Wahrscheinlichkeit hoch wäre, dass andere arabische Länder sich Teheran gegenüber solidarisch zeigen würden. 
  • Die Türkei fürchtet die Eröffnung einer „zweiten Front“ - Kurden könnten die Gunst der Stunde nutzen, das türkische „Imperium“ spalten und sich auch noch einige Teile Irans und Iraks unter den Nagel reissen. 
  • Und, schließlich, Deutschland. Saudi Arabien gilt als größter Abnehmer deutscher Waffentechnik, Katar hält 17% der VW- und 6% der Deutsche Bank-Aktien. Die Bundesregierung muss schnellstens einen Spagat einüben, sonst droht die Gefahr einer Verrenkung.

Betrachtet man die aktuelle Krise im Kontext wird schnell klar, dass es sich um einen außenpolitischen Schachzug Saudi Arabiens handelt und die anderen arabischen Staaten lediglich saudischen Interessen folgen. Der Umstand allein, dass Saudi Arabien einer anderen Ölmonarchie Terrorfinanzierung vorwirft, könnte einen Beobachter der bisherigen saudischen Unterstützung islamistischer Gruppen durchaus zum Schmunzeln bringen. Doch Terrorist ist eben auch am Golf nicht gleich Terrorist...

Vor allem dürften es drei Hauptaspekte sein, die das größte Land der Halbinsel gegen seinen Mininachbarn aufbringen:

Erstens: Der Zwergstaat Katar spielt propagandistisch weit oberhalb seiner Liga. Mit al-Dschazira verfügt der David der arabischen Halbinsel über einen medialen Goliath. Der Privatsender (privat heisst hier kaum, dass nicht die staatlichen Interessen Katars vertreten würden) hat die höchsten Einschaltquoten unter arabischen Zuschauern. Wie einst Saudi Arabien mit seiner, durch Ölmilliarden finanzierten globalen Mission zugunsten einer ultrakonservativen, wahhabitischen Auslegung des Islam Millionen Muslime in ihrem Verständnis von Religion beeinflussen konnte, so beeinflussen die Nachrichtensendungen und Magazine von al-Dschazira den Blick von Millionen Arabern auf das Weltgeschehen und die Politik. Letzteres eben nicht immer im Sinne des großen Nachbarn, wie sich bei der positiven Berichterstattung und der Unterstützung für den Arabischen Frühling zeigte – das Schreckgespenst der saudischen Monarchie. Zudem hatte sich Katar früh auf die Unterstützung der Muslimbruderschaft eingeschossen, die mit ihren eher kommunalistischen Ansätzen und der Betonung der Notwendigkeit von Wahlen an einem anderen Grundpfeiler des saudischen Staates sägten und daher, trotz ähnlicher Weltsicht, schnell zu den Feinden der Monarchie wurden. 

Zweitens: Auch wenn Katar sich grundsätzlich in den Chor der sunnitischen Golfmonarchien mit seiner anti-iranischen Haltung einfügt, so ist es – aufgrund seiner Lage und wirtschaftlichen Zwängen – lange nicht so anti-iranisch wie sich die saudische Führung dies wünschen würde. Wirtschaftliche Kontakte über den Golf sind an der Tagesordnung und könnten sich durch die gegenwärtige Blockade durchaus verbessern.

Drittens: Der soziale Frieden im Königreich hängt für die saudische Regierung davon ab, widersprüchliche Positionen zu bedienen: die ultrakonservativen Religiösen und die westlich orientierten Kaufleute. Um Ersteres sicherzustellen wurden schon immer Milliarden an „privaten“ Spenden an islamistisch-dschihadistische Gruppen verteilt. Allerdings achtete man immer peinlich genau darauf, dass man nur Gruppen mit lokalem Fokus unterstützte, die Gewalt nur gegen Nicht-Muslime predigten und „gläubige Herrscher“ nicht kritisierten. Schließlich sollte die islamische Revolution ja nicht ins eigene Land re-importiert werden. Einer der Gründe warum auch Saudi Arabien seinen abtrünnigen Sohn Osama bin Laden verfolgte, war, dass er seine Ideologie aus Afghanistan mit nach Hause zu bringen gedachte. Dass „Überzeugungstäter“ auch bereit sind in die Hand zu beissen, die sie füttert, durften auch die USA am Beispiel ihres Lieblings-Mudschahedin Gulbudin Hekmatyar schmerzhaft erfahren.

Das katarische Emirat hingegen, scheint diese Ängste nicht zu teilen und wähnt sich auch einer ideologischen Prüfung durch al-Qaida oder den IS sicher. 

Wahrscheinlich versprachen sich die saudischen Planer der Katar-Isolation einen schnellen Sieg über den kleinen Nachbarn, der dann reuig in den Schoß saudischer Hegemonie zurückkehren sollte. Dies kann auch immer noch passieren. Ebenfalls möglich ist allerdings, dass der saudische Kronprinz Muhammad bin Salman nun, nach dem Misserfolg eines schnellen Sieges im Jemen, eine weitere außenpolitische Schlappe erlebt. Während Katar ohne weiteres die finanziellen Mittel hat eine Blockade auch länger durchzuhalten und die benötigten Lebensmittel aus der Luft einfliegen zu lassen – die Türkei macht hier schon gute Geschäfte – haben die saudischen Strategen möglicherweise vergessen, dass jenseits des Golfes ein weiteres großes Land liegt, dass geneigt sein könnte seine ohnehin vorhandenen Wirtschaftsbeziehungen zum Emirat auszubauen. Iran dürfte eine diebische Freude daran haben die dargebotene Gelegenheit zu nutzen und die Front der sunnitischen-Ölmonarchien weiter aufzubrechen.

Nach diesem Schachzug scheint das saudisch-amerikanische Statement, nachdem der Iran der „Hauptfaktor für die Instabilität der Region“ sei, aus Sicht des Westens umso falscher. Die Situation erinnert stark an „Zugzwang“ - jede einzelne Handlung jeder einzelnen Seite kann nur zur Verschlechterung der Lage führen. Das beste wäre, alle würden geduldig abwarten bis sich die Wogen wieder legen, ließen ihre Gesandten nach Doha zurück kehren und würden sich in Washington an den Verhandlungstisch setzen. Oder in eben Moskau, da die USA, spätestens seit dem Besuch Donald Trumps im Nahen Osten, jeden Anspruch auf die Rolle eines neutralen Vermittlers verloren haben.

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