Deutsche Rolle rückwärts in den Kalten Krieg. Bundeswehr soll kriegstauglich werden und siegen können

Von Hans-Georg Münster

In der Bundeswehr hat eine massive verbale Aufrüstung eingesetzt. In Reden von führenden Offizieren und in jüngsten Schriften tritt die Bereitschaft für internationale Einsätze in den Hintergrund. Postuliert wird vielmehr unverblümt eine deutsche „Kriegstauglichkeit“ in Europa und die Fähigkeit, den Gegner vernichtend zu schlagen und selbst den Sieg zu erringen. Der verbalen soll die technische Aufrüstung folgen. Diverse Rüstungsprojekte sollen beschleunigt werden.

Jeder Krieg beginnt mit Worten. Von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt führte der Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, den Kriegsbegriff in einer Rede am 22. September 2020 an der Unteroffiziersschule in Delitzsch wieder in den Sprachgebrauch der Bundeswehr ein, wo bisher nur von Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) oder von internationalem Krisenmanagement (IKM) die Rede war. Am selben Tag legte die Bundeswehr eine neue Broschüre zur Landes- und Bündnisverteidigung vor, in der es tatsächlich heißt: „Ziel der Rüstungsplanung ist die Überlegenheit in der Kriegsführung in allen Dimensionen“

Im „Infobrief Heer“ (April 2021), der Zeitschrift des aus Militärs, Rüstungslobbyisten und Politikern zusammengesetzten „Förderkreises deutsches Heer“ erläutert Oberst im Generalstab Elmar Schulz, Dezernatsleiter im Amt für Heeresentwicklung, was der Generalinspekteur gemeint hat. „Ausgangspunkt für die Verwendung des Begriffs Kriegstauglichkeit ist die Refokussierung auf den Auftrag der Bundeswehr zur Landes- und Bündnisverteidigung... Kriegstauglichkeit ist die nachgewiesene Eignung, mit den eigenen personellen, materiellen, infrastrukturellen, organisatorischen sowie betrieblichen Fähigkeiten weitgehend ohne Abstützung auf Leistungen Dritter im dauerhaften, hochintensiven Gefecht mit einem gleichwertigen Gegner erfolgreich zu sein.“ In einer beigefügten Grafik wird das neue Spektrum der Begriffswelt der Bundeswehr vom Katastrophenschutz über Auslandseinsätze bis zum „Krieg“ dargestellt.

Der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, hatte sich in einer Rede am 4. November 2020 vor dem Förderkreis deutsches Heer ähnlich deutlich geäußert. In der jetzt wieder priorisierten Landes- und Bündnisverteidigung „müssen die eingesetzten Truppen durchsetzungsfähig, kriegsbereit und siegesfähig sein. Sie müssen in der Lage sein, Schläge einzustecken, sich neu zu formieren und zurückzuschlagen, bis der Auftrag erfüllt ist. Das Postulat Schutz vor Auftrag aus dem internationalen Krisenmanagement wechselt zu Auftrag vor Schutz“, so die Vorstellung des Heeresinspekteurs, der auch damit einen Strategiewechsel einläutet. Hatte bisher bei den Einsätzen der Schutz der Soldaten oberste Priorität und wurden Einsätze abgebrochen, wenn Verluste drohten, so soll die Truppe jetzt in die Schlacht ziehen, auch wenn massive Verluste drohen. Im Ersten Weltkrieg kannte man dafür noch den Begriff „Kanonenfutter“. Auch die Siegesrhetorik führt weg vom Prinzip der Landesverteidigung, die bedeutete, einen eindringenden Feind wieder über die Grenzen zurückzuwerfen, womit der militärische Auftrag erfüllt gewesen wäre. „Siegen“ heißt hingegen, einen Feind endgültig niederzuwerfen – und zwar auch auf dessen eigenem Territorium.

Den Worten folgen in organisatorischer Hinsicht bereits erste Taten. Vor rund zwei Jahrzehnten war die Bundeswehr durch die Reformen der ehemaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) und Peter Struck (SPD) von der klassischen Landesverteidigung auf weltweite Einsätze umgestellt worden. Struck brachte dies mit einem legendär gewordenen Satz auf dem Punkt, wonach Deutschland am Hindukusch verteidigt werde. Weil die Bundeswehr in den Einsätzen nie die erste Rolle spielen, sondern nur modulare Elemente für andere Streitkräfte zur Verfügung stellen sollte, wurden die deutschen klassischen Teilstreitkräfte erweitert. Zu Heer, Luftwaffe und Marine traten als eigene Teilstreitkräfte der Sanitätsdienst und die Streitkräftebasis hinzu.

Jetzt wird diese seinerzeit hochgelobte Bundeswehrreform still und heimlich wieder rückgängig gemacht. Streitkräftebasis und Sanitätsdienst sollen aufgelöst und deren Aufgaben wie medizinische Versorgung, Militärpolizei, ABC-Abwehr und Logistik wieder auf die klassischen Teilstreitkräfte zurückverteilt werden. Die Rolle rückwärts in die Strukturen des Kalten Krieges versuchen die Planer im Verteidigungsministerium mit Begriffen wie der Schaffung schlankerer Führungsstrukturen und klar gefasster Verantwortungsbereiche schmackhaft zu machen.

Mit der verbalen Aufrüstung und neuen Strukturen ist es allerdings noch nicht getan. Auch die Ausgaben für Rüstung sollen massiv hochgefahren werden. Dies musste kürzlich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erfahren, als er zusätzlich 2,6 Milliarden Euro für die Pflegeversicherung aus dem Bundeshaushalt 2022 haben wollte. Dies stieß in der eigenen Fraktion auf massiven Widerstand: „Bevor im Haushalt erneut weitere Milliardenbeträge in sozialen Bereich verplant werden, muss vorrangig der Verteidigungsetat berücksichtigt werden“ forderte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Johann Wadepuhl. Die Bundeswehr sei auf die Realisierung zentraler Beschaffungsvorhaben angewiesen. Etliche davon seien zurzeit nicht finanziert, etwa der schwere Transporthubschrauber, die U-Boot-Ko-operation mit Norwegen sowie die Vollausstattung der Brigade für schnelle Eingreiftruppe.

Auch das Verteidigungsministerium hat kürzlich klargemacht, dass zahlreiche Rüstungs-Großprojekte mangels gesicherter Finanzierung vom Scheitern bedroht sein könnten. Dabei geht es unter anderem um die Entwicklung eines deutsch-französischen Kampfjets, für den bisher allenfalls die Finanzierung von ersten Entwicklungsstudien gesichert ist. Geld fehlt außerdem für die geplante Beschaffung neuer Seefernaufklärer des Typs P-8a von Boeing, von zwei Tankern für die Marine und neuen Flottendienstboten. Ungesichert ist auch die Finanzierung von Flugzeugen des Herstellers Bombardier mit der Bezeichnung Pegasus, die mit ihren zahlreichen Sensoren für Spionagezwecke eingesetzt werden sollen und auch gegnerische Flugabwehrsysteme aufspüren können sollen.

Aufs Tempo gedrückt wurde in letzter Zeit auch bei der geplanten Entwicklung eines deutsch-französischen Kampfpanzers, der bei der Bundeswehr den Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 ablösen soll. Die Rüstungslobby führt besonders die russische Aufrüstung ins Feld. Für äußerst bedrohlich wird der russische Kampfpanzer vom Typ T-14 Armata gehalten, der angeblich eine neue 152-mm-Kanone als Ersatz für die jetzige 125-mm-Kanone erhalten soll. „Wenn dies geschieht, wird der T-14 in der Lage sein, alle NATO Panzer, einschließlich Leopard 2 zu bekämpfen, ohne in deren Reichweite zu geraten. Wenn das geschieht, sind unsere Panzer hoffnungslos unterlegen“, erklärt der Strategieberater Nicholas Drummond aus Großbritannien, der hauptsächlich für die Rüstungsindustrie tätig ist. Auch in Informationen aus der deutschen Rüstungsindustrie heißt es, es sei ein offenes Branchengeheimnis, dass der Leopard 2 dem neuen russischen Panzermodell bei einigen Leistungsdaten unterlegen sei.

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