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Deutschland allein zu Haus

Willy Wimmer, Staatssekretär a.D. im Gespräch mit World Economy

Alexander Sosnowski: Die erste Frage geht in Richtung USA: schon innerhalb der nächsten Zeit muss Donald Trump von den Wahlmännern zum US-Präsidenten gekürt werden. In wieweit ist es für Deutschland entscheidend? 

Willy Wimmer:

Was gerade in den USA passiert, hat zunächst mal gewaltige Auswirkungen auf Amerika selbst. Und, nach diesem Wahlkrieg, den wir in den Vereinigten Staaten erlebt haben, sieht das, was wir derzeit bei der Regierungsbildung sehen, nach außen so aus, als gäbe es Friedensverhandlungen zwischen zwei bis an die Zähne bewaffnete Lager. Das ist das öffentliche Bild, was da vermittelt wird. Die letzten außenpolitischen Erklärungen des möglicherweise neuen und nächsten Präsidenten lassen erwarten, dass es eine grundsätzliche Abkehr der Vereinigten Staaten von der globalen Kriegspolitik der letzten gut zwanzig Jahre geben könnte. Das ist natürlich alles mit einem Fragezeichen versehen. 

Wir sollten in Europa, natürlich auch in Deutschland, zunächst einmal eine Forderung an die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit richten. Wir warten schon seit Wochen darauf, dass die in Wien beheimatete Organisation, zu der ja auch die Vereinigten Staaten gehören, das vorlegt, was sie bei jeder Wahl in einem Mitgliedsland machen muss, nämlich einen OSZE-Bericht darüber, ob diese Wahl überhaupt nach allen Kriterien fair und frei verlaufen war. Danach wird man sehen, auf welchen Augen die OSZE im amerikanischen Interesse blind sein könnte. 

Das zur Grundeinschätzung. Dann ist Deutschland, wie jedes andere Land auf diesem Globus, von der amerikanischen Entwicklung abhängig. Und wir haben nach dem Wahltermin gesehen, dass der noch im Amt befindliche Präsident Obama offensichtlich die deutsche Bundeskanzlerin - und damit die Bundesregierung - zur einer Partei in den inneramerikanischen Auseinandersetzungen mit dem neuen Präsidenten Trump machen will. Das alles dürfte spannend werden. 

Alexander Sosnowski:  Sie haben gerade (noch) Präsident Obama angesprochen. Er, ebenso wie Kanzlerin  Merkel, haben in den letzten Tagen im Zusammenhang mit der Situation in Aleppo darüber gesprochen, dass der russische Präsident vor Gericht gestellt werden muss. Wie würden Sie das kommentieren?

Willy Wimmer:

Was die Bundeskanzlerin und andere europäische Staats- und Regierungschefs darüber geäußert haben, ist übelste Propaganda. Das lenkt vor allen Dingen von der europäischen Verantwortung für die globale Kriegsführung der Vereinigten Staaten ab und das schon seit dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen die Republik Jugoslawien 1999. Wir müssen sehen, dass sich eigentlich alle europäischen Regierungen, die Regierung der Vereinigten Staaten natürlich inklusive, wegen dieser Kriegspolitik seit 1999 vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verantworten müssten. Stattdessen, hat man auch noch Tony Blair im Nahen und Mittleren Osten zu einem Besonderen Repräsentanten der Europäischen Union gemacht. Das ist ein Schlag ins Gesicht aller anständig und gerecht denkenden Menschen, nicht nur Europa, sondern auf der Welt. Was den syrischen Krieg anbetrifft, liegt die Verantwortung eindeutig bei den alten Kolonialmächten. Und die einzigen, die sich da in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht an der Seite einer legitimen Regierung bewegen, sind die Russische Föderation und der Iran. Das wird in der Erklärung von Frau Merkel in perverser Weise auf den Kopf gestellt und dagegen müssen wir uns alle wehren. 

Alexander Sosnowski: Wir reden ständig über die Musterdemokratie in Amerika. Betrachtet man das amerikanische Wahlsystem genauer, dann wählen die Bürger die Wahlmänner, diese wählen dann den „richtigen“ Präsidenten, dabei können sie entscheiden, ob sie sich dem Volkswillen beugen oder selbst eine Entscheidung treffen. Aber warum gehen wir immer davon aus, dass das eine mustergültige Demokratie ist? 

Willy Wimmer:

Wir haben die Situation, dass die Wahlverfahren so unterschiedlich sind, dass man von einem einheitlichen Wahlverfahren in den westlichen Demokratien grundsätzlich nicht ausgehen kann. Ich habe eben auf die Situation im Zusammenhang mit der OSZE aufmerksam gemacht. Das Hauptquartier ist in Wien und müsste eigentlich, vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit amerikanischen Wahlen, eine verbindliche Aussage darüber treffen, ob dieses Wahlverfahren überhaupt fair und frei ist. Es kann nicht angehen, dass man drei Millionen Stimmen mehr für die Kandidatin Clinton bekommt, aber das bei den Wahlmännern nicht berücksichtigt wird. Der Grund das zu fordern, wird dadurch bekräftigt, dass vor 16 Jahren auch der Präsidentschaftskandidat Gore zwei Millionen Stimmen mehr hatte, als der spätere Präsident George W. Bush. Das heisst, wir haben in den Vereinigten Staaten ein Wahlrecht, das nach den Kriterien des OSZE mit großer Wahrscheinlichkeit nicht als fair und frei angesehen werden kann und dazu trägt auch eine weitere Komponente in aller Dramatik bei. In weiten Teilen der Vereinigten Staaten wird bei einer solchen Wahl - in unserem Sinne - gar nicht mehr gewählt, weil bei den Wahlen in den Senat oder in das Repräsentantenhaus überhaupt keine Gegenkandidaten mehr aufgestellt werden. Die Wahlkreise sind dermaßen auf eine dauerhafte Parteimehrheit ausgerichtet, dass es gar keine Gegenkandidaten gibt. Das ist eine totalitäre Wahlsituation. Und vor diesem Hintergrund täten alle anderen Mitgliedsstaaten in der NATO und der OSZE gut daran, nach den Gepflogenheiten ihrer demokratischen Tradition, auf Dauer eigene Wahlverfahren aufrecht zu erhalten und auf keinen Fall das zu übernehmen, was die Vereinigten Staaten für sich als Lösung gefunden haben. 

Alexander Sosnowski: Brechen wir ein in Deutschland herrschendes Tabu und sprechen über eine mögliche Emanzipierung Deutschlands von den USA. Donald Trump kündigte an - und vermutlich kann man dem Glauben schenken - mehr in Amerika tätig zu werden und weniger in Europa. Sollten wir die Chance nicht für eine Emanzipierung nutzen oder haben wir Angst vor einer endgültigen „Befreiung“?

Willy Wimmer:

Wir müssen nüchtern sehen, wie unsere europäische Situation ist. Das gilt natürlich vor allem für die Rolle Deutschlands in Europa. Ich habe ein Jahr vor der deutschen Wiedervereinigung darauf aufmerksam gemacht, dass wir bei dieser politischen Entwicklung nur noch von Freunden umgeben sind. Und, wir Deutsche, müssen ein zentrales Interesse daran haben, dass wir zu allen unseren Nachbarn auf Dauer gute, wenn nicht zu sagen beste, Beziehungen unterhalten müssen, weil davon die Sicherheit unseres eigenen Landes abhängt. Deswegen kommt es für mich auch darauf an, dass wir eine Politik der sehr guten Nachbarschaft betreiben müssen. Das ist die Grundvoraussetzung dafür, dass Deutschland diese Rolle in Europa überhaupt spielen kann. Ohne eine gute Nachbarschaft geht es überhaupt nicht. Wenn die USA diese Politik der guten Nachbarschaft - auch gegenüber der Russischen Föderation - gefährden oder ihr die Basis entziehen, dann verrät Deutschland seine Zukunft. 

Wir müssen gerade im Zusammenhang mit der Sanktionsfrage sehen, dass eine sehr unangenehme Situation auf Deutschland und die anderen europäischen Staaten zukommen wird. Alles ist darauf ausgerichtet, dass es bessere Beziehungen zwischen einem Präsidenten Trump und einem Präsidenten Putin geben wird. Das heißt, die Vereinigten Staaten und die Russische Föderation werden direkt und ohne eine europäische Beteiligung versuchen, ihre Beziehungen auf eine bessere Grundlage zu stellen. Das kann man nur, wenn man die Sanktionen beseitigt. Daran wird Washington genauso beteiligt sein wie Moskau und nicht Berlin, Paris und nicht London. Rom schon mal gar nicht. Das heißt, die amerikanischen Großkonzerne werden das große Geschäft mit der Russischen Föderation machen und die europäischen Unternehmen - die bereits einen Preis dafür bezahlt haben überhaupt Sanktionen zu bekommen - werden an den neuen Geschäftsfeldern überhaupt nicht beteiligt sein. Das ist nicht das erste Mal, dass Sanktionen eigentlich der Beseitigung der Konkurrenten im eigenen Lager dienen und wir werden in wenigen Wochen sehen, dass das gegenüber der Russischen Föderation für deutsche, französische und italienische Unternehmen auch gilt.

Alexander Sosnowski: Also haben wir uns mit den Sanktionen ins eigene Knie geschossen?

Willy Wimmer:

Wir haben uns ins Knie geschossen und auch noch die Schlinge um den Hals gelegt. Wir haben zwei unverzeihliche Sünden begangen. Bundesregierung, Bundestag, Europäische Union und NATO führen bei uns Zensur und staatlich bestimmte Verleumdung ein. In Deutschland und Europa sollen vor Trump die demokratischen Freiheiten und die demokratischen Leuchttürme beseitigt werden.

Alexander Sosnowski: Herr Wimmer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

 

 

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