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Nach dem Terror

Dr. Michael Rohschürmann, Politik-und Islamwissenschaftler

Der 9. September 2001, der 3. April 2004, der 7. Juli 2005, der 13. November 2015 und zuletzt der 22. März 2016. Diese Daten haben alle etwas gemeinsam, es sind die Daten dschihadistischer Terroranschläge in westlichen Metropolen – würde ich die Daten der weitaus häufigeren Anschlägen außerhalb des westlichen Kulturkreises nennen, würden diese meist kaum zugeordnet werden können, während hier die meisten Mitbürger New York, Madrid, London, Paris und Brüssel erkennen werden. Eine weitere Gemeinsamkeit dieser Daten sind die Kommentare, Analysen und Schlussfolgerungen die in den Wochen danach veröffentlicht wurden. So wird darüber gesprochen das diese Taten nichts mit dem „wahren Islam“ zu tun hätten und Terroristen eine große Weltreligion wahlweise gekapert oder missbraucht hätten, ohne das sich die Urheber dieser Sätze darüber im klaren sind, dass es lediglich die Salafisten unter den Muslimen sind, die für sich in Anspruch nehmen den „wahren Islam“ zu kennen. 

Dr. Michael Rohschürmann, Politik-und Islamwissenschaftler

Ebenso werden drastische Maßnahmen im „Kampf gegen den Terror“ gefordert und dabei übersehen, dass Terrorismus eine Taktik der Kommunikation darstellt, mit der Forderungen einem Gegner aufgezwungen, oder die Schwäche eines Gegners dem eigenen (angenommenen) Unterstützerumfeld vor Augen geführt werden soll. So schreibt Louise Richardson richtig: „Terroristen wollen ein großes Publikum und nicht einen großen Friedhof“. Eine Taktik der Kommunikation kann man mit Waffen nicht bekämpfen – bestenfalls mit der Verweigerung der Kommunikation. Dazu später mehr. Die Statistik des sog. „Krieges gegen den Terror“ spricht für sich. Seit 2001 hat sich die Zahl der Selbstmordanschläge nicht verringert, sondern fast verzehnfacht.

Egal wie sehr die persönlichen Freiheiten eingeschränkt werden, eine absolute Sicherheit gegen Terroristen wird es kaum geben. Hier muss ich mich dem Präsidenten des EU Parlamentes, Martin Schulz, anschließen: Terrorismus muss als Lebensrisiko verstanden werden.

Zur Frage der Verweigerung der Kommunikation habe ich vor kurzem eine ältere Kurzgeschichte von Andreas Eschbach gelesen. Darin geht es um einen amerikanischen Anwalt, der Osama bin Laden in Pakistan aufsucht und ihn überzeugt seinen Namen, sowie den Namen Al-Qaida als Marke im Sinne des amerikanischen Markenrechtes schützen zu lassen. Nachdem er dies mit Erfolg durch alle Instanzen der U.S. Justiz erstritten hat verklagt er jeden, vor allem Medien, welche die beiden geschützten Begriffe inkl. des Begriffs Terrorismus (Al-Qaida ist ja Weltmarktführer in Terrorismus – das Buch ist prä-ISIS) in Gewinnerzielungsabsicht verwenden und/oder negativ darstellen. Nach einer Reihe von Abmahnwellen und hohen Schadensersatzzahlungen hören die meisten Medien, gezwungenermaßen, auf über Terrorismus und Al-Qaida zu schreiben, sondern berichten nur noch von „einer, durch einen Verrückten, ausgelösten Explosion“. Der Anwalt bekommt bald darauf einen wütenden Anruf von Osama bin Laden, welcher ihn auffordert seine Aktionen sofort einzustellen, da dies die gesamte Effektivität und Nachwuchswerbung seiner Gruppe zunichte mache: „Wenn keiner darüber berichtet kann man das Bomben werfen auch gleich sein lassen!“. Nun offenbart der Anwalt seine wahren Absichten und bekennt dem Anschlag von 9/11 nur durch einen Zahnarztbesuch entgangen zu sein, während sein Bruder und viele seiner Freunde dabei umgekommen wären. Auf der Suche nach einer Möglichkeit des Kampfes gegen den Terror habe ihm ein Wanderausflug die Augen geöffnet, bei dem er über zwei Wochen nichts von den Anschlägen von Madrid mitbekommen habe. Da er sich aber sicher gewesen sei, die Medien nicht freiwillig von einer Kooperation überzeugen zu können, habe er einen juristischen Weg gewählt. „Als ich Mister Bin Laden gegenüber sagte, das amerikanische Rechtssystem sei die wirkungsvollste Waffe, die es gibt, hat er einfach nicht verstanden, dass ich von Anfang an vorhatte, sie gegen ihn zu richten. Das ist alles.“

Die Geschichte heißt „Al-QaidaTM“ und sollte einer ganzen Reihe „Terrorexperten“ als Lektüre empfohlen werden.

Insofern ist auch der Aussage von Frau Käßmann in Teilen zuzustimmen. Den Terroristen mit Liebe zu begegnen wird diese nicht direkt von weiteren Anschlägen abhalten. Xenophobie, Abschottung und ein Polizeistaat bergen aber nicht nur die Gefahr zu verlieren, was die „westlichen Werte“ eigentlich ausmachen, sondern können leicht zu mehr Freiwilligen und mehr Anschlägen führen. 

Der amerikanische Gründervater Thomas Jefferson betonte: „Der Preis der Freiheit ist ewige Wachsamkeit!“. Dies beinhaltet auch die Wachsamkeit gegen sich selbst, sich nicht den eigenen Ängsten hinzugeben und die einfachsten Erklärungen zu suchen.

Dr. Michael Rohschürmann ist Politik- und Islamwissenschaftler und seit 2011 in verschiedenen islamischen Krisenländern tätig. Zu seinem Schwerpunkten gehören islamische Geschichte und Ideengeschichte sowie Terrorismusforschung. 

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